Vestas Der Feind im eigenen Laden

Der Weltmarktführer für Windräder hat ein Problem mit Mitarbeitern, die mithilfe überhöhter Rechnungen in die eigene Tasche gewirtschaftet haben könnten. Auch eine frühere Siemens-Beteiligung soll betroffen sein. Der mutmaßliche Schaden: 18 Millionen Euro. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

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Die größten Anlagenbauer
NordexNach zwei verlustreichen Jahren und vielen Einsparungen lief es 2013 für Nordex wieder besser. Der Windturbinenbauer kehrte in die Gewinnzone zurück. In der Vergangenheit trennte sich Nordex unter anderem verlustreichen Produktionsstätten in den USA und China und konzentrierte sich ganz auf den Bau von Onshore-Anlagen. Mit der Strategie konnte das Unternehmen in Deutschland Marktanteile gewinnen. 2012 kam Nordex auf 3,5 Prozent, 2013 waren es im On- und Offshore-Bereich zusammen bereits sieben Prozent. Auch die Aussichten sind gut: Für 2014 rechnet der Vorstand mit neue Aufträge im Umfang von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Siemens WindenergiesparteSiemens ist Weltmarktführer bei Offshore-Windrädern und dominiert auch in Deutschland diesen Bereich. Hierzulande kommt das Unternehmen in dem Segment auf 52,1 Prozent Marktanteil. Im On- und Offshore-Bereichen zusammen hatte Siemens Wind Power 2013 einen Anteil von 9,8 Prozent und liegt damit auf Platz vier. Nach dem Verkauf der gefloppten Solarsparte will sich Siemens künftig noch mehr auf die Energie aus Wind und Wasser zu konzentrieren. Das Geschäft lief zuletzt insbesondere im Ausland gut. Im Dezember 2013 erhielt das Unternehmen mehrere Großaufträge in den USA. In Deutschland gibt es aber auch Probleme: Bei der Anbindung von vier Offshore-Windparks in der Nordsee liegt Siemens dem Zeitplan um mehr als ein Jahr hinterher. Die Verzögerungen sollen Siemens bereits mehr als 600 Millionen Euro gekostet haben. Quelle: dpa
SenvionDas Hamburger Unternehmen Senvion (ehemals Repower ) ist eine Tochter des indischen Windkraftkonzerns Suzlon. Wie Nordex ist es auch dem Hamburger Unternehmen gelungen, Marktanteile zu gewinnen. 2013 installierte Senvion Anlagen mit rund 484 Megawatt und nun einen Markanteil von insgesamt 13,5 Prozent. Im Onshore-Bereich sind es sogar 16,2 Prozent. Das sind drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Deutschland hat das Unternehmen nach eigenen Angaben nun eine Gesamtleistung von 2,8 Gigawatt installiert. Im März 2014 hat Senvion die Schwelle von 10 Gigawatt weltweit installierter Leistung überschritten. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen allerdings auch mit deutlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen. Quelle: dpa
VestasDer weltgrößte Windturbinenhersteller Vestas hatte in Deutschland 2013 einen Marktanteil von 16,7 Prozent (Onshore 20 Prozent). Damit hat der Anlagenbauer zwar rund sechs Prozent an die kleineren Mitbewerber verloren, liegt aber weiterhin klar auf Platz zwei. Allein 2013 stellte das dänische Unternehmen Anlagen mit einer Leistung von 598,9 Megawatt in Deutschland auf. Wirtschaftlich ist Vestas offenbar auf einem guten Weg: Nach massiven Sparmaßnahmen in den Vorjahren hat das Unternehmen im letzten Quartal 2013 erstmals seit Mitte 2011 wieder einen Gewinn erwirtschaftet. Der Jahresverlust lag bei 82 Millionen Euro, nach 963 Millionen Euro 2012. Quelle: ZB
EnerconDas vom Windpionier Aloys Wobben gegründete Unternehmen ist unangefochtener Marktführer in Deutschland bei Anlagen auf dem Festland (49,6 Prozent Marktanteil). Onshore-Anlagen mit einer Leistung von 1.484,6 Megawatt hat Enercon allein 2013 aufgestellt. Auf dem Gesamtmarkt musste der Windanlagenbauer allerdings Verluste hinnehmen. Lag der Markanteil 2012 bei 54,3 Prozent, betrug er zuletzt noch bei 41,4 Prozent. Weltweit hat das Unternehmen mittlerweile mehr als 20.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 28 Gigawatt installiert. Laut den Wirtschaftsforscher von Globaldata liegt Enercon im globalen Vergleich damit auf Platz. Geschlagen werden die Ostfriesen von der dänische Konkurrenz Vestas. Quelle: dpa

Dem weltweit größten Windradbauer Vestas war die Personalrochade nur eine Randnotiz wert. Vor einigen Monaten trennten sich die Dänen von fünf Top-Managern. Eine Sprecherin begründete den Schritt mit „Compliance-Vorwürfen“ – die Mitarbeiter müssten demnach gegen Gesetze oder interne Richtlinien verstoßen haben. Darüber hinaus gab es bis heute kein Wort der Erklärung.

