Verteidigung gegen neue Gefahren Bundeswehr soll innovativer Technikkonzern werden

Cyberattacken, Hybridkrieg, Propaganda im Netz: Gegen die neue Bedrohung sucht die Bundeswehr neue Verbündete. Start-ups sollen ihr helfen, innovativer zu werden. Was klappt und wo es hakt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
So marode ist die Bundeswehr
Aufklärungsjets am BodenImmer neue Einsätze stellen Deutschlands Armee vor Herausforderungen. Immer wieder kommt es dabei auch zu Problemen mit dem Material. So waren die deutschen "Tornados", die für Aufklärungsflüge gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak eingesetzt werden, zunächst nachts nicht einsetzbar. Die Cockpit-Beleuchtung war zu hell. Zwar hat die Bundeswehr die Flieger nachgerüstet, doch nicht alle Jets sind tatsächlich einsetzbar. Von den 93 deutschen Tornados waren laut Berichten aus dem November nur 66 in Betrieb - und nur 29 einsatzbereit. Das macht eine Quote von 44 Prozent, vor einem Jahr waren immerhin noch 58 Prozent der Flugzeuge einsatzbereit. Die teilweise über 30 Jahre alten Flugzeuge gelten als Auslaufmodelle. Quelle: dpa
Kampfjets ohne RaketenBeim Nachfolgemodell Eurofighter sind immerhin schon 55 Prozent der 109 Kampfjets einsatzbereit. Dieser Wert lag im vergangenen Jahr aber noch bei 57 Prozent. Wie im November bekannt wurde, fehlt es der Bundeswehr allerdings an Raketen für ihre Flugzeuge: Insgesamt 82 radargelenkte Amraam-Raketen besitzt die Bundeswehr, berichtet die "Bild am Sonntag". Im Ernstfall aber sollte jeder Jet mit zwei Raketen bestückt werden - die Bundeswehr bräuchte also 218 Amraam-Raketen. Quelle: dpa
Hubschrauber mit TriebwerksschädenNoch schlechter steht es um die Hubschrauber-Flotte: Nur 22 Prozent der Transporthubschrauber des Typs NH90 der Bundeswehr sind einsatzbereit. Der Hubschrauber hat vor allem Probleme mit seinen Triebwerken: 2014 musste ein Pilot auf dem Stützpunkt in Termes in Usbekistan notlanden, weil ein Triebwerk explodiert war. Eigentlich hat sich die Bundeswehr das Ziel gesetzt, dass 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Bestandes für den täglichen Dienst nutzbar sein soll. Doch insbesondere bei ihren Fluggeräten verfehlt die Bundeswehr diesen Werte oft deutlich. Quelle: dpa
Flügellahmes FluggerätSo ist nur jeder vierte Schiffshubschrauber "Sea King" (siehe Foto) bereit für einen Einsatz. Beim Kampfhubschrauber Tiger liegt die Quote bei 26 Prozent, beim Transporthubschrauber CH53 immerhin schon bei 40 Prozent. „Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend“, urteilt Generalinspekteur Volker Wieker in seinem aktuellen Bericht zum Zustand der Hauptwaffensysteme. 5,6 Milliarden Euro will die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren investieren, um den Zustand ihrer Ausrüstung zu verbessern. Quelle: dpa
Transportflugzeuge mit LieferschwierigkeitenUnd von den Transportflugzeugen "Transall" sind nur 57 Prozent bereit zum Abheben. Die teilweise über 40 Jahre alten Flugzeuge gelten als anfällig für technische Defekte. 2014 sorgte das für eine Blamage für die Bundeswehr im Irak, wo die Ausbilder der Bundeswehr kurdische Peschmerga-Kämpfer bei ihrem Kampf gegen den "Islamischen Staat" unterstützen sollten. Weil die Transall-Maschine streikte, konnten die Soldaten nicht zu ihrer Mission aufbrechen und mussten die Maschine wieder verlassen. Eigentlich sollen die Transall-Flugzeuge in den kommenden Jahren durch neue Airbus-Transportflugzeuge des Typs A400M ersetzt werden. 53 der Maschinen hat die Bundeswehr bestellt, doch die Auslieferung verzögert sich. Erst zwei Exemplare kann die Bundeswehr dieses Jahr im Empfang nehmen, die dazu nicht mal alle Funktionen haben: Fallschirmspringer zum Beispiel können die ausgelieferten Flugzeuge nicht absetzen. Airbus muss wegen der Probleme 13 Millionen Euro an den Bund zahlen. Quelle: dpa
Panzer mit BremsproblemenDie Bodenausrüstung findet sich zwar in besserem Zustand als die Flugsysteme der Bundeswehr. Aber auch hier gibt es Probleme, zum Beispiel beim Panzer "Puma". Aus Sicherheitsgründen musste die Höchstgeschwindigkeit für den Panzer von 70 km/h auf nur noch 50 km/h heruntergesetzt werden. Der Grund: Bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h bremst der Panzer nicht mehr zuverlässig, der Bremsweg verdoppelt sich, wie das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBs) bei Tests herausfand. Die Probleme gab es wohl auch, weil die Bundeswehr erst spät in der Entwicklungsphase den Wunsch einbrachte, dass der Panzer bis zu 70 km/h schnell fahren sollte. Außerdem sollte der 1000 PS starke, bis zu 2000 Schuss pro Minute abfeuernde Panzer ohne Panzerung nur 31,5 Tonnen wiegen. Die Hersteller Krauss Maffei und Rheinmetall hatten Schwierigkeiten, die Auflagen zu erfüllen. Auch deshalb lieferten sie den Panzer erst in diesem Juni aus, ganze fünf Jahre später als geplant. Quelle: dpa
Das Skandal-GewehrDas Dauerthema bleibt jedoch das Pannengewehr G36: Das Sturmgewehr des Herstellers Heckler und Koch soll bei hohen Temperaturen nicht mehr präzise schießen, Verteidigungsministerin von der Leyen erklärte daraufhin, das Gewehr habe bei der Bundeswehr keine Zukunft. Rund 180 Euro hat die Bundeswehr für die insgesamt 178.000 Gewehre bezahlt. Die Aufklärung der Affäre bindet viele Kapazitäten im Ministerium: Insgesamt vier Kommissionen befassen sich mit dem Skandal. Ab 2019 soll ein neues Sturmgewehr das G36 ablösen. Quelle: dpa

