Wenn Heinrich Hiesinger am Freitag auf der Hauptversammlung von Thyssenkrupp zu seinen Aktionären spricht, wird der Vorstandschef die Entwicklung des Ruhrkonzerns preisen. Einen Vorgeschmack darauf gab er im November bei der Bilanzpresskonferenz. „Wir haben geliefert, was wir versprochen haben“, erklärte Hiesinger da, „wir haben Thyssenkrupp stabilisiert und die Integration des Konzerns weiter vorangetrieben.“
Unbestritten haben die Essener unter ihrem von Siemens abgeworbenen Topmanager Hiesinger große Fortschritte gemacht, sich nach milliardenschweren Fehlinvestitionen in den USA und Brasilien aus einer existenzbedrohenden Lage herausgearbeitet. Einen aber wird Hiesinger mit seiner Bewertung der Situation dennoch kaum überzeugen können: Seinen schwedischen Großaktionär Cevian.
Trotz diverser Fortschritte bei Thyssenkrupp ist der Finanzinvestor offensichtlich mit der Entwicklung unzufrieden. „Das ist nicht genug“, habe ein Cevian-Manager in vertrauter Runde gepoltert, berichtet ein Frankfurter Investmentbanker. Mehr noch: Cevian denke nun wieder verstärkt über Abspaltungen von Sparten beim Ruhrkonzern nach, soll der Cevian-Manager im vertrauten Kreis ebenfalls kundgetan haben.
Überraschende neue Verkaufsüberlegungen
Dabei haben die Schweden aber in erster Linie nicht, wie bislang oft vermutet, die margenschwache Stahlsparte im Visier. Vielmehr könnten sie sich dafür begeistern, Filetstücke zu versilbern: Die Aufzugssparte oder den Automobilzulieferbereich etwa. Ein Cevian-Sprecher wollte die Informationen auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren. Man äußere sich grundsätzlich nicht zu den Beteiligungen. Auf der Hand liegt allerdings, dass Cevian an seinen Thyssenkrupp-Aktien bislang recht wenig Freude hatte.
Welche Kennzahlen ThyssenKrupp-Chef Hiesinger verbessern will
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 4,3 Prozent
Ziel: 6-8 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 10,5 Prozent
Ziel: 15 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatz
aktuell*: 6 Mrd. Euro
Ziel: 8 Mrd. Euro
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 1,6 Prozent
Ziel: 3-4 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Gewinn (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 200 Mio. Euro
Ziel: 500 Mio. Euro, Kosten einsparen
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Der Investor hat seine Beteiligung am Ruhrkonzern ab 2013 aufgebaut und ist aktuell mit 15,08 Prozent der Aktien zweitgrößter Aktionär nach der Krupp-Stiftung (23,03 Prozent). Der Aktienkurs, der 2015 einen zwischenzeitlichen Höchststand von fast 26 Euro erreichte, liegt mittlerweile nur noch bei gut 15 Euro – und dümpelt damit nahe der Zahlen in schlimmsten Krisenzeiten: 2012, als die Existenz von Thyssenkrupp auf dem Spiel stand, war der Kurs bis auf 12 Euro gefallen.
Zahlen sind für Cevian-Geschmack zu schwach
Im Geschäftsjahr 2014/15, das am 30. September 2015 endete, verbesserten Hiesinger und seine Mannschaft sich zwar bei einer Reihe von Kennzahlen, Cevian gehen die Fortschritte aber anscheinend nicht schnell genug. Das Nettoergebnis zum Beispiel stieg, aber lediglich von 212 auf 309 Millionen Euro. Das entspricht bei einem Umsatz von 42,8 Milliarden Euro einer immer noch mageren Netto-Umsatzrendite von 0,7 Prozent. Auf den freien Mittelzufluss (Cash-Flow) schauen die Schweden seit jeher besonders. Hier verließ Thyssenkrupp den roten Bereich, schaffte aber mit 65 Millionen Euro Cash-Flow ohne Einbeziehung von Unternehmensverkäufen gerade die schwarze Null.
