VW-Chef besucht die USA Müllers Reise zur großen Gegenspielerin

Eine „Katastrophe“ ist das US-Geschäft für VW schon lange, nun wird es auch juristisch ein Kampf. Bei der Automesse in Detroit muss VW-Chef Müller trotzdem Optimismus verbreiten – und die US-Umweltbehörde besänftigen.

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In Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee soll der neue VW-SUV gebaut werden. Für VW ein „Alles oder nichts“-Produkt, glauben Analysten. Quelle: dpa

Wolfsburg/Detroit Erst die falschen Autos und dann auch noch eine verbotene Software: Amerikas größte Automesse in Detroit ist für Volkswagen schon lange ein heißes Pflaster, weil die Geschäfte in den USA mangels passender Modelle nicht laufen. Doch so schlimm wie jetzt war es noch nie. Denn die Vereinigten Staaten sind das Epizentrum der Abgas-Affäre, die VW in die tiefste Krise seiner Geschichte stürzte.

Mitten im Diesel-Debakel muss Konzernchef Matthias Müller nun in die Höhle des Löwen zur Branchenschau. Am Mittwoch trifft er sich in Washington außerdem mit Gina McCarthy, der Chefin der US-Umweltbehörde EPA. Für Müller dürfte das kein Vergnügen werden.

Die USA haben Deutschlands größten Konzern wegen Betrugs und Verstößen gegen Umweltgesetze verklagt. Das war absehbar, VW hat den Einsatz der illegalen Abgas-Software schon eingestanden. Doch die Regierung wirft den Wolfsburgern zusätzlich vor, beim Aufarbeiten der Affäre zu tricksen und die Behörden in die Irre führen zu wollen.

Obendrein berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ von einem weiteren Schreckensszenario: 115.000 Dieselautos fürchte VW auf Druck der US-Behörden zurückkaufen zu müssen, schrieb das Blatt am Donnerstag. Das würde neue Milliardenkosten verursachen. Der Konzern lässt den Bericht unkommentiert.

Das Problem droht zum Flächenbrand zu werden, Müller muss löschen. Eine passende Kulisse hat er: Ausgerechnet in der früheren Feuerwache der „Motor City“ wird er seinen ersten US-Auftritt als Nachfolger von Martin Winterkorn absolvieren. In der Nacht zum Montag spricht er dort vor Journalisten. In dem Backsteinbau zelebrierte zuletzt auch Winterkorn den Messestart – stets nach dem Motto: „Es wird schon.“


Selbst Subaru verkauft in den USA mehr Autos als VW

In den USA, dem nach China weltgrößten Automarkt, treffen die Wolfsburger seit langem nur bedingt den Geschmack der Kunden. Die Konkurrenz fährt ihnen davon. Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh nannte das US-Geschäft schon offen eine „Katastrophenveranstaltung“.

Selbst der Autozwerg Subaru verkauft dort mehr. Abhilfe schaffen soll eine SUV-Offensive, die ab Ende 2016 ein Siebensitzer-Dickschiff bringt. Das baut VW in seinem US-Werk in Chattanooga, Tennessee. Für deutsche Verhältnisse ist der Wagen riesig, für die USA mittelgroß.

Der Abgas-Skandal platzt nun in die Aufholpläne. Anders als daheim, wo bald schon die Rückrufe der betroffenen Dieselfahrzeuge anlaufen, sind die Folgen der Affäre für VW in den USA noch weitgehend unklar.

Während die Töchter Audi und Porsche Rekorde einsammeln, fährt die Kernmarke hinterher. 2015 verkaufte VW in den USA nur 349.000 Wagen, vor allem Jetta und Passat. Das ist fünf Prozent unter Vorjahreswert und meilenweit vom Ziel entfernt, bis 2018 rund 800.000 Wagen abzusetzen. Die Marke stammt noch von Winterkorn und wurde bisher nicht kassiert.

Einige Experten sehen schwarz für VW. Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen sagt: „Der Konzern sucht mit Sicherheit eine neue Amerika-Strategie. Er sollte sich überlegen, ob man VW-Pkw dort nicht vom Markt nimmt und mit anderen Marken Erfolg sucht, etwa mit Skoda.“

Bis zum Diesel-Skandal hatten die USA eine Schlüsselrolle gespielt beim Volkswagen-Ziel, bis 2018 auch vor Toyota weltgrößter Autobauer zu werden. Als Hauptgründe für die US-Schwäche gilt neben Lücken im Angebot auch mangelndes Verständnis für die Kundenwünsche. So geriet der Zyklus für eine kosmetische Überarbeitung der Modelle (Facelifts) zu lang. Volkswagens US-Chef Michael Horn sagte dazu vor einem Jahr in Detroit: „Wir müssen schneller sein.“ Nun bremst die Abgas-Affäre.


Große Hoffnung auf CrossBlue

In die Siebensitzer-Geländelimousine – Arbeitstitel CrossBlue – werden in Chattanooga große Hoffnungen gesetzt. Die Heimat der Fabrik in den Südstaaten war rasch hellhörig, als der Diesel-Skandal begann. Nur Wochen nach dem Ausbruch bekräftigte Volkswagen, wie geplant 600 Millionen Dollar zu investieren und 2000 neue Jobs zu schaffen.

„Die Vereinigten Staaten von Amerika gehören weiterhin zu einem der wichtigsten Märkte für Volkswagen“, sagte US-Chef Horn. Er dürfte das eher perspektivisch gemeint haben. Am neuen SUV-Modell aus Chattanooga hängen jedenfalls mehr denn je die Hoffnungen für eine Wende. Karl Brauer vom US-Branchenanalysten KBB nennt den CrossBlue daher ein „Alles-oder-nichts-Produkt“ für Volkswagen in den USA.

Seit Winterkorns Antritt 2007 hatte der Konzern seine Bilanz aus den USA nicht mehr separat ausgewiesen. Finanzanalysten wie Frank Schwope von der NordLB glauben zu wissen, warum: „In den letzten zehn Jahren sind die Ergebnisse der Pkw-Kernmarke in den USA in der großen Mehrheit in den roten Zahlen gewesen.“ Und das Abgas-Dilemma dürfte dies absehbar kaum ändern. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Marke in den USA 2015 schwarze Zahlen geschrieben hat.“

In Chattanooga waren die Stadtoberen einst so stolz auf VW, dass sie dem Werk für 266.000 Dollar den Schriftzug „Volkswagen Chattanooga“ auf dem riesigen Fabrikdach spendierten, wie die örtliche „Times Free Press“ zu berichten wusste. Heute lauten die Schlagzeilen anders.

Der Verkauf des in Chattanooga gebauten US-Passat brach im Dezember um mehr als die Hälfte ein, im Gesamtjahr liegt das Minus bei einem Fünftel. Die Zeitung beschäftigt sich jetzt mit der Frage, ob die Probleme möglicherweise Jobs in der Fabrik gefährden könnten.

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