Vestas, Siemens, Nordex Gegenwind für die Ökoüberflieger

Die einst belächelte Windkraftbranche ist zu einer riesigen Industrie gereift. Doch mit dem Erfolg kommen die Probleme. Die Akzeptanz schwindet, der Wettbewerb wird härter und das Wachstum ebbt ab. Ein Sturm zieht auf.

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Noch befindet sich die Branche im Aufwind. Ab dem Jahr 2017 dürfte das Wachstum aber abebben. Quelle: dpa

Hamburg Es ist eine nicht enden wollende Erfolgsgeschichte: Grüner Strom aus dezentralen Windenergieanlagen boomt und ist längst ein fixer Bestandteil der weltweiten Elektrizitätsversorgung. Anfang des Jahrtausends stand Windkraft für gerade einmal zwei Prozent der Energieerzeugungskapazität innerhalb Europas. Heute sind es bereits mehr als 15 Prozent – Tendenz stark steigend. Aus einer kleinen Öko-Nische ist eine gigantische Industrie entstanden, die mehr als 330.000 Menschen in Europa beschäftigt – fast die Hälfte davon alleine in Deutschland.

Bei der WindEnergy Hamburg, der weltweiten Leitmesse für Windturbinen, Rotorblätter und Fundamente, trifft sich ab Dienstag eine Branche, die vor Kraft strotzt. Gepäppelt mit staatlichen Förderprogrammen hat die Industrie Börsenstars und Riesen in privater Hand hervorgebracht, die Milliardenumsätze generieren und stetige Rekordgewinne abliefern. Doch ob Branchenschwergewichte wie der dänische Turbinenhersteller Vestas (8,4 Milliarden Euro Jahresumsatz, 20.000 Mitarbeiter) oder Enercon, der deutsche Primus unter der Windmühlenbauern, ihre Ebit-Margen von weit mehr als zehn Prozent weiter aufrecht erhalten können, ist fraglicher denn je.

Die Windenergiebranche ist im Umbruch. Das spektakuläre Wachstum der vergangenen Jahre wird sich nicht so ohne weiteres fortführen lassen. 2015 war das beste Jahr in der Geschichte der noch jungen Industrie mit mehr als 27.000 Windrädern, die weltweit neu ans Stromnetz angeschlossen wurden.  Diese Anlagen haben eine Kapazität von fast 60 Gigawatt, was in etwa der Kapazität von 60 Kernkraftwerken entspricht. Doch mittlerweile dreht sich der Wind. Ein Sturm zieht auf. 2016 dürfte zwar abermals ein Rekordjahr werden. Spätestens ab 2017 erwarten Experten allerdings, dass das Wachstum abebbt. Hauptgrund dafür: neue politische Rahmenbedingungen.

Auf der ganzen Welt werden die Subventionen für Grünstrom zunehmend gekappt. Dutzende Staaten, darunter auch Deutschland, ändern ihr System, wie sie erneuerbare Energien fördern. Künftig müssen sich Windparkbauer im Wettbewerb um die Höhe der staatlichen Vergütungen streiten. Derjenige, der sich mit dem geringsten Zuschuss aus der Staatskasse zufrieden gibt, bekommt den Zuschlag für den Bau neuer Windmühlen, die oft 200 Meter in den Himmel ragen. Das soll die Kosten für die Verbraucher senken. Denn bisher wurde beispielsweise in Deutschland jede Kilowattstunde Grünstrom zu einem fixen Vergütungssatz über bis zu 20 Jahre hinweg vergoldet.

„Die Windenergiebranche wird von einem Thema dominiert: Konzentration, Konzentration, Konzentration“, sagte Dirk Briese dem Handelsblatt. Der Chef des Markforschungsunternehmens Windresearch sieht in Folge des neuen Fördersystems enger werdende Märkte. „Damit schreitet die Konsolidierung unter den Herstellern und auch Betreibern unaufhaltsam voran“, analysiert Briese. Gerade bei den Turbinenproduzenten wird Größe zu einem entscheidenden Faktor, um in dem knallharten Wettbewerbsumfeld zu überleben.

Wer zu klein ist und daher nur geringe Skaleneffekte geltend machen kann, wird gefressen oder scheidet ganz aus dem Markt aus. Beispiele für die Konsolidierung der Branche gibt es zuhauf: Siemens fusioniert gerade mit Gamesa und schmiedet den weltgrößten Windkraftkonzern. Der Hamburger Turbinenbauer Nordex hat sich mit dem spanischen Konkurrenten Acciona zusammengeschlossen und Vestas schnappte sich Anfang des Jahres den Wartungsspezialisten Availon.


Das Unbehagen in der Bevölkerung wächst

Neben dem immer höheren Wettbewerbsdruck macht der Branche zu schaffen, dass sich das Wachstum zunehmend von Europa nach Asien und in die Entwicklungsländer verlagert. Die Hersteller reagieren darauf, indem sie ihre Portfolios ausdehnen und sowohl günstige Massenmühlen für Südamerika und Afrika anbieten, als auch High-Tech-Maschinen für Europa und den amerikanischen Markt.

