Übernahmewelle Die Schwächen der deutschen Pharmaindustrie

Im Wochentakt übernehmen Arzneimittelhersteller für Milliardensummen Wettbewerber. Die Mehrheit der deutschen Unternehmen hat kein Geld oder baut auf Wachstum aus eigener Kraft. Der weitere Abstieg ist programmiert.

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Deutsche Pharmabranche steht vor Abstieg Quelle: Anna Schneider für WirtschaftsWoche

Schon wieder die anderen: 40 Milliarden Dollar bietet der israelische Pharmakonzern Teva, der weltweit größte Hersteller von Nachahmerpräparaten, für den US-Konkurrenten Mylan. Klappt die Übernahme, entstünde ein globaler Generikagigant mit einem Jahresumsatz von knapp 30 Milliarden Dollar.

Eigentlich wäre Mylan auch ein lohnendes Ziel für den deutschen Konkurrenten Ratiopharm gewesen. Doch das sind Träume von vorgestern. Der einstige Eigentümer von Ratiopharm, der schwäbische Patriarch Adolf Merckle, hatte jahrelang auf die eigene Kraft vertraut. Doch als er sich in der Finanzkrise verspekulierte, daraufhin in den Freitod ging und Ratiopharm zum Schuldenausgleich herhalten musste, war diese Strategie gescheitert. Seit fünf Jahren gehört das Unternehmen Teva.

Der Fall ist speziell, am Ende aber typisch für die deutschen Medikamentenhersteller. In keiner anderen Branche laufen derzeit so viele Firmenübernahmen und Zusammenschlüsse wie in der Pharmaindustrie. Allein im noch jungen Jahr 2015 waren es bislang 15 Milliardenzukäufe. Und in keiner anderen Industriebranche sind deutsche Unternehmen so weit außen vor: An den Top-Deals sind fast immer nur Amerikaner beteiligt.

Deutschland ist nicht mehr die Apotheke der Welt

Nur ein heimisches Unternehmen fiel in den vergangenen zwölf Monaten durch eine größere Übernahme auf: Für 14 Milliarden Euro erwarb Bayer dessen Sparte für rezeptfreie Präparate vom US-Konzern Merck. Ansonsten Fehlanzeige. Der große Rest rutscht immer mehr ins Abseits, weil sich neue Player bilden, die Konkurrenz durch Zukäufe an neue Top-Medikamente kommt und sich so gegen den Ablauf von Patenten und Flops in der Forschung absichert.

Nachdem Deutschland schon vor knapp drei Jahrzehnten den Ruf verloren hat, die Apotheke der Welt zu sein, fällt der Pharmastandort nun ein weiteres Mal zurück. Von der einstigen Vorzeigebranche existiert nur noch eine Handvoll Anbieter. Mit Ausnahme von Bayer steigen alle auf dem Weltmarkt zu Nebendarstellern ab.

Den jüngsten traurigen Beleg dafür lieferte Boehringer am vergangenen Mittwoch. Der zweitgrößte deutsche Pharmahersteller mit Sitz im rheinland-pfälzischen Ingelheim musste für 2014 einen Umsatzrückgang im Pharmageschäft um etwa sieben Prozent auf 10,1 Milliarden Euro einräumen. Vor wenigen Jahren war Boehringer noch schneller als der Pharmamarkt gewachsen. Konzernchef Andreas Barner verzichtete vor wenigen Monaten auf ein neues Hepatitis-Mittel, da inzwischen der US-Konkurrent Gilead einen großen Teil des Marktes kontrolliert.

Die größten Probleme bei Boehringer

Die Kalifornier hatten vor drei Jahren für stolze elf Milliarden Dollar das US-Biotech-Unternehmen Pharmasset geschluckt und damit den Grundstein für den Erfolg mit der neuen Hepatitis-Pille Sovaldi gelegt. Boehringer, das größere Zukäufe ablehnt und lieber auf eigene Präparate wie Spiriva gegen Raucherlunge und das Blutgerinnungsmittel Pradaxa vertraut, hatte das Nachsehen.

In der Liga von Bayer spielen in Deutschland nur wenige

Begonnen hat der Abschied der deutschen Pharmabranche von der Weltbühne im Grunde mit der Zerschlagung des Frankfurter Pharmakonzerns Hoechst, der zu Beginn der Achtzigerjahre die globale Nummer eins war. Das Unternehmen führt heute ein Schattendasein im französischen Sanofi-Konzern. Ein weiterer Tiefschlag für die Branche war die Entscheidung der risikoscheuen Großaktionärin Susanne Klatten aus der Quandt-Dynastie, 2006 die Pharmasparte des vormaligen Dax-Konzerns Altana zu verkaufen.

Das Unternehmen hatte durch Managementfehler den Anschluss verpasst und gehört inzwischen zum japanischen Konzern Takeda. Seither sind Hunderte Arbeitsplätze vor allem am Forschungs- und Produktionsstandort Konstanz weggefallen.

Entsprechend dezimiert präsentiert sich inzwischen die Riege hiesiger Pillenproduzenten. In der Liga von Bayer spielen allenfalls noch der schwächelnde Familienkonzern Boehringer sowie Merck in Darmstadt, ein börsennotierter, aber familiendominierter Chemie- und Medikamentenhersteller mit einem Pharmajahresumsatz von knapp sechs Milliarden Euro.

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