Die Bewertung dieser Zahl könnte unterschiedlicher kaum ausfallen. Erstmals seit dem Geschäftsjahr 2005/2006 schaffte Thyssenkrupp wieder einen positiven Cash-Flow, im Vorjahr lag er noch 357 Millionen Euro im Minus. „Das markiert für uns einen weiteren Meilenstein im Rahmen unseres Veränderungsprozesses“, sagte Hiesinger bei der Bilanzpressekonferenz. Für Cevian ist es dagegen bitter, dass nach wie vor so wenig Bares in die Kasse kommt.
Wenn schon die Aktie keine nennenswerten Kursgewinne einbringt, können wenigstens satte Dividenden den Investoren Geld ins Portfolio spülen. Doch auch die Dividenden fallen bei Thyssenkrupp – nicht zuletzt wegen des bescheidenen Cash-Flows – weiterhin bescheiden aus. Immerhin besser als in den drei Geschäftsjahren von 2010/11 bis 2012/13, als die Dividenden ganz ausfielen, aber nicht genug, um den Ansprüchen von Cevian gerecht zu werden. Nach elf Cent je Aktie 2013/14 soll die Dividende 2014/15 auf 15 Cent steigen. Große Sprünge sehen anders aus.
Nur bei der Dividende herrscht Einigkeit
Wenigstens bei der Bewertung der Dividende ist Hiesinger einer Meinung mit seinem Großinvestor. „Die Dividende kann uns mittelfristig nicht zufrieden stellen“, sagte Hiesinger bei der Vorstellung des Jahresergebnisses. „Es ist aber ein Schritt in die richtige Richtung, der auch unsere bilanziellen Erfordernisse berücksichtigt.“
Ansonsten gehen die Vorstellungen gravierend auseinander – und der Vorstandschef auf Distanz zu Cevian. Hiesinger setzt darauf, dass Thyssenkrupp sich kontinuierlich weiterentwickelt und will die höchst unterschiedlichen Sparten – Stahlerzeugung, Aufzüge, Automobilzulieferung, Industriedienstleistungen und Materialhandel – zusammenhalten. Cevian geht die Politik der kleinen, aber stetigen Schritte nicht schnell genug, weshalb die Schweden nun verstärkt über Abspaltungen nachdenken.
ThyssenKrupp in Zahlen
2013/2014: 41,3 Milliarden Euro
2012/2013: 39,8 Milliarden Euro
Quelle: Geschäftsberichte
2013/2014: 1,333 Milliarden Euro
2012/2013: 0,517 Milliarden Euro
2013/2014: 3,2 Prozent
2012/2013: 1,3 Prozent
2013/2014: 0,195 Milliarden Euro
2012/2013: -1,576 Milliarden Euro
2013/2014: -0,254 Milliarden Euro
2012/2013: -0,625 Milliarden Euro
2013/2014: 0,11 Euro je Aktie
2012/2013: 0,00 Euro je Aktie
Vorschlag an die Hauptversammlung
2013/2014: 3,488 Milliarden Euro
2012/2013: 5,038 Milliarden Euro
2013/2014: 3,199 Milliarden Euro
2012/2013: 2,512 Milliarden Euro
Die ertragsschwache Stahlsparte steht dabei aber – anders als bislang oft vermutet – nicht im Zentrum der Überlegungen. Cevian, so heißt es in Finanzkreisen, habe erkannt, dass für diese derzeit ohnehin kein attraktiver Preis zu erzielen sein wird. In Zeiten globaler Überkapazitäten und drohender Mehrbelastungen wegen schärferer CO2-Abgaben dürfte sich die Lage auch so schnell nicht signifikant verbessern.
Hiesinger erwartet Konsolidierung in Stahlbranche
Hiesinger hatte zum Jahreswechsel in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ gesagt, dass er angesichts der angespannten Lage in der Stahlindustrie ohnehin nicht mit Übernahmen rechne. Der Vorstandschef deutete allerdings an, dass er sich vorstellen könne, die Stahlsparte in ein gemeinsames Konsortium mit anderen Stahlherstellern einzubringen. „Wir gehen davon aus, dass es irgendwann zu einer Konsolidierung in der europäischen Stahlindustrie kommen wird“, sagte Hiesinger im Interview. „Wenn sich die Chance zur Konsolidierung bietet, werden wir uns daran beteiligen.“ Wann das sein wird, ließ er offen.
