Im Osten enteignet
Sein wirtschaftliches Überleben verdankt Villeroy & Boch auch dem Umstand, dass das Unternehmen die Produktpalette seit der Fusion 1836 systematisch ausgeweitet hat. Zu Fliesen und Tischporzellan kamen zunächst Gläser aus der 1843 gegründeten Cristallerie Wadgassen hinzu. 1856 eröffnete das Werk in Dresden, das auch den „Dresdner Milchladen“ beliefern sollte, heute eine der größten touristischen Attraktionen der Stadt. 1870 begann die Faiencerie in Wallerfangen mit der Fertigung von „Wasserleitungsgegenständen“, den Vorläufern der späteren Sanitärkeramik, mit der Villeroy & Boch heute gutes Geld verdient.
Einen ebenfalls tiefen Einschnitt brachte das Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Fabriken in Deutschland waren erheblich beschädigt, die Werke in Breslau (heute Polen) sowie Dresden und Torgau in der späteren DDR enteignet. Die saarländischen Fabriken gehörten erneut zum französischen Wirtschaftsraum. Plötzlich wurde Frankreich der Hausmarkt des Unternehmens. Doch schon zehn Jahre später, 1955/56, war es damit wieder vorbei. Wettbewerber wie Rosenthal oder Hutschenreuther hatten jedoch die Zeit genutzt, um in Deutschland zu wachsen. Villeroy & Boch machte aus der Not allerdings eine Tugend und war binnen weniger Jahre auf zwei Märkten zu Hause, dem französischen und dem deutschen.
Heute, 265 Jahre nach der Gründung, sind die Probleme des Unternehmens andere, aber nicht kleiner. Villeroy & Boch musste in den vergangenen Jahren Tausende Arbeitsplätze abbauen und mehrere Werke schließen. Seit drei Jahren stagniert der Umsatz. 2009 und 2010 machte das Unternehmen Verlust. Zudem wurde Villeroy & Boch wegen verbotener Preisabsprachen im Sanitärbereich zu einer Kartellstrafe von 71,5 Millionen Euro verurteilt.
Grund für die Zuspitzung war die Flut billiger Porzellanimporte aus Asien, verschärft durch die Konkurrenz von Möbelhändlern und Discountern sowie das veränderte Konsumverhalten. Die Zeiten, in denen Hochzeitslisten und Wunschzettel für Geburtstage und Jubiläen die Kassen von Herstellern und Händlern füllten, gehören der Vergangenheit an.
In Deutschland, mit 202,5 Millionen Euro Umsatz voriges Jahr der größte Markt von Villeroy & Boch, gaben die Verbraucher 2012 nach Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Marktmedia24 pro Kopf gerade einmal 105,45 Euro für Glas, Porzellan, Keramik und Haushaltswaren aus. Frankreich schwächelt ebenfalls und brachte 2012 nur ein Drittel des Umsatzes in Deutschland. Der Unternehmensbereich Bad und Wellness litt in den ersten neun Monaten 2013 erneut unter Europas Schuldenkrise.