Enders hat aus dem Milliardenfiasko zu Beginn des Super-Airbus A380 gelernt, als Probleme in der Produktion teure Verspätungen bei der Auslieferung verursachten. Seitdem weiß er, wie wichtig ungefilterte Rückmeldungen aus der Belegschaft anstelle von Pseudoerfolgsmeldungen des mittleren Managements sind. „Weil Probleme bei Airbus wenn überhaupt verspätet oder gefiltert zu den Chefs drangen, will Enders genau wissen, woran es hakt und wie es besser gehen könnte“, sagt Shakeel Adam, Inhaber der Unternehmensberatung Aviado Partners aus Eschborn bei Frankfurt. Zu diesem Zweck ermuntert der Airbus-Chef Mitarbeiter sowie die Leser seines Blogs, ihm Kommentare und Mails zu schreiben. „Die beantwortet er, was viele erstaunt, sehr oft selbst sowie klar und deutlich, wie es seine Art ist“, sagt Airbus-Strategiechef Lahoud.
Diese offene Diskussion praktiziert Enders bis in die Vorstandssitzungen. „Tom will vor einer Entscheidung alle Aspekte beleuchten und ruht erst, wenn er das geschafft hat“, sagt Bernhard Gerwert, Leiter der Airbus-Rüstungs- und Raumfahrtsparte. Trotzdem dauern die Sitzungen nicht länger. „Früher wurde gerne eine Agenda voller vorab ausgetüftelter Kompromisse, Pro-forma-Wortmeldungen und langer Präsentationen abgearbeitet“, sagt Airbus-Finanzchef Harald Wilhelm. „Jetzt wird wirklich diskutiert, bis wir eine Sache endgültig im Team entscheiden.“ Allerdings verlangt Enders, dass alle Teilnehmer Entscheidungen mit Leib und Seele mittragen.
Das frühere Gegeneinander verwandelte Enders in ein Miteinander, indem er seinen direkt Unterstellten (im Konzernjargon „minus 1s“) mehr Verantwortung sowie Freiheit bei der Umsetzung von Projekten gibt. Auf diese Weise hat er zum Beispiel den Chef der Ziviljetsparte, Fabrice Brégier, für sich gewonnen. Der Franzose hätte sich laut Insidern vor zwei Jahren selbst die Konzernführung zugetraut. Um ihn zu halten, gab ihm Enders die Zuständigkeit für den neuen A350-Jet, der Airbus’ Rolle im Langstreckengeschäft sichern soll. Unter Enders genössen Top-Manager „hohes Zutrauen“, sagt Finanzchef Wilhelm. Stimme die Leistung nicht, sei das aber „auch schnell aufgebraucht“, und der Betroffene könne sich einen neuen Job suchen.
Gleichwohl erwartet Enders nicht Ergebnisse um jeden Preis. Fast ebenso wichtig sind ihm fairer Umgang und Zusammenarbeit über die Grenzen des eigenen Teams. Um dies zu befördern, hat Enders 2500 Sport- und sonstige Events aufgelegt, um den Teamgeist zu stärken. Jeder Mitarbeiter muss sich vor seiner Beförderung einem Test stellen, bei dem hochrangige Manager und Experten von außerhalb des Konzerns prüfen, ob der Kandidat zum Chef und Teamplayer taugt. Zudem bietet Airbus neben dem klassischen Aufstieg noch eine Expertenkarriere, bei der besonders talentierte Ingenieure und Spezialisten eigene Felder in der Forschung und Entwicklung ohne große Personalverantwortung erhalten.
Mit dem Kick von draußen
Seit Enders Airbus regiert, macht er den Konzern trotz seiner vier Heimatländer Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien noch internationaler und vielfältiger. Dazu muss Personalchef Baril bevorzugt Mitarbeiter aus anderen Ländern und Branchen suchen. „Das bringt uns neben neuen Ideen vor allem ein Ende der deutsch-französischen Gegensätze und animiert sogar die etwas egomanen Absolventen französischer Eliteschulen zu mehr Kreativität und Teamgeist“, meint ein Insider.
Den Kick von draußen braucht Enders auch, um die Produktion zu globalisieren. Hubschrauber und Passagierflugzeuge werden bereits in Übersee gebaut. Nun soll die Rüstungssparte folgen und statt heute ein Viertel künftig gut 40 Prozent ihrer Einnahmen außerhalb Europas erzielen. Dazu wird Airbus Töchter etwa in Brasilien, Singapur oder Indien gründen und dort bis zu 10 000 Leute beschäftigen. „Heute erwarten die Auftraggeber bei einer Bestellung im Gegensatz zu noch vor fünf Jahren nicht nur eine Produktion, sondern auch eine Entwicklung der Produkte vor Ort“, sagt Spartenchef Gerwert. „Und wir sollen auch in der Lage sein, bestimmte Märkte aus diesen Ländern heraus zu bedienen.“
Ob Enders’ Kulturwandel ausreicht, um Airbus ausreichend zu stärken, will niemand beschwören. Doch auf dem richtigen Weg sehen ihn alle. „Enders hat das Eis gebrochen“, sagt Experte Schulte. „Auch wenn die Fahrrinne gelegentlich frei gehalten werden muss, ist das Gröbste wohl geschafft.“