Ein heißeres Eisen könnte Hiesinger kaum anfassen. Bis heute erinnert sich jeder altgediente Manager im Konzern an die bittere Schließung des 1908 gegründeten Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen 1988. Es kam fast zu Straßenschlachten vor den Toren der Hütte, die Cromme auf Geheiß von Beitz dichtmachte. Krupp wollte den Flachstahl nicht mehr – und bekam ihn wieder, als Krupp mit Thyssen fusionierte. Cromme versuchte, die gemeinsame Stahlsparte an die Börse zu bringen, musste das Projekt aber auf Druck der Gewerkschaften und der stahlverliebten Thyssen-Fraktion fallen lassen.
Aber die Abneigung gegen den Stahl hat Cromme und Beitz nie verlassen. Umso unverständlicher war es, dass sie dem Bau der Stahlwerke in Süd- und Nordamerika zustimmten und damit das aktuelle Desaster auslösten. Hiesinger hat als Ex-Siemens-Mann und gebürtiger Schwabe keine emotionale Beziehung zum Stahl.
Cromme und Beitz trugen alles mit...
In einer Sondersitzung am 20. November versuchte der ThyssenKrupp-Aufsichtsrat erneut, die Verursacher des Milliardendesasters bei den Stahlwerken in Brasilien und Alabama (USA) auszumachen.
Die Kontrolleure unter Gerhard Cromme beriefen sich auf einen internen Bericht, nach dem Antworten des gesamten früheren Vorstands auf Fragen des Aufsichtsrates „unvollständig und teilweise falsch“ gewesen seien. Damit sprach sich Cromme frei.
Seit 2007 hatte sich aber abgezeichnet, dass die Baukosten der Stahlwerke „erheblich vom Plan abweichen“, wie es in einer Aufsichtsratsvorlage heißt. Cromme und Beitz zogen dennoch nicht die Notbremse. Schuld an Fehlentwicklungen im Konzern seien, so ein früherer Manager, „immer die anderen.“
Die Chancen der Gewerkschafter, Cromme und Hiesinger von ihrem Plan abzubringen, sind gering. ThyssenKrupp-Manager berichten, Hiesinger sei bereit, alle Register zu ziehen, um ThyssenKrupp unabhängiger vom schwankenden Stahlgeschäft zu machen: von der Auslagerung in eine Teilgesellschaft bis zum teilweisen oder vollständigen Börsengang.
Den Nukleus des künftigen Konzerns sollen das lukrative Aufzugsgeschäft, der Anlagenbau und Teile des Komponentengeschäfts (Kurbelwellen) bilden. Das hat Hiesinger intern verkündet. Das Aufzugsgeschäft soll technisch aufgemöbelt werden. Dabei steht Siemens, mit dem sich ThyssenKrupp den Chefaufseher Cromme teilt, parat: Da in Asien und den USA mehr Aufzugssysteme mit integrierter Zugangs- und Sicherheitskontrolle nachgefragt werden, die ThyssenKrupp nicht anbietet, üben die Essener engen Schulterschluss mit den Siemensianern. Die bei der Gebäudetechnik das elektronische Know-how beherrschen. Hiesinger war mal Chef dieser Siemens-Sparte.
Seit voriger Woche ist klar, dass der Schnitt an der Spitze die Machtverhältnisse zugunsten von Hiesinger verschoben hat. Cromme muss sich als geschwächt betrachten. Denn zerrissen ist nun die unselige Kette, die von Beitz über Cromme und dessen Kommunikator Claassen bis zu Hiesinger reichte und diesen einschnürte. Wer auch immer aus dem Konzern Claassens teure Auslandsreisen an die Öffentlichkeit brachte: Damit zerstörte er das entscheidende Glied dieser Kette. Claassen war einst Krupp-Direktor und dann Büroleiter von Cromme, bevor er vor zwei Jahren in den ThyssenKrupp-Vorstand berufen wurde.
Der Lohn war Cromme und seinem Gönner Beitz gewiss. Jeden Montag erstattete Claassen in Beitz’ Villa über dem Essener Kruppwald Bericht über das innere und äußere Erscheinungsbild von ThyssenKrupp.