VW, Deutsche Bank, Air Berlin Diese Topmanager haben die härtesten Jobs
Top oder Flop, Überleben oder Untergehen, Aufstieg oder Rauswurf: Wer in der deutschen Wirtschaft ein Ausnahmejahr vor sich hat.
Der Gefesselte
Lässt ein Manager der Flugbranche die Party des Urlaubsfliegers Condor in Frankfurt aus, hat das meist einen guten Grund. Lufthansa-Chef Carsten Spohr versäumte den informellen deutschen Luftfahrtgipfel, weil ihm streikende Mitarbeiter keine Ruhe ließen. Ganz anders lagen die Gründe bei Air-Berlin-Chef Stefan Pichler. Auch wenn er das nie zugeben würde: Kollegen sind sicher, dass er den Abend ausfallen ließ, um bissigen Kommentaren auszuweichen.
Wohl kein Topmanager in Deutschland hat gerade einen so anstrengenden, weil doppelt schweren Job wie der 58-jährige Bayer. Wo andere Spitzenkräfte angezählter Firmen mit dem Markt und der Betriebswirtschaft ringen, kämpft Pichler auch noch gegen seinen Hauptaktionär, die Fluggesellschaft Etihad aus Abu Dhabi.
Die Scheichs machen die Rettung der hochdefizitären zweitgrößten Fluggesellschaft Deutschlands zu einem stressigen Pingpongspiel. Jedes Mal, wenn der Exlangstreckenläufer Pichler einen Punkt gelandet hat, retourniert Etihad-Chef James Hogan mit eigenen, ganz anderen Vorstellungen.
Zum Beispiel müsste Pichler 2016 bei Air Berlin weiter hart sanieren, eigentlich. Deshalb hatte er harsche Einschnitte bei Flotte, Streckennetz und Mitarbeitern (minus 1000 Stellen) vorgenommen. Doch als er Hogan um sein Plazet bat, winkte der Brite ab. Stattdessen verdonnerte er Pichler, sich im kommenden Jahr mit kleinen Kürzungen zufriedenzugeben und sogar noch neue Flüge aufzulegen, etwa in die USA.
Offenbar befürchtete Hogan Ärger mit seinen Eigentümern aus der Herrscherfamilie von Abu Dhabi, wenn er nach drei Jahren teuren Umbaus auch noch Geld für eine Radikalsanierung bräuchte. Möglicherweise würde Air Berlin, wenn Pichler sich durchsetzt, auch ein zu kleiner Zubringer für den expansionswütigen Großaktionär Etihad. Also muss Pichler, nachdem er im Herbst eine 200 Millionen Euro schwere Anleihe nur mühsam zurückbezahlen konnte, 2016 ähnlich weiterwursteln wie zuvor.
Wo das hinführen soll, bleibt unklar. Das Unternehmen hat seit dem Börsengang im Frühjahr 2006 nie richtig Geld verdient und inzwischen Verluste und Schulden in Milliardenhöhe aufgetürmt. Mindestens ein Drittel der Strecken macht Miese, darunter viele Strecken, die Air Berlin als Zubringer für Etihad fliegt.
„Alle haben hier doch nur ein Interesse, nämlich die Firma zu sanieren“, glaubte Pichler noch im Frühjahr dieses Jahres. Dessen kann er sich jetzt nicht mehr sicher sein. Denn mit seinem Sanierungsplan musste Pichler gleich die Prognose mit kassieren, dass Air Berlin 2016 operativ aus den Verlusten kommt. Wie aber soll er an Geld kommen? Etihad kann sich über eine Kapitalerhöhung kaum noch beteiligen. Erhielten die Araber weitere Aktien, könnte Air Berlin den Status als EU-Fluglinie und damit wichtige Flugrechte verlieren.
Eine Insolvenz mit Entschuldung und anschließender Neukapitalisierung als letzten Ausweg weist Pichler als „absolut abwegige Spekulation“ zurück. Bleibt eigentlich nur noch eines: ein Wunder.
