Volkswagen und Dieselgate Bei VW hat die interne Kontrolle erneut versagt

Warum sind die massiven Manipulationen von Abgastests bei VW erst jetzt aufgeflogen? Der Skandal zeigt auch Schwächen in den Regelwerken großer Konzerne auf. Volkswagen sucht mit Hochdruck nach den Tätern.

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Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace haben am Freitag vor dem VW-Werk in Wolfsburg gegen die Umweltpolitik des Konzerns protestiert. Quelle: dpa

München/Wolfsburg Der Diesel-Skandal bei Volkswagen hält die gesamte Automobilbranche in Atem. Wer genau wann und wie viel von den massiven Abgastest-Manipulationen bei VW wusste, von denen weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind, ist zwar noch weitgehend unklar. Doch dass es sich dabei um das Werk einzelner handelte, bezweifeln Viele. Warum blieben die Machenschaften so lange verborgen? Gab es keine Hinweise auf die Tricksereien? Und wo waren die Kontrolleure? Der neue VW-Chef Matthias Müller muss nun auch das Compliance-System des Konzerns generalüberholen, das eigentlich die Einhaltung von Gesetzen im Unternehmen gewähren soll.

Für dessen Ausbau hat Europas größter Autobauer in den vergangenen Jahren eigentlich viel getan – schließlich wird der Konzern ja nicht zum ersten Mal von einem Skandal erschüttert. Vor allem seit der Aufdeckung der Affäre um Schmiergeldzahlungen und Lust-Reisen im Jahr 2005 trieb die Unternehmensführung das Compliance-Thema voran. Unter anderem fungieren externe Ombudsleute als Ansprechpartner für Mitarbeiter, die anonym Hinweise auf Verstöße geben. Ähnliche Ombudsstellen gibt es nicht zuletzt seit dem Auffliegen des milliardenschweren Schmiergeld-Skandals bei Siemens in vielen großen deutschen Unternehmen.

Die VW-Mitarbeiter machen davon offenbar auch durchaus rege Gebrauch: Alleine im vergangenen Jahr verloren nach VW-Angaben 72 Mitarbeiter nach Unregelmäßigkeiten ihre Jobs. Jährlich geht die Konzernrevision Hunderten Hinweisen auf mögliches Fehlverhalten nach, zusätzlich wurden 2014 rund 185 000 Beschäftigte weltweit geschult.

Noch vor wenigen Monaten stellte der FDP-Politiker und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki, der den Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer in der damaligen Affäre vertreten hatte, dem Konzern für all diese Anstrengungen ein gutes Zeugnis aus. „Compliance, also das vorschriftsmäßige und auch ethisch korrekte Verhalten, ist bei VW tatsächlich eingezogen“, sagte Kubicki damals.

Doch der aktuelle Skandal spricht eine andere Sprache, wie auch der neue Konzernchef Müller weiß. Unmittelbar nach seiner Berufung kündigt er deshalb am Freitagabend die Einführung noch strengerer Regeln an. Auch erste konkrete Konsequenzen hat der Autobauer bereits gezogen und einige Mitarbeiter beurlaubt.


Generelle Schwächen

Für die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI) zeigen die Ereignisse aber auch generelle Schwächen in den bestehenden Compliance-Systemen vieler Unternehmen auf: Oft gingen die Regelwerke nicht weit genug und seien zu einseitig auf Korruption ausgerichtet, sagt TI-Deutschland-Chefin Edda Müller.

Im bürokratischen Klein-Klein wird dort beispielsweise festgelegt, welchen Wert Geschenke an Geschäftspartner haben dürfen oder wie Reise- und Spesenabrechnungen zu handhaben sind – aber das große Ganze komme häufig zu kurz. Für Themen rund um gesellschaftliche Verantwortung – vom Umweltschutz bis zu den Produktionsbedingungen – fehlten Regeln vielfach, und die eigens beauftragten Compliance-Wächter seien meist sehr weit weg vom Tagesgeschäft.

Auch der Auto-Experte Stefan Bratzel hatte nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals Compliance-Versäumnisse angeprangert. Es sei sehr verwunderlich, dass die mutmaßlichen Machenschaften der amerikanischen US-Tochter nicht längst an Wolfsburg gemeldet worden seien und ein Durchgreifen der Konzernspitze nach sich gezogen hätten, sagte der Experte vor einigen Tagen.

Dazu aber gehört stets auch eine gute Portion Zivilcourage, erklärt TI-Deutschland-Chefin Müller. Für sie offenbart der Skandal zudem ein noch viel übergreifenderes Problem: Generell herrsche in der Automobilwirtschaft eine „unglaubliche Nibelungen-Treue“ vor. Immer wieder sei die Branche von der Politik „massiv geschont“ worden, kritisiert die Expertin. Sobald Umweltthemen auf den Tisch kämen, würden „Drohpotenziale“ zu negativen Folgen für Wirtschaft oder Arbeitsplätze aufgebaut. „Man kann nur hoffen, dass es sich um ein Erdbeben handelt, das in der Geschäftspolitik der Unternehmen zu einem Umdenken führt“, sagt die TI-Deutschland-Chefin.

Erst einmal wird der neue VW-Chef Müller aber kräftig aufräumen und aufklären müssen, wie auch Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz fordert: „Man muss letztlich mit dem eisernen Besen da durchgehen. Diejenigen, die den Skandal verursacht haben, müssen bestraft werden“, sagt der Aktionärsvertreter.


