Düsseldorf Die deutschen Stahlkonzerne haben nichts unversucht gelassen: Den Druck auf die Politik erhöht, neue Sparprogramme aufgelegt und die internen Abläufe optimiert. Doch all die Anstrengungen schlagen sich bislang kaum in den Ergebnissen nieder. Statt der erhofften Trendwende schon in diesem Sommer heißt es: Noch ein wenig Geduld. Das zweite Halbjahr soll nun deutlich besser ausfallen als die erste Jahreshälfte.
Es spricht einiges dafür: Die verschärfte Restrukturierung greift, vor allem aber zeigen die Anti-Dumping-Maßnahmen der EU gegen Billigimporte aus China und Russland erste Wirkung. Zwar fallen die bislang verhängten Strafzölle der Europäer deutlich niedriger aus als die der USA. Sie haben aber bislang ausgereicht, die Flut der Stahlimporte einzudämmen. Die hatte vor knapp einem Jahr eine Preiserosion ausgelöst, unter der alle Konzerne massiv gelitten haben.
Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger sieht jedenfalls nach weiteren Gewinneinbußen Licht am Ende des Tunnels. „Wir verzeichnen jetzt erste Verbesserungen bei den Roh- und Werkstoffpreisen. Dies wird sich günstig auf die weitere Ergebnisentwicklung auswirken“, sagte der Manager am Donnerstag bei der Vorlage des Quartalsberichts. Auch werde der von der Stahlkrise gebeutelte Industriekonzern seine Sparanstrengungen weiter forcieren. Im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2015/16 (per Ende September) sei der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) um 18 Prozent auf 441 Millionen Euro gefallen. Von Reuters befragte Analysten hatten im Schnitt mit 415 Millionen Euro gerechnet.
Stahl in der Krise: Kommt die große Fusion?
Weltweit ist Stahl im Überfluss vorhanden. Das drückt auf die Preise. In Europa kämpft die Branche schon seit der Finanzkrise 2008 und dem Platzen der Immobilienblase in vielen südlichen Ländern mit Überkapazitäten. Denn seitdem werden viele Anlagen gerade in Südeuropa nicht mehr gebraucht.
Dramatisch verschärft hat sich die Lage, seitdem in China das Wirtschaftswachstum schwächelt. Das Land ist in den vergangenen 15 Jahren zum mit Abstand größten Stahlhersteller der Welt aufgestiegen. Doch braucht es einen großen Teil seiner Produktion nicht mehr und versucht, diesen auf dem Weltmarkt loszuwerden. Europäische Hersteller sehen darin Preisdumping - denn China-Stahl könne in Europa auch wegen der hohen Transportkosten nicht kostendeckend angeboten werden. Zuletzt entspannte sich die Lage ein wenig, nachdem die EU erste Schutzzölle eingeführt hat.
Absprachen innerhalb der Branche zur Drosselung der Produktion sind aus kartellrechtlichen Gründen tabu. Deshalb läuft ein gnadenloser Wettbewerb in der Hoffnung, dass den Schwächsten irgendwann die Luft ausgeht und sie aufgeben müssen. Doch das wird regelmäßig von der Politik verhindert. Denn Stahlwerke befinden sich oft in strukturschwachen Gebieten. Deshalb tut sich die Politik schwer, solche Anlagen sterben zu lassen. Angesichts der aktuellen Lage hat der Präsident des Weltstahlverbands, Wolfgang Eder, in dieser Woche bereits eine Unterstützung der öffentlichen Hand bei möglichen Schließungen oder bei einem Kapazitätsabbau in der europäischen Stahlbranche gefordert.