Von Jürgen Berke, Reinhold Böhmer, Rebecca Eisert, Mark Fehr, Angela Hennersdorf, Henryk Hielscher, Matthias Kamp, Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Harald Schumacher und Cornelius Welp.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Joker
Einen krasseren Gegenentwurf zu Michael Süß, der bei Siemens bis Mai vergangenen Jahres die Energiesparte leitete, gibt es nicht. Die Amerikanerin Lisa Davis, die heute den Posten bekleidet, tritt als smarte Managerin auf, gern im pinkfarbenen Kostüm. Ihr Vorgänger stapfte, wenn es ging, in bayrischer Tracht durch die Gegend. Weggefährten nannten den Maschinenbauingenieur „einen mit Schmieröl an den Fingern“, der in der Fabrik auch schon mal den Schraubenschlüssel in die Hand nimmt. Die zartgliedrige Chemieingenieurin Davis zieht das kluge Wort vor. Ausgerechnet so eine hat Siemens-Chef Joe Kaeser auserkoren, die tragende Sparte des deutschen Traditionskonzerns, die Energieerzeugung, in die Schlacht gegen den enteilenden US-Rivalen General Electric (GE) zu führen. Das Geschäft mit dem Turbinenbau, der Energieübertragung und dazugehörigen Dienstleistungen umfasst gut 40 Prozent des Siemens-Umsatzes von insgesamt 76 Milliarden Euro, ist die Seele des Konzerns und zeichnet sich durch „großen Handlungsbedarf“ aus, wie Kaeser vornehm formuliert.
Das ist schöngefärbt. In Wahrheit ist die Sparte schwer gezeichnet, wird Davis in die Siemens-Geschichte eingehen als diejenige, die die Herzschwäche des Konzerns überwand oder vor ihr kapitulierte. Denn die 52-Jährige steht vor schweren Großoperationen. Sie muss die Sparte, deren Margen bis vor Kurzem nur sanken, von den Pannen beim Anschluss von Windparks auf hoher
See heilen, die zu Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe führten. Sie muss verhindern, dass Siemens bei den Superturbinen nicht weiter hinter die neuen, effizienteren GE-Gasturbinen zurückfällt und bei kleinen Gasturbinen zur dezentralen Energieerzeugung aufholen. Als großer Joker erschien bei Davis’ Antritt im August 2014, dass sie die Sparte von Houston/Texas führt. Siemens sollte am Boom von Schieferöl und -gas in den USA mitverdienen. Als Türöffner sollte der US-Ausrüster Dresser- Rand fungieren, den Kaeser für 7,8 Milliarden Dollar übernahm.
Doch dieser Plan macht Davis’ Job inzwischen eher noch schwerer. Denn Kaeser hat beim Kauf einen Ölpreis von langfristig 90 Dollar pro Fass unterstellt. Zurzeit liegt der aber unter 40 Dollar. Kunden legen Investitionen auf Eis. Ein Anstieg des Ölpreises ist nicht in Sicht.
Die ganz großen Zukunftsmärkte der Energiesparte liegen nicht vor Davis’ Haustür, sondern weiter östlich. So zog Siemens einen Auftrag für Kraftwerke über acht Milliarden Euro an Land, das größte Paket in der Konzerngeschichte – nicht in den USA, sondern in Ägypten. Ob Davis Vergleichbares je von Houston aus schafft?
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Abbaumanager
Er ist ein bodenständiger und zugänglicher Typ, der den Dienstwagen auch mal für öffentliche Verkehrsmittel stehen lässt. 2015, im Jahr der Abstürze, hat er die steilste Karriere bei der Deutschen Bank gemacht, ist zu Jahresbeginn als Rechtsvorstand an die Spitze aufgestiegen und hat im Sommer das wichtige Geschäft mit den Privatkunden übernommen. Viele trauen dem 45-Jährigen eine noch größere Zukunft zu.
Vorher muss Christian Sewing allerdings den wohl heikelsten Job in der Bank erledigen. Wie kein anderer steht er im Zentrum des Umbaus, der vor allem ein Abbau ist. Gerade im Privatkundengeschäft stehen harte Einschnitte an, die die Mitarbeiter zu lähmen und zu frustrieren drohen.
Sichtbarster Schritt ist die für das kommende Jahr geplante Trennung von der Postbank. Sie ist vor allem eine technische und organisatorische Herausforderung. Ins alte Herz der Bank zielt dagegen die Dezimierung der gewachsenen Substanz. Die Deutsche schließt rund 200 der bisher gut 700 Filialen und streicht 4000 Stellen.