Solange die Vorfälle nicht aufgeklärt sind, sagt Vestas prinzipiell nichts. Derzeit sind sie deshalb wohl häufig zum Schweigen verurteilt. Europaweit kämpft Vestas – Umsatz 2014: 6,9 Milliarden Euro – gegen Compliance-Verstöße in den eigenen Reihen. Mehrere Behörden ermitteln. So hat die Staatsanwaltschaft Kiel gegen einen früheren Deutschland-Vertriebschef von Vestas, einen zweiten ehemaligen Vestas-Manager und vier Personen aus dem Umfeld des Unternehmens ein Verfahren wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet. Die Ermittler haben mehrere Razzien durchgeführt – auch bei dem treuen Vestas-Kunden WKN AG.

Das Husumer Unternehmen errichtet Windparks und verkauft sie dann an institutionelle Investoren weiter. Vestas-Manager haben allem Anschein nach über Jahre zu hohe Rechnungen ausgestellt an WKN – an denen von 2009 bis 2013 auch Siemens beteiligt war, womit der Dax-Konzern zum Kreis der mutmaßlich Geschädigten zählt – und einen Teil der zu viel gezahlten Summe als Provision an eine Vertriebsgesellschaft weitergereicht. Die wiederum soll das Geld dann an zwei mittlerweile ausgeschiedene Vestas- und WKN-Manager weitergegeben haben. WKN schätzt den Schaden auf 18 Millionen Euro.

Die Compliance-Sorgen scheinen bei Vestas System zu haben. Von einer „Goldgräberstimmung“ innerhalb des Konzerns spricht ein ehemaliger ranghoher Vestas-Mitarbeiter. Speziell die Beteiligung an Windparks, in denen Vestas-Anlagen stehen, sei für Mitarbeiter über Jahre ein einträgliches Nebengeschäft gewesen. Zwar hat der Konzern vor einigen Jahren einen Verhaltenskodex eingeführt, der Mitarbeitern verbietet, sich in nennenswertem Umfang an Unternehmen zu beteiligen. Gleichzeitig wurde aber ein „Bewilligungsverfahren“ für private unternehmerische Beteiligungen eingeführt. Die eigentlich verbotenen Nebengeschäfte werden damit teilweise wieder erlaubt.

So kämpft Vestas noch immer gegen die Compliance-Verstöße seiner Mitarbeiter, auch wenn die Zahl ihrer privaten Beteiligungen zurückgegangen ist. Laut Geschäftsbericht verzeichnete Vestas im vergangenen Jahr drei Verstöße. Weitere zwölf Verdachtsfälle wurden untersucht.

  • In Dänemark sollen zwei Ex-Manager Anteile an Unternehmen gehalten haben, die mit Vestas Geschäfte machten und dabei möglicherweise unverhältnismäßig hohe Rabatte von Vestas bekommen haben. Die Polizei ermittelt.
  • In Barcelona ermittelt die Polizei, weil Vestas-Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber über eigene Unternehmen Dienstleistungen in Rechnung gestellt haben sollen, die nie erbracht wurden. Vestas beziffert den Schaden auf zwölf Millionen Euro. Der frühere Vestas-Vorstandschef Ditlev Engel zeigte sich geschockt, dass „zuverlässige Mitarbeiter das Vertrauen und die Verantwortung, die der Konzern in sie hatte, anscheinend verraten haben“.
  • Ein ehemaliger Finanzvorstand soll einen Millionenbetrag ohne Wissen von Vestas oder Mitwirkung anderer Vorstände nach Indien überwiesen haben. Vestas erstattete Anzeige. Die Polizei in Kopenhagen ermittelt.