Die meisten Unternehmen fahren zweigleisig. Zum einen versuchen sie, so gut es geht Kosten zu sparen. Bei Thyssenkrupp haben sie sich etwa im April 2016 auf eine 31-Stunden-Woche verständigt, um einen umfangreichen Stellenabbau zu vermeiden. Der zweitgrößte deutsche Hersteller Salzgitter hat in den vergangenen Jahren rund 1500 Stellen abgebaut. Zum anderen versuchen die Unternehmen, sich mit Innovationen von Massenprodukten aus dem Ausland abzuheben.
Ende vergangenen Jahres zählte die Branche noch gut 86.000 Beschäftigte und damit etwa 1000 weniger als 2014. Seit 2013 geht die Beschäftigtenzahl in der Branche kontinuierlich zurück - allerdings ohne größere Einschnitte. Einen massiven Personalabbau hatte es zuletzt Anfang der 1990er Jahre gegeben. Beim Branchenführer Thyssenkrupp gibt es für die Stahl-Beschäftigten zudem eine Vereinbarung über den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2021.
In der Branche hoffen das viele. Wenn sich zwei zusammenschließen, könnten Kosten gemeinsam besser gesenkt werden. Allerdings ist ein Durchregieren in der Stahlbranche, die von besonders starken Mitbestimmungsrechten der Arbeiter geprägt ist, nicht möglich. Und dann ist die Frage, ob mögliche Produktionskürzungen nach einer solchen Fusion überhaupt etwas bringen, wenn es anderswo keine Einschnitte gibt. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) fasst es so zusammen: Er sei kein Freund von Zusammenschlüssen in Deutschland, weil dann hierzulande vermutlich Arbeitsplätze wegfielen, obwohl die ineffizienten Stahlwerke im Ausland stünden.
Zu einer „Deutschen Stahl AG“ aus Thyssenkrupp und Salzgitter, die auch Gabriel ablehnt, dürfte es schon allein wegen Kartellbedenken nicht kommen. Allerdings wird seit Jahren die nächste Konsolidierungswelle in der Stahlbranche erwartet. „Jeder spricht mit jedem“, heißt es in der Branche, doch Handfestes gibt es bislang nicht. Im Hintergrund machen Investoren großen Druck. Thyssenkrupp muss sich seit Jahren für ein Festhalten am schwankungsanfälligen Stahlgeschäft rechtfertigen. Eine Fusion mit den niederländischen Tata-Aktivitäten samt eines Versuchs, das Geschäft ganz abzuspalten, klingt daher keinesfalls abwegig. Ohne Zustimmung der Arbeiter wird das aber kaum gelingen.
„Wir konzentrieren uns weiter auf die Dinge, die wir selbst beeinflussen können. Und das zeigt Wirkung“, betonte Hiesinger. Die bisher erzielten Einsparungen von mehr als 700 Millionen Euro lägen über den Planungen. Der Manager bekräftigte die im Mai gesenkte Prognose. Danach soll das bereinigte Ebit im Gesamtjahr bei mindestens 1,4 (Vorjahr: 1,68) Milliarden Euro liegen und der Überschuss auf dem Vorjahresniveau von zuletzt 268 Millionen Euro. Im dritten Quartal schrumpfte der Nettogewinn um ein Drittel auf 130 Millionen Euro.
In der europäischen Stahlsparte, die Hiesinger womöglich mit dem Konkurrenten Tata Steel fusionieren will, schrumpfte der operative Gewinn im Quartal auf 91 von 166 Millionen Euro. Auch das vor dem Umbau stehende Geschäft mit dem Anlagen- und U-Boot-Bau lief deutlich schlechter als vor Jahresfrist. Es fuhr noch mit 43 Millionen Euro weniger als die Hälfte des Vorjahreswertes ein. Hauptgewinntreiber waren das Geschäft mit Autoteilen und die lukrative Aufzugssparte.
