Ulrich Lehner Die stille Macht am Rhein

Der Ex-Henkel-Chef ist der Prototyp des neuen Aufsichtsrats: ein konsensorientierter Teamplayer. Bei der Telekom und ThyssenKrupp hat er damit Erfolg. Doch wenn es hart kommt, stößt der Kuschelkurs an seine Grenzen.

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Ulrich Lehner Ex-Henkel-Chef Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Ulrich Lehner sieht die 5000 Menschen nicht, die nur wenige Meter vor ihm im Dunkeln stehen. Alle Scheinwerfer sind auf ihn gerichtet. In diesen Sekunden gibt es für ihn nur eines, seinen Kontrabass. Ein letztes Mal rückt er seine große, rotbraune Hornbrille zurecht. Dann zupft er los, solo, den Jazz-Klassiker „Miss Jackie’s Delight“ des US-Saxofonisten Cannonball Adderly. Erst nach dem 64. Takt stoßen die übrigen Musiker hinzu, die Mitglieder der Jazz-Band „Wolf Doldinger & Best Friends“ .

Der Auftritt des 68-Jährigen am 12. Dezember 2013 geht als denkwürdiger Tag in die Geschichte der Deutschen Telekom ein. Der Bonner Konzern hatte zur Weihnachtsfeier geladen, Tausende waren an diesem Donnerstagabend in das riesige Foyer der ehemaligen T-Mobile-Zentrale am Bonner Landgrabenweg geströmt – auch und gerade, um Telekom-Chef René Obermann wenige Tage vor seinem Wechsel zum niederländischen Kabelnetzbetreiber Ziggo persönlich zu verabschieden.

Das Netzwerk von Ulrich Lehner

Doch zum Star des Abends wurde nicht der scheidende Konzernlenker, sondern Lehner, sein Kontrolleur. Der mächtige Aufsichtsratschef der Telekom hatte wenige Minuten vor seinem Auftritt sämtliche Vorbereitungen durchkreuzt, seine vorbereitete Laudatio auf Obermann weggelegt und zum Kontrabass gegriffen.

Der Star des Abends

Typisch Lehner: Den Takt vorgeben, dazu den Rhythmus und die Melodie, nicht laut, aber eindeutig und bestimmt, ruhig mehrmals, damit es jeder hört, und dann, wenn der Beat steht, die Mannschaft mitnehmen, damit die ein furioses Stück abliefert.

Der mächtigste und mit rund 2,2 Millionen Euro pro Jahr höchstdotierte Aufsichtsrat Deutschlands, der die Kontrollgremien von Deutscher Telekom und ThyssenKrupp leitet, dem Gesellschafterausschuss von Henkel angehört und noch Mandate beim Energieriesen E.On und Sportwagenbauer Porsche hat, verkörpert den Prototyp eines neuen Aufsichtsstils.

Was andere Manager über Lehner sagen
Timotheus HöttgesVorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG„Herr Lehner versteht es geschickt immer sympathisch zu vermitteln. Er kombiniert mit seiner analytischen Gabe und versteht es so, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren, das ist oft entlarvend. Er stellt die Sache und niemals sich in den Mittelpunkt. Er ist immer für mich da und ansprechbar - das schätze ich sehr, genauso wie seinen rheinischen Humor.“ Quelle: dpa
Werner WenningAufsichtsratsvorsitzender E.On AG„Ulrich Lehner liebt Klassik und Jazz, er spielt verschiedene Instrumente. Welche? Ich sag’s mal so: Wegen eines dieser Instrumente könnte man ihn den Woody Allen der deutschen Industrie nennen.“ Quelle: dpa
René ObermannEhemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG„Ulrich Lehner ist ein Meister darin, bei komplexen Themen die wesentlichen Dinge herauszuarbeiten und für Klarheit zu sorgen. Das ist eine seiner größten Stärken.“ Quelle: REUTERS
Carsten SpohrVorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG„Es fällt leicht, sich Ulrich Lehner verbunden zu fühlen – und das nicht nur als dem Ruhrgebiet nahestehender Wirtschaftsingenieur. Er hat einen "präzisen" Humor, hat durch seinen parallelen Fokus auf Fakten UND Menschen Großartiges geleistet und ist in der deutschen und internationalen Wirtschaft hervorragend vernetzt – kurz gesagt, er ist eine der wirklich großen Führungspersönlichkeiten der deutschen Wirtschaft.“ Quelle: dpa
Michael Sommerehemaliger DGB-Chef„Ein absoluter Profi. Er weiß, was er will und sucht den Ausgleich. Die freundliche Art sollte man aber nicht mit mangelnder Durchsetzbarkeit verwechseln.“ Quelle: dpa
Ingo SpeichFondsmanager Union Investment„Er polarisiert nicht, er stellt sich selbst nicht in den Mittelpunkt. Wenn Veränderungen anstehen, bemüht er sich, alle mitzunehmen, von der Mitarbeitern bis zu den Aktionären.“ Quelle: Presse
August-Wilhelm Scheerehemaliger Präsident des Bundesverbandes Informationstechnik, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom)„Im Beruf kann man delegieren, beim Jazz funktioniert das nicht. In einer Jazzband ist der Bassist der Tragende und die stabile Säule. Das gilt insbesondere auch für Ulrich Lehner.“ Quelle: REUTERS

Lehner gilt als der Gegenentwurf zu den unnahbaren Herrschern wie einst Gerhard Cromme bei ThyssenKrupp oder Heinrich v. Pierer bei Siemens. Stattdessen gibt der Hobbymusiker den großen Dirigenten, der zuhört, argumentiert, diskutiert und den Konsens will. Große Investmentfonds und Vertreter von Kleinaktionären, Gewerkschafter und Konzernvorstände betrachten ihn deswegen als Idealbesetzung für heikle Kontrollposten.

Nicht aggressiv genug?

Gleichwohl stehen den Bewunderern diejenigen gegenüber, denen Lehner zu sehr den Konsensonkel und Vertreter einer neuen Deutschland AG mit persönlichem Filz anstelle scharfer Kontrolle repräsentiert. Für sie nehmen Aufsichtsratschefs seines Typs die Top-Manager nicht aggressiv genug ran und grätschen nicht konsequent dazwischen, wenn diese den Fokus auf die Rendite zu verlieren drohen.

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