„Klassische Übernahmen“ – und damit auch lukrative Angebote – erwartet der Vorstandschef jedenfalls nicht. „Es wird vermutlich eher Zusammenschlüsse geben, bei denen sich die Anteilsverteilung dann aus den Wertverhältnissen ergibt. Wann das sein wird, ist unklar. Deshalb konzentrieren wir uns weiter auf uns selbst und steigern unsere Leistungsfähigkeit.“
Autozulieferbereich und Aufzugsparte im Visier
Dass diese Aussicht Cevian zufriedenstellen kann, darf getrost bezweifelt werden. Wenn Thyssenkrupp die Stahlsparte in ein Joint Venture einbringen würde, wäre kein großes Geld zu erlösen. Deshalb denken die Portfoliomanager der Schweden offenkundig über den Verkauf ganz anderer Sparten nach – wie den Automobilzulieferbereich oder die Aufzugsparte. Das wären echte Filetstücke, mit denen sich gut Kasse machen ließe. Ein weiterer Vorteil: Beide verarbeiten zwar Stahl, von dem sie einen Gutteil derzeit von ihrer Konzernschwester beziehen können, sie könnten aber dennoch relativ leicht aus dem Unternehmensverbund herausgelöst werden.
Ein Angebotsengpass herrscht auf dem Stahlmarkt beileibe nicht. Eine Abspaltung dieser Sparten würde das Gesicht von Thyssenkrupp jedoch tiefgreifend verändern: Die Aufzugsparte ist die Ertragsperle des Ruhrkonzerns. 2014/15 hat sie mit ihren Aufzügen und Rolltreppen sowie zugehörigen Servicedienstleistungen 794 Millionen Euro und damit fast die Hälfte des bereinigten operativen Gewinns vor Zinsen und Steuern (Ebit) des Konzerns in Höhe von 1,676 Milliarden Euro erwirtschaftet.
Mit Hiesingers Gegenwehr ist zu rechnen
Aus den guten Zahlen einzelner Sparten könnte sich ein satter Aufschlag ergeben, den die Teile des Konzerns mehr wert sind, als der ganze: Analysten verschiedener Banken schätzen allein den Wert der Aufzugsparte zwischen 10 und 12,5 Milliarden Euro. Das ist mehr, als der gesamte Konzern aktuell an der Börse kostet.
Die Marktkapitalisierung ist durch den Sinkflug der Aktie auf nur noch 8,5 Milliarden Euro gesunken. Der „Holding-Discount“, wie Investmentbanker sagen, könnte also beträchtlich sein. Das spornt Cevian wohl bei den Abspaltungsüberlegungen an.
Vorstandschef Hiesinger hingegen beteuert stets, weiter auf eine „Verbundstrategie“ in einem „diversifizierten Industriekonzern“ zu setzen. Eine Abspaltung der wertvollsten Teile könnte zwar kurzfristig Geld in die Kasse spülen. Dann würde sich allerdings die Frage stellen, wie der Rest-Konzern künftig eine gute Entwicklung nehmen soll, wenn die besten Stücke weg sind.
Einzelteil-Betrachtung „eine Milchmädchenrechnung"
Kein Wunder also, dass Hiesinger sich klar gegen solche Verkaufsambitionen stellt. Von den Rechenspielchen der Analysten, das stellte er im Interview mit der „Welt am Sonntag“ klar, hält er nicht viel. „Das ist eine Milchmädchenrechnung. Schließlich stehen die Schulden und die Pensionsverpflichtungen in der Bilanz auf Konzernebene. Würden die nun auf die einzelnen Business Areas umverteilt, hätten wir ein völlig anderes Bild. Das wird bei den Ableitungen über den Wert der Konzernteile gern mal vergessen.“
Am Freitag bei der Hauptversammlung wird Hiesinger für seine Sicht werben müssen. Schon bei der letzten Hauptversammlung hatten Aktionäre ihn gefragt, wie hoch der vom Vorstand beschworene Verbundvorteil genau sei – was Hiesinger und seine Kollegen nicht konkret beziffern konnten.
Spannend ist die Frage, wie direkt Cevian am Freitag gegen Hiesingers Positionen angehen wird. Angriffe auf seinen Job muss der Vorstandschef allerdings nicht fürchten. „Hiesinger“, das soll selbst der Cevian-Manager bei dem Gerspräch in Frankfurt gesagt haben, „ist der richtige Mann.“