Für das Speeddating mit der Zukunft hat Gundbert Scherf eine besonders hippe Location ausgewählt: das St. Oberholz in Berlin-Mitte. Jeder Start-up-Unternehmer kennt das Café, in dessen Nischen, die hier „Co-Working-Spaces“ heißen, Technikfreaks und Kreative um Ideen ringen. Es gibt hauseigenen Kaffee und eine alternative Teeselektion. Wer hier einkehrt, trifft seinesgleichen: Gründer mit Visionen, aber ohne Geld. Scherf sieht sich als Gleichgesinnten, mit dem Unterschied, dass er Geld mitbringt. Der Haken dabei: Dazu müssen Start-ups mit Scherfs derzeitigem Arbeitgeber ins Geschäft kommen – und das ist das Bundesverteidigungsministerium, eine Behörde, die für Bürokratie und Komplexität bekannt ist und die nicht unbedingt zur Kernkundengruppe der Start-up-Bewegung gehört. Scherf kommt von der McKinsey-Beratertruppe, der Bundeswehr dient er noch bis Jahresende als „Beauftragter für strategische Steuerung Rüstung“.
Es ist ein nasskalter Nachmittag, als Scherf ein Dutzend Gründer ins Oberholz einlädt. Sie sitzen auf Holzschemeln und hören sich an, was der Mann vom Ministerium zu sagen hat: dass die Bundeswehr schneller und innovativer werden muss. Das Militär braucht Schutz, um sich gegen Cyberattacken zu wehren. Man wünscht sich Software, die beim Auswerten von Drohnen-Daten hilft. Viren müssen analysiert, verschlüsselte Kommunikation verbessert werden. Uniformierte Informatiker können das, aber bürokratische Strukturen bremsen sie. Künftig sollen Start-ups solche Entwicklungen mit übernehmen.
Scherf weiß, was Start-ups wollen – und dass die Bundeswehr auf sie zugehen muss und nicht umgekehrt. Geschickt lässt er fallen, dass das Militär schon heute rund eine Milliarde Euro in Forschung und Entwicklung steckt. Scherfs Vorgesetzte sind Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre Staatssekretärin Katrin Suder. Beide erfinden gerade die Bundeswehr neu. Ins Weißbuch zur Sicherheitspolitik schrieben die Reformerinnen, die Armee solle sich auf „Start-ups und die digitale Wirtschaft zubewegen“. Die ersten Schritte dazu macht Scherf hier im St. Oberholz. Wie aber soll die Liaison gelingen zwischen den Start-up-Visionären in Turnschuhen und stramm salutierenden Offizieren im Tarnanzug? Pragmatismus und Planungswut prallen aufeinander, technische Vorgaben treffen auf eine Wir-fangen-dann-erst-mal-an-Mentalität.
In der Praxis gibt es Bedenken. Tobias Lindner, Grünen-Bundestagsabgeordneter, findet die Idee zwar gut – zweifelt aber, dass es haushaltsrechtlich machbar ist: „Der Herr Finanzminister hätte sicherlich etwas dagegen, wenn die Bundeswehr plötzlich zum Risikokapitalgeber wird.“ Aber Kapital wäre das größte Pfund, mit dem die Uniformierten im Wettbewerb um gute Ideen vom freien Markt wuchern könnten. Scherf selbst kennt weitere Schwachstellen: „Es dauert viele Jahre, bis die Bundeswehr ein neues Waffensystem beschafft“, sagt er. Wenn er dem Apparat beim Einkauf von Apps und Software so viel Zeit lasse, seien diese bis zum Einsatz längst veraltet. „Die Bundeswehr ist ein riesiger Tanker, dessen Kurs wir nicht in allen Bereichen so agil ändern können“, sagt er. „Aber wir können neben den Tanker ein paar Schnellboote mit Spezialkräften setzen.“
Einer, der im St. Oberholz dabei ist, heißt Patrick Bunk. Die Technologie, die sein Start-up Ubermetrics entwickelt, passt perfekt ins Beuteschema der Bundeswehr. Ubermetrics durchkämmt das Internet nach Lieferkettenrisiken oder Techniktrends. Seine Software gibt Laut, wenn in Thailand ein Putsch oder in Frankreich ein Streik droht – lange bevor Risikomanager der Konzerne das auf dem Radar haben. „Open-Source-Intelligence“ nennt sich das Geschäft mit Datenanalyse, das US-Wettbewerber wie Palantir auch Geheimdiensten anbieten. Es ist eine Art legaler Info-Spionage. Bunk als Spion? Mit seiner Intellektuellenbrille unter vollem Haar wirkt der 34-jährige Volkswirt eher wie Harry Potter, nur älter. Die Bundeswehr musterte ihn einst aus. „Für ein Start-up sind Deals mit einer Großorganisation wie der Bundeswehr eigentlich ein No-Go“, sagt er. Das sei „gar nicht böse gemeint“, aber: „In der Beschaffung ist die Bundeswehr das Gegenteil von agil. Sie nutzt ihre Marktmacht, indem sie Spezifikationen durchsetzt, die nur für sie passen.“ So lasse sich die Entwicklung nicht vermarkten. Trotz seiner Skepsis wirkt Bunk nach dem Treffen mit Scherf überrascht: „Er hat sich bemüht nahbar gegeben und nicht einmal versucht, uns von seinen Ausschreibeprozessen zu überzeugen.“ Es klingt so, als könne das was werden mit Bunk und dem Bund.