Ulrich Lehner Die stille Macht am Rhein

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Entree in die Top-Aufsichtsratsszene

Das Entree in die Top-Aufsichtsratsszene resultiert jedoch aus der Zeit beim Düsseldorfer Chemie- und Konsumgüterhersteller Henkel (Pril, Pritt, Persil), wo Lehner 1981 im Alter von 35 Jahren als Leiter Beteiligungen Inland seine Karriere beginnt. Nach einem Exkurs von drei Jahren bei der Friedrich Krupp GmbH in Essen kehrt er 1986 zurück und tritt nach einigen Stationen im Jahr 2000 die Nachfolge von Hans-Dietrich Winkhaus an der Konzernspitze an. Als er diese nach acht Jahren verlässt, hat er den Konzern internationalisiert, wie es keinem anderen Dax-Konzernchef gelang.

Ranking der DAX-Aufsichtsräte

Im Stil des Düsseldorfer Familienkonzerns, Konflikte im Stillen und ohne Krawall beizulegen, regiert Lehner nun auch im Herzen der deutschen Industrie und kommt damit offenbar bei den meisten Akteuren an. Die deutsche Fondsgesellschaft Union Investment etwa, die Kundenvermögen in Höhe von rund 225 Milliarden Euro verwaltet, stimmte 2013 seiner Wiederwahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Telekom zu. Das war eine kleine Sensation. Denn Lehner verfügt über mehr als fünf Aufsichtsratsmandate, was gegen die internen Richtlinien vieler institutioneller Anleger verstößt.

Nachfolger von Gerhard Cromme

Union-Fondsmanager Ingo Speich erklärt sein positives Votum nicht nur damit, dass Lehner signalisiert habe, die Zahl seiner Mandate zu reduzieren. Für Speich zählt vor allem, dass Lehner bei den deutschen Unternehmen „einen guten Job“ mache. Bei ThyssenKrupp etwa sei für die Nachfolge Crommes „niemand außer Lehner ernsthaft“ infrage gekommen. „Er polarisiert nicht, er stellt sich selbst nicht in den Mittelpunkt. Wenn Veränderungen anstehen, bemüht er sich, alle mitzunehmen, von den Mitarbeitern bis zu den Aktionären“, sagt Speich.

Ähnlich argumentieren die Verwalter der Fondsgesellschaften des Versicherungskonzerns Allianz (AGI), die 373 Milliarden Euro Kundenvermögen verwalten. Sie setzten sich ausdrücklich über das Votum des US-Aktionärsberaters Institutional Shareholder Services hinweg, die Fondsmanagern empfohlen hatte, gegen die Wiederwahl Lehners in den Telekom-Aufsichtsrat zu stimmen.

Die Allzweck-Waffen der Deutschland AG
Aufsichtsratschef Gerhard Cromme (70) hat bei Thyssen-Krupp seinen Hut genommen – die Rückendeckung des 99-jährigen Firmenpatriarchen und Ehrenvorsitzenden Berthold Beitz war abhanden gekommen. In der Diskussion um die Nachfolge fallen Namen, die in der Welt der Aufsichtsräte wohl bekannt sind. Aktionärsschützer sprechen sich für einen externen Kandidaten als Nachfolger bei Thyssen-Krupp aus. Dieser könne einen wirklichen Neuanfang bei dem von Milliarden-Verlusten, Kartellverfahren und Personalquerelen erschütterten Traditionskonzern verkörpern, sagte ein Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Quelle: dapd
Zu den möglichen Nachfolgern zählt Ulrich Lehner, Ex-Henkel-Chef und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses des Chemie- und Waschmittelkonzerns. Der 66-Jährige ist bereits Mitglied des Thyssen-Krupp-Aufsichtsrat und hat damit auch eine Teilverantwortung an den großen Fehlinvestitionen des Stahlkonzerns in USA und Brasilien getragen. Lehner ist nicht unterbeschäftigt: Er ist Aufsichtsratschef der Telekom und kontrolliert den Energiekonzern Eon und den Sportwagenhersteller Porsche. Kritisiert worden war Lehner jüngst unter anderem dafür, dass er als Mitglied des Verwaltungsrats des Schweizer Pharmakonzerns Novartis eine 58-Millionen-Euro Prämie für den scheidenden Vorsitzenden Daniel Vasella verabschiedet hatte. Vasella hatte schließlich auf öffentlichen Druck auf öffentlichen Druck auf die Zahlung verzichtet. Quelle: AP
Der ehemalige Präsident des BDI, Hans-Peter Keitel, gilt ebenfalls als Nachfolgekandidat für Cromme bei Thyssen-Krupp. Er ist 65 Jahre alt und war bis 2007 Chef des Baukonzerns Hochtief. Er sitzt 2010 im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp. Quelle: dpa
Mit dem Rückzug Crommes bei Thyssen-Krupp gerät auch seine Zukunft als Aufsichtsratschef bei Siemens ins Wanken. Der Münchener Mischkonzern rumort und ein Name kursiert als möglicher Nachfolgekandidat: Wolfgang Reitzle. Der Vorstandschef beim Industriegase-Konzern Linde hat bereits klar gemacht, seinen Vorstandsvertrag nicht zu verlängern und nicht in den Aufsichtsrat wechseln zu wollen. Die Industrieexpertise gilt als Pluspunkt des 64-Jährigen. Quelle: dpa
Bei Linde wird Reitzle vom Aufsichtsrat unter der Führung von Manfred Schneider überwacht. Der ehemalige Chef des Chemie-Konzerns Bayer ist 74 Jahre alt und weiter einer der meist gefragten Aufsichtsräte in Deutschland. Außer bei Linde ist er auch Aufsichtsratschef vom Energiekonzern RWE. Quelle: dapd
Josef Ackermann Quelle: dpa
Mit einer Ausnahmeregel bei der Altersgrenze soll auch BMW-Chefkontrolleur Joachim Milberg (69) weitermachen dürfen. Das Unternehmen stehe vor großen Herausforderungen, ein geeigneter Nachfolger sei nicht in Sicht, lautet die Begründung. Quelle: AP

Keine Frage, Lehners Konsensstrategie ist für hartgesottene angelsächsische Wadenbeißer höchst gewöhnungsbedürftig. Er sei zutiefst von der Kraft der besseren Argumente überzeugt, berichten Aufsichtsratskollegen aller Couleur. Festgefahrene Diskussionen entspanne er mit einer witzigen Bemerkung. Dass er mal wütend mit der Faust auf den Tisch haut, hat noch keiner erlebt.

Zutiefst von der Kraft der besseren Argumente überzeugt

„Herr Lehner versteht es geschickt, immer sympathisch zu vermitteln“, sagt Timotheus Höttges, Vorstandschef bei der Deutschen Telekom. „Er kombiniert mit seiner analytischen Gabe und versteht es so, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren, das ist oft entlarvend. Er stellt die Sache und niemals sich in den Mittelpunkt.“

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