Sewing verkauft auch das als Vorwärtsstrategie, als Schritt zur Digitalisierung, doch intern sehen das viele anders: Brave Beschäftigte in den Filialen müssten nun mit ihren Jobs für die Sünden der deutlich besser bezahlten Investmentbanker büßen, deren Tricks und Manipulationen die Bank Milliarden und ihr gutes Ansehen kosteten.
Damit die Bedeutung des Geschäfts im Konzern nicht allzu sehr schrumpft, erhält Sewing noch das Geschäft mit sehr reichen Kunden dazu. Doch das allein wird nicht reichen, um die Angestellten für die neue Strategie zu motivieren. Da könnte Sewing schon eher sein Stallgeruch helfen. Ursprünglich wollte er Sportjournalist werden, absolvierte dann aber eine Banklehre und studierte wenig glamourös berufsbegleitend an der Bankakademie in Bielefeld. Danach absolvierte er fast seine ganze Karriere bei der Deutschen Bank, wenn auch fernab der Kunden, im Risikomanagement und in der Revision. Seine Führungsqualitäten, so die Hoffnung im Haus, sollen eventuell fehlendes Detailwissen wettmachen. Die Mission ist eine riskante Wette. Aber mit denen kennt sich die Deutsche Bank ja aus.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Aufräumer
Er wusste, dass es schwer werden würde bei Volkswagen, sehr schwer. Als der ehemalige BMW-Manager Herbert Diess im Juli von der Isar nach Wolfsburg wechselte, war sein Auftrag vorgezeichnet. Er war der Mann fürs Grobe, der die Kernmarke VW rentabler machen und dem eingefahrenen Team Dampf machen sollte. Würde ihm das gelingen, hätte er gute Chancen, den bis dato amtierenden Konzernlenker Martin Winterkorn zu beerben.
Dass diese Aussicht nun in die Ferne gerückt ist und alles noch viel anstrengender wird, weiß Diess seit dem Beginn der Abgasaffäre am 23. September 2015. Die Marke VW ist schwer angeschlagen, Konzernlenker Winterkorn zurückgetreten – und die Herausforderung für den 57-Jährigen über Nacht um ein Vielfaches gewachsen. Statt den größten Autobauer Europas zu pflegen, muss er ihn nun retten, statt die Marke VW mit jährlich rund sechs Millionen verkaufter Autos nur aufzupolieren, muss er sie mit neuem Leben füllen.
Gleich am 5. Januar wird Diess auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas als einer der Hauptredner auftreten, um ein neues Elektroauto der Wolfsburger zu präsentieren. Es ist sein erster Schritt als VW-Markenchef auf einer amerikanischen Bühne nach dem Skandal. Findet er die richtigen Worte? Wirkt er bescheiden, aber selbstbewusst genug, wie es sich der neue Konzernchef Matthias Müller künftig von allen Mitarbeitern wünscht? Die Symbolkraft dieses Moments wird immens sein.
Im Tagesgeschäft muss Diess fast Wunder vollbringen. Der Gewinn pro Mitarbeiter soll hoch, die Kosten müssen runter, gleichwohl darf er keine Leute entlassen. Das haben Konzernchef Müller und Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh vereinbart. Diess bleibt deshalb nur, umso härter an anderen Stellen anzupacken. Er muss Modelle und Varianten streichen. Und ihm obliegt es, das zu tun, was ihm bei BMW den Ruf des Kostenkillers einbrachte: die Preise der Zulieferer drücken, insgesamt um drei Milliarden Euro. Weil die ohnehin unter brutalem Druck stehen, kann Diess das Ziel womöglich nur erreichen, indem er gegenüber Lieferanten weniger aggressiv auftritt – für den als knallharten Hund bekannten Manager eine der größten Herausforderungen.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Geldverbrenner
Der Chef der Berliner Internetschmiede Rocket Internet gibt sich cool, steht aber vor einem Berg von Problemen. Oliver Samwer muss jetzt endlich den Beweis erbringen, dass seine Start-up-Fabrik funktioniert. Schon seit Monaten grummeln die Rocket-Aktionäre vernehmlich; derzeit notiert das Papier bei knapp unter 30 Euro, ein Minus von gut 30 Prozent gegenüber dem Ausgabekurs zum Börsengang im Oktober 2014.
Eigentlich hatte Samwer gehofft, mit einem Börsengang von HelloFresh die große Kehrtwende zu starten. Der Kochboxen-Versender ist aktuell die vielversprechendste Mehrheitsbeteiligung. Doch Samwer wollte zu viel für das Unternehmen – und musste den Börsengang Ende des vergangenen Jahres auf Eis legen.
