Toyota, Daimler und Co. Das Rennen um die Autodaten ist gestartet

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Kosten und Entwicklungszeit sollen drastisch sinken


Toyota-Entwickler Murata kann den Andrang verstehen. „Die Autoindustrie gilt als konservativ“, sagt er. „Doch Toyota hat früh realisiert, dass wir sterben werden, wenn wir unseren damaligen Ansatz beibehalten.“ Der Grund: Das Auto wird immer mehr zu Software auf Rädern. Damit werde die bisherige Strategie, alle wichtigen Funktionen mit den Zulieferern allein zu entwickeln, nicht nur zu teuer, sondern auch zu langsam für eine immer schnellere Welt.

So dauert die Entwicklung eines klassischen Navigationssystems bisher drei Jahre. Im Vergleich zu Rivalen wie Google Maps ist es so bereits veraltet, wenn es auf den Markt kommt. Und es lässt sich nicht einfach mit einem Download updaten, ist nicht auf andere Hersteller oder nächste Modellreihen übertragbar. Kurzum: Das bisherige Entwicklungsmodell der Autohersteller, dem Kunden ein fertiges und nicht veränderbares Produkt auf den Hof zu stellen, wird zum Problem.

AGL sollte durch gemeinsame Entwicklung die Kosten und die Entwicklungszeiten drastisch senken. Die Faustregel seo, dass der gemeinsame Code 70 Prozent des Betriebssystems eines Autos abdeckt, erklärt AGL-Chefmoderator Cauchy. Die Hersteller erhalten damit die Grundfunktionen frei Haus und haben immer noch genug Raum, dem Interface zwischen Fahrern und Auto einen sehr eigenen Touch zu geben.

Doch wichtiger noch ist für Murata, dass die Autobauer sich die Funktionen der Plattform nicht von irgendeinem dritten Unternehmen diktieren lassen müssen. „Wir haben so die Freiheit, die Plattform nach unseren Bedürfnissen zu gestalten.“ Und mit „wir“ meint er alle Teilnehmer der Autoindustrie – von den Autobauern bis hin zu den Zulieferern.

Dies merkt man der Software an. Stolz präsentieren verschiedene Softwarehersteller auf ihrem Entwicklergipfel, wie reibungslos das Zusammenspiel zwischen Lüftung, Soundsystemen, Kameras, der Darstellung von allen möglichen Fahrdaten, Landkarten, eintreffenden E-Mails und selbst das Hin- und Herschieben von Inhalten über mehrere Bildschirme funktioniert.

Apple und Google werden sich in der AGL-Welt damit begnügen müssen, dass Kunden sie über eine Schnittstelle zuschalten können. Und auch für die gibt es bereits mit Smart Device Link ein Konsortium, das den Zugang regelt. Es wurde von Ford initiiert und von Toyota massiv gefördert. Inzwischen wirken auch dort mehrere Autohersteller mit.

Japan ist Vorreiter bei Open Source

Doch es gibt zwei andere große Ziele, die selten offen von den Autoherstellern ausgesprochen werden: Die Autohersteller wollen den direkten Kontakt zu den Kunden und die Kontrolle über die riesigen Datenmengen behalten, die das Auto der Zukunft über die Fahrer und die Umgebung sammeln wird. Google bietet zwar sein Betriebssystem kostenlos an. „Dafür übernimmt Google auch die Daten und legt die Funktionen fest“, erklärt Fulup Ar Foll, dessen Firma IoT.BZH – finanziert von Toyota und dem japanischen Chiphersteller Renesas – die meisten Programmzeilen für AGL geliefert hat.

Das wollen die Hersteller vermeiden. Sie wollen nicht wie die Handyhersteller von den Plattformanbietern dominiert werden. Denn mit Daten werden in Zukunft große Geschäfte gemacht. In Japan hat Toyota bereits angefangen, Fahrdaten von Autos auszuwerten, um Behörden und Firmen regionale Verkehrsdaten zu verkaufen. Darüber hinaus werden neue Dienste aufgebaut. Ein Beispiel ist die genaue Analyse des Fahrstils von Kunden für Autoversicherer. Und dies ist nur der Anfang.

Für AGL-Koordinator Cauchy ist es kein Zufall, dass Japaner den Gegenangriff der Autohersteller auf Apple, Google & Co. initiiert haben. Schon Japans Elektronikhersteller und Telekomriesen hätten früh auf Linux gesetzt. Jahre bevor Android auf den Markt kam, liefen in Japan Handys auf Linux. „Sie scheinen sich komfortabel mit Open-Source-Software zu fühlen.“

Dass allerdings Toyota die Führung übernimmt, hängt mit Konzernchef Akio Toyoda zusammen. Seit der Enkel des Firmengründers 2009 das Steuer übernahm, drängt er den Konzern zu Kooperationen mit Softwaregiganten und schnellen Entscheidungen. Per Handschlag schloss er ein Bündnis mit Salesforce.com, verbündete sich mit Microsoft und gründete das Toyota Research Institute, das künstliche Intelligenz nicht nur für Autos, sondern alle Lebens- und Arbeitslagen entwickeln soll.

Ein Japan-Chef eines ausländischen Zulieferers orakelte bereits 2011 in Anspielung auf den legendären Apple-Chef, dass Toyoda zum „Steve Jobs der Autoindustrie“ werden könnte. Auch beim automobilen Betriebssystem ist Toyodas neuer Schwung spürbar. Toyota sei „wirklich visionär“, meint Cauchy. „Toyota wollte Open-Source-Software und hat die Vision stark an andere Firmen verkauft.“ Und dafür investiert der Autobauer seit Jahren in AGL, auch als das Konsortium sich zuerst langsam entwickelte.

Noch ist Cauchy allerdings vorsichtig mit Prognosen über den Sieger des Kampfes zwischen dem Geist des Silicon Valley und den Autoherstellern. „Das Wettrennen hat gerade erst begonnen“, meint er. Allerdings ist er optimistisch, dass Toyota nicht der einzige Anwender von AGL bleibt. Einige Mitglieder befänden sich in Lauerstellung, andere in verschiedenen Entwicklungsstufen: „2018 sollte sehr wichtig für AGL werden, 2019 riesig.“

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