Es gibt viele Irrtümer, die durch Nachrufe und erwartungsvolle Spekulationen waberten. Vor fast genau einem Jahr, am 30. Juli 2013, verschied Berthold Beitz im 100. Lebensjahr in seinem Sommerhaus in Kampen auf Sylt. Sein Tod fachte gewaltige Nachfolge-Erwartungen an. Niemand konnte sich vorstellen, dass Beitz überhaupt nicht ersetzt wird, dass es ohne ihn kein Vakuum an der Spitze des ThyssenKrupp-Konzerns geben werde.
„Nach Beitz wird es keinen Beitz mehr geben“, dieser Satz stammte von ihm selber, und erfüllte sich. Die Stiftung gab ihre Stellung als aktiver Ankeraktionär auf und wandelte sich nur noch zum größten Anteilseigner, der keine Ambitionen für das Tagesgeschäft mehr hat.
Blasse Nachfolger
Die Stiftungsvorsitzende Ursula Gather ist Wissenschaftlerin und Wissenschaftsmanagerin, als Oberhaupt des Kuratoriums kümmert sie sich nur noch um die Zuschüsse an Nachwuchswissenschaftler und Fördergelder für Kunstaustellungen. Das Repräsentieren, eine der Lieblingsbeschäftigungen des oft wie ein Filmschauspieler auftretenden, charismatischen Beitz, ist in der Stiftung deutlich in den Hintergrund getreten.
Immerhin: Beim traditionellen Regatta-Essen im Kaisersaal des Kieler Yachtclubs war sie anlässlich der Kieler Woche dabei. Vor dem Yachtclub wartete am anderen Tag ihr Dienstwagen, ein E-Klasse-Mercedes mit dem Kennzeichen E-RZ-3. Der 500er-Daimler von Beitz mit dem programmatischen Kennzeichen E-RZ-1 wird nicht mehr eingesetzt.
Einen Großkopfeten in der Stiftung, der Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens ThyssenKrupp nimmt, gibt es nicht mehr und wird es auch nicht mehr geben. Schon am ersten Tag nach dem Tod von Beitz wurden Kuratoriums-Vorsitz und Vorstandsvorsitz in der Stiftung getrennt, so wollte es die Satzung nach dem Ableben des früheren Krupp-Testamentsvollstreckers. Im Vorstand gibt es keine herausragende Figur mehr. Vorstandsmitglied Ralf Nentwig, der auch Aufsichtsratsmitglied bei ThyssenKrupp ist, gibt sich unauffällig.
Die Stiftung ist zwar mit 23 Prozent größter Aktionär, aber die Sperrminorität hat sie verloren. Zweitgrößter Aktionär ist die schwedische Cevian-Gruppe, die schon sehr viel aktiver in die Geschäfte eingreift und ThyssenKrupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger kontrolliert. Cevian hält 15 Prozent an dem Konzern und will sein Paket weiterhin aufstocken.
Die Stärken von Beitz
Beitz genoss Zeit seines Lebens hohes internationales Ansehen und besaß damit Strahlkraft auch für die weltweiten Geschäfte von ThyssenKrupp.
Er verfügte über enge persönliche und politische Verbindungen in den USA, nach Israel und in die arabischen Staaten - auch durch seinen Widerstand gegen die Nazi-Diktatur.
Beitz richtet Krupp auf das Zivilgeschäft aus. Waffengeschäfte kamen erst wieder durch die Fusion mit Thyssen in den Konzern.
Er besaß ein funktionierendes Netzwerk der Macht in Europa.
Beitz baute die Rolle der Stiftung als Schutz vor feindliche Übernahmen aus.
Das Stiftungskuratorium ist so überaltert wie eh und je. Stellvertreter von Frau Gather ist der 91-jährige frühere Forschungsmanager Reimar Lüst. Als einflussreichstes Mitglied gilt die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), der vor allem der Standort Nordrhein-Westfalen am Herzen liegt und die verhindern möchte, dass bei bevorstehenden Sanierungsmaßnahmen allzu viel Arbeitsplätze an Rhein und Ruhr verloren gehen.
„Was würde Alfried dazu sagen?“, war der ständige Satz, den Berthold Beitz im Mund führte. Alfried Krupp war der letzte Krupp, der im Konzern das Sagen hatte und Beitz zum Testamentsvollstrecker machte. Der legte diesen Auftrag sehr weit aus. So wurde Beitz zuweilen von vielen Zeitgenossen fälschlicherweise als der letzte Krupp tituliert. Doch das war zu viel der Ehre. „Was würde Berthold dazu sagen?“, diese Frage wird bei ThyssenKrupp in diesen Tagen nicht mehr gestellt.
Das Erbe drohte zu zerbrechen
Wenn diese Frage in den vergangenen zwölf Monaten gestellt worden wäre, dann hätte man die Antwort nicht gern gehört. Denn das Erbe Alfried Krupps stand in der Wahrnehmung vieler ThyssenKrupp-Manager kurz vor dem Zerbrechen. Auch wenn immer wieder von Hiesinger und seinem Finanzchef Guido Kerkhoff betont wurde, dass die liquiden Mittel des Konzerns ausreichten, kochten immer wieder Gerüchte hoch, die Banken würden über neue Konditionen und neue Sicherheiten mit dem Vorstand verhandeln.
