Noch herrscht Frieden im Pott. Urlaubsbedingt. Viele Stahlkocher der Hüttenwerke des Industriegiganten Thyssenkrupp weilen in den Sommerferien. Wenn sie Ende August an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, dann drehen sie nicht nur an den Hochöfen auf, sondern auch auf der Straße.
Die mächtige Gewerkschaft IG Metall ruft die Kollegen Ende August vor der Stahlzentrale in Duisburg zum Protest gegen die Fusionspläne von Konzernchef Heinrich Hiesinger auf. Der Top-Manager sondiert Möglichkeiten, wie er endlich das Stahlgeschäft des Essener Konzerns in den Griff kriegen könnte. Das leidet dramatisch unter billigen Stahlimporten, vor allem aus China.
Noch im Mai hatte Hiesinger seine Jahresprognose für den Gesamtkonzern wegen der Einbrüche im Stahlgeschäft nach unten geschraubt. Das Unternehmen rechnete im Mai für das Gesamtjahr nur noch mit einem operativen Ergebnis von 1,4 Milliarden Euro. Das Unternehmen drückt eine Schuldenlast von mehr als vier Milliarden Euro. Morgen legt Thyssenkrupp seine Neun-Monatszahlen vor.
Stahl in der Krise: Kommt die große Fusion?
Weltweit ist Stahl im Überfluss vorhanden. Das drückt auf die Preise. In Europa kämpft die Branche schon seit der Finanzkrise 2008 und dem Platzen der Immobilienblase in vielen südlichen Ländern mit Überkapazitäten. Denn seitdem werden viele Anlagen gerade in Südeuropa nicht mehr gebraucht.
Dramatisch verschärft hat sich die Lage, seitdem in China das Wirtschaftswachstum schwächelt. Das Land ist in den vergangenen 15 Jahren zum mit Abstand größten Stahlhersteller der Welt aufgestiegen. Doch braucht es einen großen Teil seiner Produktion nicht mehr und versucht, diesen auf dem Weltmarkt loszuwerden. Europäische Hersteller sehen darin Preisdumping - denn China-Stahl könne in Europa auch wegen der hohen Transportkosten nicht kostendeckend angeboten werden. Zuletzt entspannte sich die Lage ein wenig, nachdem die EU erste Schutzzölle eingeführt hat.
Absprachen innerhalb der Branche zur Drosselung der Produktion sind aus kartellrechtlichen Gründen tabu. Deshalb läuft ein gnadenloser Wettbewerb in der Hoffnung, dass den Schwächsten irgendwann die Luft ausgeht und sie aufgeben müssen. Doch das wird regelmäßig von der Politik verhindert. Denn Stahlwerke befinden sich oft in strukturschwachen Gebieten. Deshalb tut sich die Politik schwer, solche Anlagen sterben zu lassen. Angesichts der aktuellen Lage hat der Präsident des Weltstahlverbands, Wolfgang Eder, in dieser Woche bereits eine Unterstützung der öffentlichen Hand bei möglichen Schließungen oder bei einem Kapazitätsabbau in der europäischen Stahlbranche gefordert.
Die meisten Unternehmen fahren zweigleisig. Zum einen versuchen sie, so gut es geht Kosten zu sparen. Bei Thyssenkrupp haben sie sich etwa im April 2016 auf eine 31-Stunden-Woche verständigt, um einen umfangreichen Stellenabbau zu vermeiden. Der zweitgrößte deutsche Hersteller Salzgitter hat in den vergangenen Jahren rund 1500 Stellen abgebaut. Zum anderen versuchen die Unternehmen, sich mit Innovationen von Massenprodukten aus dem Ausland abzuheben.
Ende vergangenen Jahres zählte die Branche noch gut 86.000 Beschäftigte und damit etwa 1000 weniger als 2014. Seit 2013 geht die Beschäftigtenzahl in der Branche kontinuierlich zurück - allerdings ohne größere Einschnitte. Einen massiven Personalabbau hatte es zuletzt Anfang der 1990er Jahre gegeben. Beim Branchenführer Thyssenkrupp gibt es für die Stahl-Beschäftigten zudem eine Vereinbarung über den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2021.
In der Branche hoffen das viele. Wenn sich zwei zusammenschließen, könnten Kosten gemeinsam besser gesenkt werden. Allerdings ist ein Durchregieren in der Stahlbranche, die von besonders starken Mitbestimmungsrechten der Arbeiter geprägt ist, nicht möglich. Und dann ist die Frage, ob mögliche Produktionskürzungen nach einer solchen Fusion überhaupt etwas bringen, wenn es anderswo keine Einschnitte gibt. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) fasst es so zusammen: Er sei kein Freund von Zusammenschlüssen in Deutschland, weil dann hierzulande vermutlich Arbeitsplätze wegfielen, obwohl die ineffizienten Stahlwerke im Ausland stünden.