Für das Speeddating mit der Zukunft hat Gundbert Scherf eine besonders hippe Location ausgewählt: das St. Oberholz in Berlin-Mitte. Jeder Start-up-Unternehmer kennt das Café, in dessen Nischen, die hier „Co-Working-Spaces“ heißen, Technikfreaks und Kreative um Ideen ringen. Es gibt hauseigenen Kaffee und eine alternative Teeselektion. Wer hier einkehrt, trifft seinesgleichen: Gründer mit Visionen, aber ohne Geld. Scherf sieht sich als Gleichgesinnten, mit dem Unterschied, dass er Geld mitbringt. Der Haken dabei: Dazu müssen Start-ups mit Scherfs derzeitigem Arbeitgeber ins Geschäft kommen – und das ist das Bundesverteidigungsministerium, eine Behörde, die für Bürokratie und Komplexität bekannt ist und die nicht unbedingt zur Kernkundengruppe der Start-up-Bewegung gehört. Scherf kommt von der McKinsey-Beratertruppe, der Bundeswehr dient er noch bis Jahresende als „Beauftragter für strategische Steuerung Rüstung“.

Es ist ein nasskalter Nachmittag, als Scherf ein Dutzend Gründer ins Oberholz einlädt. Sie sitzen auf Holzschemeln und hören sich an, was der Mann vom Ministerium zu sagen hat: dass die Bundeswehr schneller und innovativer werden muss. Das Militär braucht Schutz, um sich gegen Cyberattacken zu wehren. Man wünscht sich Software, die beim Auswerten von Drohnen-Daten hilft. Viren müssen analysiert, verschlüsselte Kommunikation verbessert werden. Uniformierte Informatiker können das, aber bürokratische Strukturen bremsen sie. Künftig sollen Start-ups solche Entwicklungen mit übernehmen.