Probleme schon länger intern bekannt

Verantwortliche bei Volkswagen haben offenbar schon vor mehreren Jahren Kenntnis vom Einsatz rechtswidriger Software in Dieselautos des Konzerns gehabt. Das legt ein Bericht der internen Revision bei Volkswagen nahe, über den mehrere Zeitungen am Sonntag berichteten. So habe schon 2011 ein Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass die Software einen Rechtsverstoß darstellen könnte, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ unter Verweis auf den Prüfbericht.

Dieser Bericht sei dem Aufsichtsrat bei seiner Sitzung am Freitag, die mit der Absetzung von VW-Chef Martin Winterkorn endete, vorgelegt worden. Er gebe aber keine befriedigenden Antworten, warum die Warnung vor dem illegalen Tun in den Hierarchien versandet sei. Sollte Managern nachgewiesen werden, dass sie in den Skandal direkt verwickelt sind, müssten sie mit strafrechtlichen Konsequenzen und Schadenersatzforderungen rechnen. Ein Volkswagen-Sprecher wollte den Bericht am Sonntag nicht kommentieren. „Wir ermitteln auf Hochtouren und werden die Ergebnisse, sobald wir sie haben, bekanntgeben“, sagte VW-Sprecher Peter Thul.

Die „Bild am Sonntag“ berichtete, bei den Untersuchungen in der Abgas-Affäre sei die interne Revision des Fahrzeugherstellers auch auf ein brisantes Dokument gestoßen. Der Zulieferer Bosch habe schon 2007 in einem Schreiben an den VW-Konzern vor einer illegalen Verwendung seiner Technik zur Abgasnachbehandlung gewarnt. Bosch habe die Software an VW geliefert, die allerdings nur für Testzwecke und nicht für den normalen Fahrbetrieb vorgesehen gewesen sei. Der Zeitung zufolge teilte der Zulieferer damals den Wolfsburgern mit, dass der geplante Einsatz gesetzeswidrig sei. Bosch äußerte sich am Sonntag nicht dazu. „Wir sind gegenüber VW zu Vertraulichkeit verpflichtet“, sagte ein Bosch-Sprecher in Stuttgart.

Das Kraftfahrtbundesamt hat Volkswagen unterdessen aufgefordert, bis zum 7. Oktober einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen, bis wann die Fahrzeuge auch ohne Manipulationssoftware die verbindliche Abgas-Verordnung einhalten können. Ein entsprechender Bericht der „Bild am Sonntag“ wurde aus dem Verkehrsministerium in Berlin bestätigt.

Die italienische Regierung will im Zuge des Abgas-Skandals bei Volkswagen landesweit 1000 Fahrzeuge des Konzerns stichprobenartig untersuchen lassen. „Jeder Test kostet rund 8000 Euro, aber das ist es uns wert. Wir werden die Ergebnisse in zwei bis drei Monaten haben“, sagte Verkehrsminister Graziano Delrio der Turiner Tageszeitung „La Stampa“ (Sonntag). Man werde nicht warten, bis man die von VW und dem deutschen Kraftfahrtbundesamt erbetenen Daten erhalten habe.

In Belgien hat der VW-Importeur D'Ieteren 3200 Diesel mit dem fraglichen Motor EA 189 vorsorglich vom Markt genommen. Der Verkauf sei gestoppt, bis es von Volkswagen weitere Informationen gebe, hieß es am Samstag. Dann könnten auch die Besitzer informiert werden, die ein Auto mit der betrügerischen Software fahren. Das belgische Wirtschaftsministerium schätzt, dass dies im Land etwa 500 000 Autos betrifft.


Rückruf bei Daimler

Inmitten des Abgasskandals bei Volkswagen hat Daimler einem Pressebericht zufolge 11.000 Transporter vom Typ Sprinter zur Optimierung der Software bei „abgasrelevanten Steuergeräten“ zurückgerufen. Die betroffenen Steuergeräte würden „mit einer optimierten Software versehen, um mögliche Unannehmlichkeiten mit Behörden und Prüforganisationen auszuschließen“, schrieb der Stuttgarter Autohersteller laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ in einem Brief an 11.000 Fahrzeughalter. Laut der Zeitung bestritt das Unternehmen zunächst die Echtheit der Briefe, bestätigte sie später aber.

Der Mercedes-Transporter-Chef Volker Mornhinweg versicherte, der Vorgang habe „nichts mit Manipulationen der Software zu tun“. Einige der Diagnosegeräte für eine Hauptuntersuchung der Prüfer hätten mit den Systemen in den Fahrzeugen nicht kommunizieren können. Deshalb seien unter anderem Abgaswerte nicht übertragen worden.

Die Software für die Datenübertragung sei daher nun aktualisiert worden, sagte Mornhinweg der „Welt am Sonntag“. Die Formulierung in dem Brief sei „höchst irreführend“, die Sprinter-Besitzer würden nun über den präzisen Sachverhalt noch einmal informiert.

Daimler-Chef Dieter Zetsche versicherte, Daimler halte sich „grundsätzlich an die gesetzlichen Vorgaben“ und habe „keinerlei Manipulationen an unseren Fahrzeugen vorgenommen“. Eine Funktion, „die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, kommt bei Mercedes-Benz nicht zum Einsatz“, sagte Zetsche der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Er räumte ein, dass die Verbrauchsangaben der Hersteller niedriger liegen, als dies im Straßenverkehr tatsächlich der Fall ist. Doch liege dies daran, dass die vorgeschriebenen Tests unter Laborbedingungen stattfänden.

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