Statt einen Befreiungsschlag zu feiern, steht der schillernde Seriengründer nun vor einem wachsenden Glaubwürdigkeitsproblem. Denn die Frage, ob die Rocket-Beteiligungen tatsächlich jene märchenhaften Beträge wert sind, die in den Bilanzen stehen, bleibt weiterhin unbeantwortet. Und noch schwerer wiegt, dass bis heute jeder durchgreifende Nachweis fehlt, dass Samwer tatsächlich wertvolle Internetunternehmen in Serie großziehen und an der Börse versilbern kann. Die zehn wichtigsten Beteiligungen fuhren in den ersten neun Monaten 2015 immerhin ein Minus vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von satten 620 Millionen Euro ein.
Zudem knirscht es zwischen Samwer und dem schwedischen Rocket-Großaktionär Kinnevik vernehmlich. So soll vor allem Kinnevik-Chef Lorenzo Grabau Widerstand gegen Samwers HelloFresh-Pläne geleistet haben. Zu hoch war dem Manager offenbar die Gefahr, dass Investoren ob der üppigen HelloFresh-Bewertung abwinken und den Börsengang in ein Desaster verwandeln.
Wenig später räumte Grabau seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender von Rocket. Dort wacht nun der Samwer-Vertraute Marcus Englert über die Geschicke des Unternehmens. Ganz verprellen wird Samwer seinen wichtigsten Geldgeber aber gewiss nicht. Wie der Machtkampf 2016 weitergeht, ist daher offen.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Filetierer
„Der Markt kennt kein Mitleid mit ineffizienten Unternehmen“, schrieb Per Utnegaard ein paar Wochen nach Amtsantritt an seine rund 70.000 Mitarbeiter. Er meinte damit Bilfinger, das Unternehmen, dessen Führung der Norweger mit schweizerischem Akzent am 1. Juni dieses Jahres übernommen hat. Bilfinger, das ist der unter Hessens Exministerpräsident Roland Koch (CDU) krachend abgestürzte Exbaukonzern und heutige Industrie- und Kraftwerksdienstleister aus Mannheim, dessen Aktienkurs nach sechs Gewinnwarnungen in einem Jahr von mehr als 92 Euro auf zeitweise 32 Euro fiel.
Utnegaards Diagnose für den Zustand von Bilfinger ist vernichtend. „Wir bleiben weit hinter unseren Möglichkeiten zurück“, weiß er. „Wir verkaufen unsere komplexen Produkte und Services zu preiswert. Die Kosten für die Erbringung der Leistung sind zu hoch, die Profitabilität zu niedrig.“ Und die Aussichten sind dramatisch. „Ein Weiter-so wird es nicht geben. Es geht um unsere gemeinsame Zukunft.“
Der Skandinavier, der vom Investor und Großaktionär Cevian an die Spitze gehievt wurde, steht vor einer der radikalsten Unternehmenssanierungen in Deutschland, und liefern muss er im kommenden Jahr. Was er plant, will Utnegaard zwar erst im Frühjahr 2016 mitteilen. Absehbar ist aber schon jetzt, dass er Bilfinger von rund acht Milliarden auf schätzungsweise fünf Milliarden Euro Umsatz stutzen wird. Aktivitäten außerhalb Europas sind künftig nicht mehr erwünscht.
Heftig zuschlagen wird Utnegaard beim Service für Kraftwerke, dem Hauptverlustbringer bei Bilfinger. Die Sparte beschäftigt 11 000 Mitarbeiter und leidet unter der Energiewende, die immer mehr fossile Stromfabriken unrentabel macht. Utnegaard will das Geschäft bis Mitte 2016 verkaufen, ob er dafür einen lukrativen Preis bekommt, ist allerdings völlig offen. Parallel will er alle Sparten – also auch den Industrieservice und den erfolgreichen Bereich Gebäudedienstleistungen – auf Effizienz trimmen.