Brennpunkt Husum

Der deutsche Vestas-Standort im nordfriesischen Husum war nach Recherchen der WirtschaftsWoche ein wichtiger Knotenpunkt bei den mutmaßlich illegalen Praktiken. In derselben Straße wie Vestas sitzt in Husum auch die WKN AG. Der Windanlagenbauer startete 1990 mit Windparks in Schleswig-Holstein. Es folgte die weltweite Expansion. WKN setzte dabei ganz auf Vestas. In 20 Jahren kauften sie bis Ende 2012 560 Windanlagen bei den Dänen – zehnmal so viel wie bei jedem anderen Hersteller. Das allein freilich ist nicht verdächtig. Vestas ist beliebt. Nur Enercon verkaufte in Deutschland im vergangenen Jahr mehr an Land gelegene Windkraftanlagen als Vestas.

Darüber hinaus bestanden zwischen Vestas und WKN enge persönliche Beziehungen. Der langjährige Mehrheitseigner von WKN, Volker Friedrichsen, der seinen Unternehmensanteil 2013 verkauft hatte und gerade versucht, die Macht wieder zu erlangen, arbeitete zuvor zehn Jahre lang als Geschäftsführer bei Vestas. Zudem saß ein hochrangiger Vestas-Manager zeitweise bei WKN im Aufsichtsrat.

Vestas' Aktienkurs im Wandel

Trotz dieser guten persönlichen Kontakte zu WKN und trotz der seit 1990 bestehenden Geschäftsbeziehung will Vestas nicht allein in der Lage gewesen sein, Geschäfte mit WKN zu machen.

Stattdessen brauchte es dafür besagte Vermittlungsfirma, die Contur. Die hat ihren Sitz zwischen Feldern und Wiesen in der 364-Seelen-Gemeinde Volsemenhusen, im Nirgendwo Schleswig-Holsteins. Laut Handelsregister gehört die Gesellschaft einem früheren Vestas-Vertriebsleiter, der heute als Beruf Landwirt angibt.

Den Bilanzen zufolge brummt der Familienbetrieb. Allein das Eigenkapital beträgt eine Million Euro. In den Jahren 2009 bis 2012 kamen 1,2 Millionen Euro Jahresüberschuss zusammen. Die Contur verdiente ihr Geld damit, dass sie Windanlagen vermittelte – etwa an WKN. Nach Informationen der WirtschaftsWoche hat Vestas zwischen 2005 und 2012 4,5 Millionen Euro an Contur gezahlt. Weder Vestas noch Contur wollten sich hierzu äußern.

Ob den Millionen eine Leistung gegenüberstand, ist unklar. Mehrere Aufsichtsräte und Führungskräfte von WKN wollen den Namen Contur noch nie gehört haben. Sie können sich auch nicht vorstellen, warum Vestas für den Verkauf von Windanlagen an WKN einen Vermittler brauchte. Vestas wollte dies nicht kommentieren. WKN erklärte, keine Kenntnis darüber zu haben, dass Contur tatsächlich Leistungen erbracht hat. Nachdem der Windparkbauer PNE Wind die WKN 2013 übernommen hatte, tauschten die neuen Eigentümer den Vorstand aus und ließen die Vorgänge von einem Wirtschaftsprüfer untersuchen.

Das Problem mit den Provisionen war auf höchster Ebene bei Vestas schon lange bekannt. Im April 2008 schrieb der Nordeuropachef von Vestas per Mail an einen hochrangigen Mitarbeiter aus der Finanzabteilung: „WKN zahlt einen Überpreis, wir zahlen eine Kommission an Contur“ – was dem Manager Sorgen zu bereiten scheint. Contur gehört Personen, die mit WKN in Verbindung stehen. „Somit ist klar, dass wir in diesem Fall in Wirklichkeit das Verschieben von Geldern von WKN zu Contur unterstützen“, schreibt der Manager. Er bittet den Buchhalter sogar um Rat, ob „wir mit dieser Praxis fortfahren“ wollen. „Angesichts dieser Zeiten mit Verhaltenskodex verliert die Frage ja nicht gerade an Relevanz.“ Die E-Mail liegt der WirtschaftsWoche vor. Vestas wollte dies nicht kommentieren.

Die Mitarbeiter des Windradherstellers machten danach aber offenbar einfach weiter. Nach Informationen der WirtschaftsWoche soll Contur von Vestas bis 2012 Provisionen für die Vermittlung von Windanlagen an WKN erhalten haben. Contur lehnte ebenso wie Vestas eine Stellungnahme hierzu ab.