Welche Kennzahlen ThyssenKrupp-Chef Hiesinger verbessern will
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 4,3 Prozent
Ziel: 6-8 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 10,5 Prozent
Ziel: 15 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatz
aktuell*: 6 Mrd. Euro
Ziel: 8 Mrd. Euro
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Umsatzrendite (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 1,6 Prozent
Ziel: 3-4 Prozent
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Zielgröße: Gewinn (vor Zinsen und Steuern; Ebit)
aktuell*: 200 Mio. Euro
Ziel: 500 Mio. Euro, Kosten einsparen
*Geschäftsjahr 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014
Seit dem Frühjahr haben sich die Preise an den Spotmärkten spürbar erholt und sich zumindest auf das Niveau des Vorjahres eingependelt. Dass sich diese Entwicklung noch nicht in den Bilanzen der Stahlkonzerne wiederfindet hat, vor allem mit den längerfristigen Verträgen zu tun, die die Stahlindustrie mit ihren Kunden in der Regel über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten abschließt. „Es wurden bislang noch Mengen ausgeliefert mit Preisen, die im Dezember ausgehandelt wurden“, sagte der Branchenspezialist Marc Alexander Gabriel vom Bankhaus Lampe. „Aber das Umfeld hilft, die Erholung kommt.“ Das gilt vor allem für die Rohstoffpreise, die nicht im gleichen Maße angezogen haben. Auch das dürfte die Bilanz der Stahlkonzerne aufhellen.
Preise haben sich stabilisiert
So bekräftigte am Mittwoch die Salzgitter AG, Deutschlands zweitgrößter Stahlkocher hinter Thyssenkrupp, ihre angehobene Ergebnisprognose für das laufende Geschäftsjahr – obwohl die Niedersachsen im ersten Halbjahr einen spürbaren Gewinneinbruch wegen des von den Billigimporten ausgelösten Preisdrucks verkraften mussten. So ging der Vorsteuergewinn in den ersten sechs Monaten auf 16,1 Millionen Euro von 80 Millionen Euro im gleichen Zeitraum des Vorjahres zurück.
Einige Analysten hatten hier durchaus mehr erwartet: „Das Stahlgeschäft von Salzgitter blieb erstaunlich schwach und konnte bislang nicht von den höheren Preisen profitieren“, sagte Carsten Riek von der UBS. In die schwarzen Zahlen geholfen hat dem Stahlkonzern vor allem die Überweisung seiner Tochter Aurubis über 26 Millionen Euro. Salzgitter ist mit 25 Prozent an Europas größter Kupferhütte beteiligt und erhält einen anteiligen Ergebnisbeitrag.
Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann erwartet für das Gesamtjahr einen Vorsteuergewinn von 30 bis 60 Millionen Euro – ein spürbares Plus gegenüber dem Vorjahr mit 13 Millionen Euro. Dennoch will sich Salzgitter nicht auf die Politik allein verlassen.
„Wir begrüßen die dringend erforderlichen Anti-Dumping-Initiativen der EU-Kommission, ohne die wesentliche Teile der europäischen Stahlindustrie mittelfristig in Frage gestellt wären“, sagte er. „Da von einer generellen Lösung der Probleme noch keine Rede sein kann, werden wir auch weiterhin den Fokus auf die Optimierung der Prozesse und Strukturen unseres eigenen Unternehmens setzen.“
Ein neuerlicher Abschwung bei den Stahlpreisen wie im Vorjahr droht derzeit wohl nicht. „Wir sehen einen gewissen Beruhigungseffekt über den Sommer“, sagte am Dienstag Wolfgang Eder, Vorstandschef von Voestalpine. Der Österreicher ist auch Präsident des Branchenverbands Worldsteel. Das Preisniveau dürfte bis Jahresende in etwa stabil bleiben: „Das ist schon ein Fortschritt.“ Für Experten wie Gabriel eine gute Nachricht: „Damit dürften die Stahlkonzerne einigermaßen gut durch das Jahr kommen“, sagte er. „Gerade Thyssenkrupp und Salzgitter müssten bei dem jetzigen Stahlpreisniveau deutlich bessere Margen machen.“