Zu einer „Deutschen Stahl AG“ aus Thyssenkrupp und Salzgitter, die auch Gabriel ablehnt, dürfte es schon allein wegen Kartellbedenken nicht kommen. Allerdings wird seit Jahren die nächste Konsolidierungswelle in der Stahlbranche erwartet. „Jeder spricht mit jedem“, heißt es in der Branche, doch Handfestes gibt es bislang nicht. Im Hintergrund machen Investoren großen Druck. Thyssenkrupp muss sich seit Jahren für ein Festhalten am schwankungsanfälligen Stahlgeschäft rechtfertigen. Eine Fusion mit den niederländischen Tata-Aktivitäten samt eines Versuchs, das Geschäft ganz abzuspalten, klingt daher keinesfalls abwegig. Ohne Zustimmung der Arbeiter wird das aber kaum gelingen.
Immerhin, Konkurrent Salzgitter berichtet, erste EU-Antidumping-Maßnahmen gegen Billigimporte aus China hätten seit dem Frühjahr einen überraschend kräftigen Rückgang von Stahlimporten aus dem Reich der Mitte und dadurch einen Anstieg der Preise vieler Stahlprodukte bewirkt. Davon wird sicher auch Thyssenkrupp profitieren.
Sparen und Kräfte bündeln
Aus dem Schneider ist das Stahlgeschäft der Essener aber längst nicht. Denn nicht nur Chinas Billigimporte drücken die Preise, die Überkapazitäten auf dem europäischen Stahlmarkt tun ihr Übriges. Außerdem drohen noch verschärfte Klimaziele der EU, die den Industriekonzern erheblich belasten könnten. Eine Konsolidierung des europäischen Marktes ist nur eine Frage der Zeit. In seinen europäischen Stahlwerken fiel der Gewinn von Thyssenkrupp im Halbjahr um 40 Prozent auf 115 Millionen Euro, die brasilianischen Werke schreiben tiefrot.
Hiesinger muss seine Stahlsparte mit ihren 28.000 Beschäftigen restrukturieren. Er führt deshalb Gespräche mit dem indischen Konkurrenten Tata Steel über eine Fusion der europäischen Aktivitäten beider Konzerne. Wegen der Entscheidung der Briten, aus der EU austreten zu wollen, wird Tata wohl aber an seinen defizitären Werken in Großbritannien festhalten müssen. Das erschwert die Fusionspläne mit Thyssenkrupp. Denn sinnvoll wäre eine solche Zusammenlegung nur, wenn Standorte zusammengelegt beziehungsweise geschlossen würden.
In Deutschland ruft das die IG Metall auf dem Plan, die den Verlust Tausender Arbeitsplätze hierzulande fürchtet. Am 31. August, wenn der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel tagt, ruft die Gewerkschaft deshalb zu einem Aktionstag auf. „Wer Hand an die Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp Steel legt, wird unseren Widerstand zu spüren bekommen“, kündigte die Gewerkschaft an.
Stahl ist nicht die einzige Baustelle bei Thyssenkrupp
Die Stahlsparte ist allerdings nicht die einzige Baustelle in dem Essener Konzern. Umbauen will Hiesinger auch die Industriesparte, dort sollen ebenfalls Stellen wegfallen. Die Sparte plant und baut Zement- und Chemiefabriken, Kokereien und Raffinerien. Sie baut außerdem Anlagen für den Bergbau und entwickelt Automatisierungslösungen für die Autoindustrie.
Etliche Großkunden halten sich derzeit mit Aufträgen zurück. Im April platzte die Hoffnung auf einen Multi-Milliarden-Euro-Auftrag aus Australien für U-Boote mit deutscher Technik. Statt bei Thyssenkrupp bestellten die Australier neue Unterseeboote beim französischen Konkurrenten DCNS. Der Auftrag hat einen Umfang von umgerechnet 35 Milliarden Euro.
Welche Kennzahlen ThyssenKrupp-Chef Hiesinger verbessern will
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 4,3 Prozent
Ziel: 6-8 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 10,5 Prozent
Ziel: 15 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatz
aktuell*: 6 Mrd. Euro
Ziel: 8 Mrd. Euro
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 1,6 Prozent
Ziel: 3-4 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Gewinn (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 200 Mio. Euro
Ziel: 500 Mio. Euro, Kosten einsparen
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Neuen Ärger hat Thyssenkrupp-Chef Hiesinger außerdem auch bei seiner Rüstungstochter Atlas Elektronik. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt wegen der Zahlung von Bestechungsgeldern an türkische Berater. Die Tochtergesellschaft Atlas, die je zur Hälfte Thyssenkrupp und Airbus gehört, soll den Verkauf von Torpedos und Sonargeräten an Griechenland und die Türkei mit Schmiergeldern angeschoben haben. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Bestechung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung.