Washington/New York Die Anhörung des US-Chefs von Volkswagen, Michael Horn, könnte die Krise bei VW weiter verschlimmern. Denn vor dem Untersuchungsausschuss kamen zwei neue Problemfelder für den Konzern ans Tageslicht, die bislang kaum Beachtung fanden. Laut Aussage des US-Chefs gibt es neben der bereits bekannte Software, die die Emissionswerte des Fahrzeuges manipuliert, noch ein zweites Programm.
In seiner Rede erwähnte Horn ein „Hilfsgerät zur Emissionskontrolle“ oder „Auxiliary Emissions Control Device“ (AECD). Weder VW noch die US-Umweltbehörde wollen sagen, ob das AECD ebenfalls zum Schummeln genutzt wurde. Aber es ist so problematisch, dass „wir den Antrag auf die Umweltgenehmigung der 2016-Fahrzeuge zurückziehen“, wie Horn sagte.
Ein AECD ist ein Programm, das Temperatur, Geschwindigkeit, Umdrehungszahl oder eingeschalteten Gang wahrnimmt, um bei bestimmten Parametern das Emissionskontrollsystem ganz oder teilweise auszuschalten. Das ist ein gängiges Verfahren und erlaubt dem Fahrzeug, beispielsweise bei kaltem Wetter oder einem steilen Anstieg mehr Emissionen auszustoßen. „Wir untersuchen derzeit die Eigenschaften und Zweck des erst kürzlich identifizierten Geräts“, sagte ein Sprecher der US-Umweltbehörde.
Das weckt neues Misstrauen und könnte für Volkswagen ganz neue Probleme schaffen. Der Vorsitzende des Ausschusses für Energie und Handel im US-Repräsentantenhaus, Fred Upton, brachte es auf den Punkt: „Wenn sie einmal gewillt waren, eine Eins gerade zu lassen, wo haben sie das sonst noch getan?“
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Großen Unmut bringt auch Volkswagens Plan zur Behebung des Problems bei bestehenden Fahrzeugen hervor. Laut Horn wird es bei rund 90 Prozent der Fahrzeuge mindestens ein Jahr dauern, bis die zu hohe Stickoxid-Emission der Fahrzeuge in den USA behoben wird. Horn betonte, dass die US-Umweltbehörde die betroffenen VW-Fahrzeuge als „sicher und legal zu fahren“ einstufte, sie also Amerikaner fahren können.
Das brachte die Abgeordnete Jan Schakowsky auf die Palme. Sie hob einen Brief hoch, den VW an einen Kunden geschickt hatte. Darin wiederholte der Konzern genau das Argument, was die Demokratin aus Illinois als verharmlosend verdonnerte. Immerhin würden die Passats oder Jettas bis zum 40fachen der erlaubten Stickoxide ausschleudern. „Das ist schockierend“, sagte die Demokratin aus Illinois mit Hinweis auf die Wartezeit von einem Jahr, „Kunden um Geduld zu bitten reicht nicht aus“.
Ihre Forderung: VW müsse alle Fahrzeuge ersetzen oder den Betroffenen ein Leihwagen zur Verfügung stellen. Davon wollte Horn aber nichts hören: „Unser Plan ist es, die Autos zu reparieren“. Die Ablehnung verwundert nicht, wie der Abgeordnete Chris Collins aus New York vorrechnete. Rund eine halbe Million Fahrzeuge zum Neupreis zu ersetzen würde laut durchschnittlichen Listenpreis weit mehr als zehn Milliarden Dollar kosten.
Ungemütlich dürfte es für die Wolfsburger auch in Kalifornien werden. Die Leiterin der dortigen Behörde CARB, Mary Nichols, sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, VW habe bis zum 20. November Zeit, einen Plan dafür vorzulegen, wie die betroffenen Diesel-Fahrzeuge nachgerüstet werden können. „Wenn es keine technische Lösung gibt, drohen die Stilllegung der Autos und zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit den Kunden.“ Nichols kündigte zudem weitere Testergebnisse zu Autos anderer Hersteller an.
In Deutschland hat sich Niedersachsens Regierungschef und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil zu Wort gemeldet und eine ganze Kette von großen Fehlern kritisiert. „Fehler passieren in allen großen Institutionen, problematisch aber ist bewusstes Fehlverhalten“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Um die schwere Krise zu überstehen, müssten nun alle Unternehmensteile bei Europas größtem Autobauer den geforderten Kulturwandel mit Leben füllen. Ob nach dem Abtritt von Konzernchef Martin Winterkorn und anderen Managern noch weitere personelle Konsequenzen folgen könnten, wollte Weil nicht ausschließen – genauso wenig wie mögliche Jobverluste wegen rückläufiger Absatzzahlen.