Scherf weiß, was Start-ups wollen – und dass die Bundeswehr auf sie zugehen muss und nicht umgekehrt. Geschickt lässt er fallen, dass das Militär schon heute rund eine Milliarde Euro in Forschung und Entwicklung steckt. Scherfs Vorgesetzte sind Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre Staatssekretärin Katrin Suder. Beide erfinden gerade die Bundeswehr neu. Ins Weißbuch zur Sicherheitspolitik schrieben die Reformerinnen, die Armee solle sich auf „Start-ups und die digitale Wirtschaft zubewegen“. Die ersten Schritte dazu macht Scherf hier im St. Oberholz. Wie aber soll die Liaison gelingen zwischen den Start-up-Visionären in Turnschuhen und stramm salutierenden Offizieren im Tarnanzug? Pragmatismus und Planungswut prallen aufeinander, technische Vorgaben treffen auf eine Wir-fangen-dann-erst-mal-an-Mentalität.

Wer am meisten für Rüstung ausgibt
Soldaten Quelle: REUTERS
Südkoreanische Soldaten Quelle: AP
Ursula von der Leyen besucht Bundeswehr-Soldaten in Kiel Quelle: REUTERS
Japanische Flagge in Tokio Quelle: dpa
Tower Bridge in London Quelle: REUTERS
Ein französischer Soldat patrouilliert an Wahlplakaten in Paris vorbei Quelle: AP
Soldaten der indischen Armee Quelle: REUTERS

In der Praxis gibt es Bedenken. Tobias Lindner, Grünen-Bundestagsabgeordneter, findet die Idee zwar gut – zweifelt aber, dass es haushaltsrechtlich machbar ist: „Der Herr Finanzminister hätte sicherlich etwas dagegen, wenn die Bundeswehr plötzlich zum Risikokapitalgeber wird.“ Aber Kapital wäre das größte Pfund, mit dem die Uniformierten im Wettbewerb um gute Ideen vom freien Markt wuchern könnten. Scherf selbst kennt weitere Schwachstellen: „Es dauert viele Jahre, bis die Bundeswehr ein neues Waffensystem beschafft“, sagt er. Wenn er dem Apparat beim Einkauf von Apps und Software so viel Zeit lasse, seien diese bis zum Einsatz längst veraltet. „Die Bundeswehr ist ein riesiger Tanker, dessen Kurs wir nicht in allen Bereichen so agil ändern können“, sagt er. „Aber wir können neben den Tanker ein paar Schnellboote mit Spezialkräften setzen.“

Die Waffen-Industrie wird gesellschaftlich geächtet und politisch mit Misstrauen bedacht. Doch das konnte der deutschen Rüstungsindustrie nichts anhaben. Dank klassischer Mittelstandstugenden beginnt ein neuer Boom.
von Rüdiger Kiani-Kreß, Florian Willershausen

Einer, der im St. Oberholz dabei ist, heißt Patrick Bunk. Die Technologie, die sein Start-up Ubermetrics entwickelt, passt perfekt ins Beuteschema der Bundeswehr. Ubermetrics durchkämmt das Internet nach Lieferkettenrisiken oder Techniktrends. Seine Software gibt Laut, wenn in Thailand ein Putsch oder in Frankreich ein Streik droht – lange bevor Risikomanager der Konzerne das auf dem Radar haben. „Open-Source-Intelligence“ nennt sich das Geschäft mit Datenanalyse, das US-Wettbewerber wie Palantir auch Geheimdiensten anbieten. Es ist eine Art legaler Info-Spionage. Bunk als Spion? Mit seiner Intellektuellenbrille unter vollem Haar wirkt der 34-jährige Volkswirt eher wie Harry Potter, nur älter. Die Bundeswehr musterte ihn einst aus. „Für ein Start-up sind Deals mit einer Großorganisation wie der Bundeswehr eigentlich ein No-Go“, sagt er. Das sei „gar nicht böse gemeint“, aber: „In der Beschaffung ist die Bundeswehr das Gegenteil von agil. Sie nutzt ihre Marktmacht, indem sie Spezifikationen durchsetzt, die nur für sie passen.“ So lasse sich die Entwicklung nicht vermarkten. Trotz seiner Skepsis wirkt Bunk nach dem Treffen mit Scherf überrascht: „Er hat sich bemüht nahbar gegeben und nicht einmal versucht, uns von seinen Ausschreibeprozessen zu überzeugen.“ Es klingt so, als könne das was werden mit Bunk und dem Bund.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%