Günter Tallner, Energieexperte bei der Commerzbank, glaubt die „Sturm-und-Drang-Zeit“ der Branche sei vorbei. Er erwartet, dass künftig Windkraft auf hoher See (Offshore) eine viel größere Bedeutung erlangen wird. „In den nächsten zehn Jahren wird der Anteil der Offshore-Windenergie beim jährlichen Zubau von fünf auf 25 Prozent zunehmen“, heißt es in einer Analyse der Commerzbank. Voraussetzung dafür ist aber, dass für Offshore-Wind schnell ein Weltmarkt entsteht.

Während die Commerzbank und Firmen wie der Hamburger Turbinenhersteller Senvion dahingehend sehr optimistisch sind, zeigt sich Branchenkenner Briese eher skeptisch: „Es ist fraglich, ob außer des schwer erschließbaren Chinas und der schwierigen USA große neue Märkte bei Offshore-Wind entstehen“. Bis dato findet das Geschäft mit Meereswindkraft fast ausschließlich in europäischen Gewässern statt – allen voran in der Nord- und Ostsee. Der größte Kritikpunkt an Offshore-Windenergie sind die immer noch vergleichsweise hohen Kosten. Die Vorteile sind allerdings auch offenkundig.

Auf hoher See weht der Wind beständiger und kräftiger als an Land. Damit ist die Stromausbeute bei Offshore deutlich höher. Und beim Zubau von Windmühlen an Land geraten Länder wie Deutschland zunehmend an Akzeptanzgrenzen. Zwischen Schleswig-Holstein und Bayern laufen die Bürger mittlerweile Sturm gegen immer mehr und immer höhere Windmühlen.

Mehr als 26.600 Windräder drehen sich bereits quer verteilt über die Republik. In manchen Regionen, wie etwa im Ostfriesland, stehen die Mühlen dicht an dicht. Vielen wird es dort zu voll. Bürger klagen über verspargelte Landschaften, geschredderte Vögel und ständigen Lärm. Zwar ist die Zustimmung zur Energiewende in der Bevölkerung weiterhin enorm hoch. Aber das Unbehagen wächst. So hat sich beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile eine Partei gegründet, deren einziges Ziel, der Widerstand gegen Windkraft ist. In Niedersachsen haben sich zudem mehr als 100 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, die mehr Mitsprache bei der Genehmigung von Flächen für den Bau von Windmühlen fordern. 

Was den Gegnern von Windenergie nicht zuletzt sauer aufstößt, sind die enormen Kosten, die alle Verbraucher schultern müssen. Weil es an Stromleitungen fehlt, gerät das heimische Elektrizitätssystem an Kapazitätsgrenzen. Die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland müssen wegen der witterungsbedingt stark schwankenden Solar- und Windenergie immer häufiger eingreifen, um das Stromnetz im Gleichgewicht zu halten und so vor einem Blackout zu bewahren. Windmühlen werden dafür zunehmend abgeriegelt und fossile Kraftwerke hoch- und runtergefahren.


Strom wird für Verbraucher teurer

Die Kosten für diese Netzstabilisierungs-Maßnahmen beliefen sich im vergangenen Jahr bereits auf rund eine Milliarde Euro und sie steigen weiter rasant an. Der Netzbetreiber Tennet kündigte vor kurzem an, die Netzentgelte zum Jahreswechsel um 80 Prozent erhöhen zu müssen. Bei einem Drei-Personen-Haushalt steigen damit die Netzentgelte um rund 30 Euro pro Jahr. Der Grund: Es wird immer teurer, Windmüller für das Abregeln ihrer Anlagen zu entschädigen.

Dass etwas grundlegend schief läuft, hat mittlerweile auch die Windkraftindustrie erkannt. Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig,  die wichtigste Stimme der heimischen Windenergiebranche, preschte jüngst im Interview mit dem Handelsblatt vor: „Wenn wir als Erneuerbare den Anspruch haben, systemrelevant zu sein, dann müssen wir es auch leisten können“, sagte Kettwig. Der Mann, der den profitabelsten Windkraftkonzern der Welt führt, forderte seine Branche auf, Lösungen zu entwickeln, wie der volatile Grünstrom besser ins Elektrizitätsnetz integriert werden kann.

„Die Szene muss sich mit Speicherung, intelligenten Netzen und Datenströmen auseinandersetzen“, mahnte Kettwig. Der schnodderige Ostfriese weiß: Geht die Akzeptanz für Windkraft in der Bevölkerung verloren, ist das Wachstum in seiner Branche akut gefährdet. So weit will es Kettwig nicht kommen lassen. Auf der Leitmesse in Hamburg wird er deshalb die Vorzüge von sauberem Ökostrom im Vergleich zu schmutziger fossiler Energie preisen. „Fürchten“, so Kettwig, müsse man sich schließlich nicht vor seinen Windmühlen, sondern „vor Atomkraftwerken und deren Hinterlassenschaft.“

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