Volkswagen und Ferdinand Piëch Der Rückzug der großen Chancen

VW-Patriarch Ferdinand Piëch verhandelt über seinen Rückzug bei Porsche und Volkwagen. Für den großen Wolfsburger Autokonzern ergibt sich damit die Chance auf einen Neubeginn. Ein Kommentar.

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ARCHIV - Tauben sitzen am 10.12.2015 auf einer Straßenlaterne vor dem VW-Tower in Hannover (Niedersachsen). Volkswagen stellt am 14.03.2017 seine vollständigen Jahreszahlen vor. Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Volkswagen könnte eigentlich ein gewöhnlicher Automobilhersteller sein. Ein Unternehmen, das einfach nur gute Autos baut, ganz so wie BMW und Daimler. Der VW-Konzern kann tatsächlich solche Autos bauen. Warum sonst ist den Wolfsburgern der Aufstieg zum größten Automobilkonzern der Welt gelungen? Warum sonst hat Volkswagen so große und bedeutende Konkurrenten wie Toyota und General Motors dabei hinter sich gelassen?

Doch Volkswagen ist leider viel mehr. Das Wolfsburger Unternehmen ist auch ein Konzern der Skandale: Die Dieselaffäre war nur das jüngste Glied einer langen Kette von Erschütterungen, die den Autohersteller immer wieder in Aufruhr gebracht haben. Betriebsräte im Rotlichtmilieu, der in aller Öffentlichkeit ausgetragene Streit zwischen Arbeitnehmerseite und Vorstand, überzogene Abfindungen für ausgeschiedene Top-Manager und Vorstandsvergütungen jenseits der Realität – das ist eben auch Volkswagen.

Dazu kommt das komplizierte Beziehungsgeflecht innerhalb der beiden großen Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. Oft genug hat es in den vergangenen Jahren Beispiele dafür gegeben, dass die beiden Familienstämme nicht besonders gut miteinander können. Gerade auch wegen des immer wieder belasteten Verhältnisses zwischen den beiden Familiengranden Wolfgang Porsche und Ferdinand Piëch. Vor zwei Jahren hat sich dieser Konflikt noch einmal entscheidend verschärft, als Ferdinand Piëch den damaligen VW-Chef Martin Winterkorn loswerden wollte, sich in der Familie damit aber nicht durchsetzen konnte.

Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Nachricht, dass sich Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch von seinen Anteilen an der Familienholding Porsche SE – und damit letztlich von der Volkswagen-Beteiligung – trennen könnte. Der 79-Jährige hat einen unbestreitbar großen Beitrag daran, dass Volkswagen in den vergangenen 20 Jahren zum Weltkonzern aufgestiegen ist.

Aber seit seinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat vor zwei Jahren ist Piëch weniger durch konstruktive Beiträge im Volkswagen-Konzern aufgefallen als vielmehr durch gefährliches Querfeuer, das nur wieder für neue Unruhe im gesamten Unternehmen sorgt. Wie zuletzt im Februar, als er vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt haben soll, dass einflussreiche Mitglieder des VW-Aufsichtsrates schon viel früher von der drohenden Dieselaffäre gewusst hätten.


Keine Garantie für neue Stabilität

Dem Konzern ist nur zu wünschen, dass sich die Familienstämme Porsche und Piëch recht bald auf einen geordneten Rückzug des großen VW-Patriarchen verständigen können. Gibt Piëch seine Anteile ab, dann sollte das bei Volkswagen für ein Plus an innerer Stabilität sorgen. Ferdinand Piëch würde anerkennen, dass er Macht und Einfluss verloren hat, dass seine große Zeit im Konzern wirklich beendet ist. Neuerliche Querschüsse aus Salzburg wären dann wahrscheinlich auch nicht mehr zu erwarten.

Eine Garantie für eine neue Stabilität im VW-Konzern wäre der Rückzug von Piëch trotzdem nicht. Warum? Es ist keinesfalls sicher, dass die anderen Familienakteure in Zukunft wirklich an einem Strang ziehen werden. Die beiden Familienstämme stehen vor einem großen Umbruch. Ferdinand Piëch hätte sich allein schon aus Altersgründen wahrscheinlich auf absehbare Zeit zurückziehen müssen. Das gilt genauso für seinen Cousin und familiären Gegenspieler Wolfgang Porsche.

Die Familien Porsche und Piëch stehen vor dem großen Wechsel von der dritten auf die vierte Generation. Ferdinand Oliver Porsche und Peter Daniell Porsche heißen deren Vertreter. Sie haben künftig das Sagen in der Familienholding und damit letztlich auch bei Volkswagen. Und sie werden erst einmal beweisen müssen, dass sie es besser machen als ihre oft genug zerstrittenen Vorgänger.

Ein Rückzug von Ferdinand Piëch birgt große Chancen, aber die Familie muss sie auch wirklich nutzen. Gelingt das, könnte Volkswagen extrem davon profitieren. Das Unternehmen steht vor großen Herausforderungen. Digitalisierung und Elektroantrieb krempeln die gesamte Autobranche um, auch VW. Gewaltige Milliardenbeträge werden dafür investiert werden müssen. Mit weniger Streit in der Familie und im Konzern lässt sich das viele Geld viel einfacher erwirtschaften.

Trotz all seiner internen Konflikte ist der VW-Konzern schon jetzt zum weltgrößten Automobilhersteller aufgestiegen. Was wäre erst möglich, wenn in Wolfsburg nur Autos von den Bändern laufen würden, ganz einfach ohne großen Streit?

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