"Keine Frage eines Interessenkonflikts"

Die Staatsanwaltschaft geht nun dem Verdacht nach, dass ein Teil der von Vestas an Contur gezahlten Provisionen in die Taschen eines ehemaligen WKN-Managers geflossen sind. Bei der internen WKN-Untersuchung soll sich herausgestellt haben, dass er Rechnungen für nicht näher benannte „Beratungsdienstleistungen“ an Contur verschickt hat. So könnte er privat dafür entlohnt worden sein, wenn WKN bei Vestas einkaufte. Der Manager streitet dies ab. Sämtliche Leistungen für Contur habe er vor seiner Zeit bei WKN erbracht. „Deshalb stellte sich auch zu keinem Zeitpunkt die Frage eines Interessenkonflikts.“

Auch der frühere Zentraleuropachef von Vestas soll noch während seiner aktiven Zeit der Contur Dienstleistungen in Rechnung gestellt haben. Er lehnte eine Stellungnahme hierzu ab. Gegen ihn ermittelt nach einer Anzeige von Vestas auch die dänische Polizei.

Die 15 aussichtsreichsten Windparkprojekte vor Deutschlands Küsten

Die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ identifizierte mit der Agentur Bureau van Dijk mehr als ein Dutzend Unternehmen, an denen der Zentraleuropachef beteiligt gewesen sei. Einige der Betriebe haben ihren Sitz in Deutschland. Die dänische Polizei hat den Verdacht, dass der Manager sich durch die Kooperation dieser Nebenfirmen mit Vestas bereichert haben könnte. Das Ermittlungsverfahren soll im Sommer abgeschlossen werden. Es gilt die Unschuldsvermutung. Anfang 2013 hatte der Manager Vestas verlassen. Er arbeitet nun für Siemens.

Whistleblower-System gegen illegale Geschäfte

Die Fälle in Husum, Barcelona und Kopenhagen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie wurden möglich, weil die Mitarbeiter über eigene Gesellschaften Geschäft mit Vestas machten. Die verschärften internen Richtlinien verhindern das nicht. Allerdings ist es schwieriger geworden, illegale Aktivitäten geheim zu halten. 2007 hat Vestas ein sogenanntes Whistleblower-System eingeführt: Mitarbeiter können hier anonym mögliche Verstöße gegen Richtlinien melden. Davon machen sie regen Gebrauch: 43 Verdachtsfälle wurden hierüber im vergangenen Jahr angezeigt. Auch der WKN-Fall soll durch eine interne Meldung ans Licht gekommen sein.

Dabei ist Vestas in diesem Fall vermutlich nicht einmal die Hauptgeschädigte. Während nämlich Vestas durch die verdächtigen Geschäfte mehr Aufträge erhalten haben könnte, hatte WKN nach eigener Darstellung den Schaden. Als Käufer der Windanlagen wurden ihr die Provisionen offenbar auf den Kaufpreis aufgeschlagen.

Bei WKN gab es bezüglich der Vestas-Preise frühzeitig durchaus kritische Fragen. So bemängelte eine WKN-Führungskraft im April 2011 gegenüber einem WKN-Vorstand, dass die Vestas-Anlagen doch „im Vergleich sehr teuer“ seien. WKN schätzt, dass sie für 314 Vestas-Anlagen im Schnitt vier Prozent zu viel gezahlt habe – in der Summe mehr als 18 Millionen Euro.

Den Schaden zu belegen dürfte allerdings schwierig werden. Der Preis eines Windrads hängt davon ab, wie viel Strom es tatsächlich produziert.

Der Vestas-Mitarbeiter, der von den Provisionen profitiert haben soll, behauptet, dass WKN marktgerechte Preise gezahlt habe. Dies sei von den Vestas- als auch von den WKN-Gremien geprüft worden. Mehrere Aufsichtsräte und Führungskräfte von WKN erklärten gleichlautend, dass WKN stets auch Angebote anderer Hersteller eingeholt habe. Schlussendlich seien die Angebote von Vestas aber am besten gewesen.

Schon fast tragisch ist die Rolle des Dax-Konzerns Siemens in der Geschichte: Eigentlich beteiligten sich die Münchner einst in der Hoffnung an WKN, mit dem Windparkbetreiber für die eigenen Windräder ins Geschäft zu kommen. Stattdessen wurde Siemens als Aktionär möglicherweise um Millionen gebracht, weil WKN besagte 18 Millionen Euro mehr für Vestas-Windräder zahlte als nötig. Zudem fordert der neue WKN-Eigentümer PNE Wind 3,2 Millionen Euro von Siemens, weil WKN vor dem Verkauf an PNE einige Windparks mit zu hohen Werten bilanziert haben soll. Ein Windrad dagegen hat Siemens bis heute nicht an die Husumer verkauft.

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