Das nährte die Unsicherheit über den Bestand des Konzerns, viele Beobachter sahen das Riesenreich bereits in Auflösung. Denn bei ThyssenKrupp gediehen die guten und profitablen Unternehmensteile neben den maroden, verlustreichen Geschäften. Zwölf Milliarden Euro hatten zwei Stahlwerke in Übersee, in Alabama (USA) und in Brasilien gekostet und damit den Investitionsrahmen um das mehr als Dreifache gesprengt. Hiesinger-Vorgänger Ekkehard Schulz hatte am Ende seiner Amtszeit einen Scherbenhaufen hinterlassen.
Die Aufräumarbeiten von Hiesinger dauern bis heute an. Es gelang, das Walzwerk in Alabama an den indischen Unternehmer Lakshmi Mittal zu verkaufen, der sich das nagelneue Werk als Schnäppchen sicherte. Auf der brasilianischen Stahlhütte blieb ThyssenKrupp sitzen, bis heute. Aber die anderen Geschäftsbereiche wie das Aufzugsgeschäft, der Großanlagenbau und die Automotive-Komponentenfertigung florierten so stark, dass sie durch die gewaltigen Stahl-Fehlinvestments nicht ins Wanken gebracht wurden.
Die Schwächen von Beitz
Berthold Beitz behielt seinen autokratischen Führungsstil im Stil der fünfziger Jahre bis zum Schluss bei.
Er vermischte die Interessen der Stiftung mit den Interessen des Unternehmens.
Zum Schluss sammelte Beitz nur noch Günstlinge jeden Alters um sich.
Er konnte nicht rechtzeitig aus dem aktiven Berufsleben abtreten.
Berthold Beitz ließ Heldenverehrung zu, zum Beispiel als in seiner Anwesenheit eine Straße in Essen nach ihm benannt wurde. Das hatten selbst Axel Springer und Willy Brandt vor ihm nicht gewagt. Beitz warf damit seine eigenen Grundsätze über Bord
Konzern ohne Magie
In der Nach-Ära Beitz verloren vor allem die Medien einen wichtigen Kulminationspunkt von Spekulationen und Geheimnistuereien, die früher vom Konzern sogar bewusst angefeuert wurden. Die magische Wirkung von Berthold Beitz fehlte nun, damit auch der Eindruck, dass der Vorstand von ThyssenKrupp dem Marionettentheater eines Methusalems glich.
Immer wieder rankten sich Anekdoten um den Einfluss von Beitz, der das Stahlabenteuer in Übersee nicht mehr überblicken konnte, weil es ihm an Kraft fehlte. Die immer wieder gestreuten Gesundheitsbulletins, Beitz sei „fit wie ein Turnschuh“ stimmten schon lange nicht mehr. Wie es normal war für einen Mann in seinem Alter, ließ die Aufmerksamkeit schon nach einer Stunde Vortrag seiner Vorstände nach. Die wiederum brüsteten sich später, sie hätten das Plazet von Beitz bekommen, um sich zu exculpieren. So wollte zum Schluss keiner mehr Schuld sein an der größten Fehlinvestition der deutschen Wirtschaft seit Jahrzehnten.
Zwei Karrieren nahmen ein unrühmliches Ende. Beitz selber war es, der zwei Männer noch kurz vor seinem Tod vom Sockel stieß, unversöhnlich und unnachgiebig. Der eine war der Unglücksrabe Schulz, den Beitz aus der Aufsichtsrat und aus der Stiftung warf, der andere war Gerhard Cromme, den er kurz nach dessen 70. Geburtstag nach langen Jahren des Erfolgs und der Loyalität schlichtweg vor die Tür setzte.
Zu dieser Zeit hatte Cromme bereits lange vorgesorgt und firmierte, wohl sein nahes Ende in der Gunst von Beitz vorausahnend, in der großen Politik schon lange nicht mehr als Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp und Vizechef der Stiftung, sondern nur noch als Siemens-Chefkontrolleur, der er auch war. In offiziellen Schreiben an die Kanzlerin und an den französischen Präsidenten Hollande stand Cromme im Briefkopf zum Schluss nur noch als Siemens-Aufsichtsratsvorsitzender. Das war bereits vor dem Bruch mit Beitz. Dieser kam für viele überraschend, aber wohl nicht für Cromme.
Mit Beitz ist nicht der letzte Krupp in der deutschen Wirtschaft abgetreten, sondern der letzte Autokrat. Das war in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren kein Schimpfwort, damals wimmelte es in der deutschen Wirtschaft nur so von Autokraten. Mannesmann-Chef Egon Overbeck war so einer, sämtliche Allianz-Chefs, aber auch die Vorstandsvorsitzenden der Energiekonglomerate waren Egomanen. Dieser Managementstil ist heute Tabu.