Heinrich Hiesinger will Thyssenkrupp will ganz neu erfinden. Ein neues Logo und eine neue Farbe, ein neuer Slogan und eine neue Schreibweise des Firmennamens – statt ThyssenKrupp nun thyssenkrupp – sind nur die äußeren Zeichen eines tiefgreifenden Wandels. Seit seinem Amtsantritt als Vorstandschef hat Hiesinger den einstigen Stahlgiganten kräftig umgebaut.
Mit dem Stahl macht der Essener Konzern inzwischen nur noch ein gutes Viertel seines Umsatzes. Viel wichtiger noch: Als Hiesinger kam, steckte der Ruhr-Riese in einer existenziellen Krise. Jetzt verdient er wieder Geld. Die Zahlen, die Hiesinger und seine Vorstandskollegen am Donnerstag für das Geschäftsjahr 2014/15 vorlegen, werden die besten seit fünf Jahren sein.
Schon nach drei Vierteln des Geschäftsjahres vom 1. Oktober 2014 bis 30. September 2015 hatte das Nettoergebnis mit 285 Millionen Euro höher gelegen als der Gewinn des kompletten vorangegangen Geschäftsjahres. 2013/14 hatte Thyssenkrupp einen Überschuss von 195 Millionen Euro erwirtschaftet. Noch deutlicher lag das Neunmonatsergebnis zudem über dem Vergleichsresultat 2013/14, das 58 Millionen Euro betragen hatte.
Nettogewinn wohl verdoppelt
Als Nettogewinn dürfte in diesem Jahr eine halbe Milliarde Euro hängen bleiben, der Vorjahresgewinn hätte sich damit mehr als verdoppelt. Zugleich lockt das beste Ergebnis seit 2009/10, seinerzeit waren 927 Millionen Euro Gewinn übrig geblieben (siehe Grafik). Danach folgte eine Durststrecke mit Milliardenverlusten, insbesondere wegen hoher Abschreibungen auf die Fehlinvestitionen für Stahlwerke in den USA und Brasilien. Dreimal in Folge fiel die Dividende aus, erst im zurückliegenden Geschäftsjahr gab es mit elf Cent je Aktie wieder eine symbolische Mini-Dividende.
Nun ist mit einer spürbaren Anhebung der Dividende zu rechnen. Und auch operativ gesundet der ehemalige Intensivpatient: Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) lag mit 1,261 Milliarden Euro nach neun Monaten so hoch, dass Finanzvorstand Guido Kerkhoff die bereits angehobene Jahresprognose von 1,6 bis 1,7 Milliarden Euro nicht nur bestätigte, sondern sogar den „oberen Bereich“ der Spanne avisierte.
Selbst beim größten Problem, dem freien Liquiditätszufluss ohne Verkauf von Unternehmensteilen (Free Cashflow vor Desinvestitionen), zeichnet sich Besserung ab. Er lag mit einem Minus von 493 Millionen Euro zwar noch im negativen Bereich, die schwarze Null zum Geschäftsjahresende damit aber in Reichweite. Nach acht negativen Endergebnissen in Folge könnte der Freie Cashflow erstmals mindestens wieder ausgeglichen sein.
Aussichten trüben sich ein
Keine Frage: Die Sanierungsarbeiten von Hiesinger und seiner Mannschaft tragen Früchte. Jetzt darf erstmal geerntet werden. Nachlassen aber dürfen die Essener nicht. Ihre kurzfristigen Ziele für das Geschäftsjahr haben sie zwar erreicht, die langfristigen aber noch nicht. Um nachhaltig positive Nettoergebnisse, Cashflows und Dividenden zu erwirtschaften, hat Hiesinger ein bereinigtes Ebit von mindestens zwei Milliarden Euro als Ziel ausgegeben.
Welche Kennzahlen ThyssenKrupp-Chef Hiesinger verbessern will
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 4,3 Prozent
Ziel: 6-8 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 10,5 Prozent
Ziel: 15 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatz
aktuell*: 6 Mrd. Euro
Ziel: 8 Mrd. Euro
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 1,6 Prozent
Ziel: 3-4 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Gewinn (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 200 Mio. Euro
Ziel: 500 Mio. Euro, Kosten einsparen
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Um das zu schaffen, muss die positive Entwicklung weiter anhalten. Auch andere Baustellen sind noch nicht abgearbeitet: Die Nettoverschuldung war bei Vorlage der Neunmonatszahlen mit 4,4 Milliarden Euro weiter hoch, die Eigenkapitalausstattung mit einer Quote von unter zehn Prozent weiter dürftig. Nach wie vor gibt es also viel zu tun – doch am Horizont verdüstern sich die Aussichten.
„Über die Stahlindustrie sind weltweit dunkle Wolken aufgezogen“, räumte Hans Jürgen Kerkhoff, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, erst kürzlich ein. Überkapazitäten insbesondere aufgrund chinesischer Exporte belasten weiter den Markt, mit verschärften Emissionsregeln könnte die Stahlerzeugung in Europa komplett unwirtschaftlich werden. Die EU-Kommission will die Preise für CO2-Zertifikate deutlich verteuern.
Aktie weckt zuletzt wenig Fantasie
Der Materialhandel, die umsatzstärkste Sparte, hat es in Zeiten sinkender Stahlpreise ohnehin schwer, die Lagerbestände verlieren stetig an Wert. Mit Volkswagen ereilen den wohl wichtigsten Kunden der Autozuliefersparte Absatzprobleme. Trotz der positiven Entwicklung der Zahlen ist der Kursverlauf der Aktie alles andere als erfreulich. Bei Investoren konnte Thyssenkrupp zuletzt wenig Fantasie wecken.
Aktuell notiert sie bei knapp 19 Euro und damit rund einen Euro tiefer als vor einem Jahr, als der Preis pro Papier fast 20 Euro betrug. Vom Zwischenhoch im Mai dieses Jahres, als es auf über 26 Euro nach oben ging, sind die Anteilsscheine weit entfernt. Vielleicht hilft die Neuerfindung ja weiter.
Als neue Farbe hat sich Thyssenkrupp ein helleres Blau ausgesucht, das an das „Electric Blue“ (Elektroblau) angelehnt ist. Diese Farbe ist nicht nur Designern bekannt, sondern auch in der Kultur. Mehrere Musiker haben Lieder und Alben „Electric Blue“ genannt, sogar ein Pornofilm hieß so. So viel Fantasie wollen sie in Essen dann doch nicht wecken. Ein bisschen Kursfantasie und eine steigende Aktie erwarten die Investoren neben höheren Dividenden aber schon.