Hatte Vorgänger Koch Bilfinger zentralisiert, will Utnegaard nun „mehr Freiheit für die Segmente“. Was zwischen denen dann noch Verbindendes bleibt, beschreibt der Norweger so: praktisch nichts. „Es gibt keine Synergien“, sagt Utnegaard, „nullkommanull.“ Damit wäre die Auflösung von Bilfinger durch Verkauf der Einzelteile die logische Konsequenz. Wie er dabei zu Werke geht, hat der Ex-Chef des Züricher Flughafen-Dienstleisters Swissport auch schon verraten: „Mit deutscher Gründlichkeit.“
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Die Geisterkapitäne
Monika Heinold (Grüne) und Peter Tschentscher (SPD) sind eigentlich Landratten. Doch als Finanzminister von Schleswig-Holstein und Hamburg werden die beiden 2016 zu unfreiwilligen Chefs einer Problemflotte aus Geisterschiffen. Als wäre das Regierungsamt nicht genug, kommt auf die beiden 2016 ein weiterer, besonders nervenzehrender Job hinzu: Heinold und Tschentscher müssen die HSH Nordbank, die beiden Ländern zu rund 85 Prozent gehört, zu einem großen Teil abwickeln – in der Hoffnung, dass wenigstens der Rest der durch Finanz- und Schifffahrtskrise angeschlagenen Bank überleben kann. Er muss bis 2018 privatisiert werden.
Die Rettungsaktion für das Kreditinstitut ist mit den EU-Behörden abgesprochen. Das Opfer auf Steuerzahlerkosten soll die HSH-Restbank von Problemkrediten erleichtern, zumindest so weit, dass sie mit einem verschlankten Geschäftsmodell als Bank für Unternehmer und Mittelstand die Vergangenheit hinter sich lassen kann. Anders als die 2012 auf Anweisung aus Brüssel dichtgemachte Düsseldorfer WestLB bekommt die HSH also eine neue Chance.
Schuld an der Misere sind vor allem die Schiffe, die das Institut leichtsinnig finanziert hat – rund 1900 von ihnen stehen noch in der Bilanz. Die seit Jahren grassierenden Überkapazitäten auf den Weltmeeren haben aus den Frachtern und Tankern schwimmende Verlustbringer gemacht, die das Geld für Zins und Tilgung nicht einspielen. Notleidende Kredite im Umfang von rund 6,2 Milliarden Euro darf die HSH deshalb bei den Steuerzahlern der beiden norddeutschen Bundesländer abladen.
Heinold und Tschentscher packen die faulen Darlehen in eine öffentlich-rechtliche Abwicklungsanstalt und wollen aus ihnen zumindest noch die Reste rausquetschen. Die Banker in der Abwicklungsanstalt müssen entscheiden, welchen Kredit sie für wie viel Geld weiterverkaufen und welchen sie aufgeben wollen, Schiff für Schiff. Für jeden Euro, den sie abschreiben, müssen die beiden Landeskassen einspringen. Ein Quantum Trost bleibt: Tschentscher und Heinold haben ausrechnen lassen, dass die Aktion den Steuerzahler mehrere Milliarden Euro billiger komme als ein unkontrolliertes und sofortiges Ende der HSH.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Mobilmacher
Vodafone gleicht einem Bundesligaverein auf einem Abstiegsplatz. Der Trainer wurde ausgetauscht, ein neuer Mann soll dem desolaten Team einen so starken Impuls geben, dass es über sich hinauswächst. Bei Vodafone ist dies der Job von Hannes Ametsreiter. Der 48-jährige Österreicher, seit 1. Oktober im Amt, soll Deutschlands zweitgrößten Mobilfunkanbieter vor der Zweitklassigkeit retten. Ein Höllenjob: Seit vier Jahren laufen dem einstigen Marktführer die Kunden weg. Statt 37,6 Millionen im Dezember 2011 sind es jetzt nur noch 30,2 Millionen.
Damit beginnt für Ametsreiter das große Zittern. Vodafone, das hat er erkannt, darf nicht unter die Marke von 30 Millionen Kunden rutschen, die das Unternehmen Ende 2006 als erster Mobilfunkanbieter hierzulande übersprungen hatte. Mit neuen Tarifen und Werbekampagnen will Ametsreiter den Kundenschwund unbedingt stoppen.
Das ist zwar der wichtigste, nicht aber unbedingt der anspruchsvollste Punkt in Ametsreiters Programm an der Spitze von Vodafone Deutschland. Langfristig will er sich wieder auf Augenhöhe mit dem Branchenprimus Deutsche Telekom duellieren. Die technische Basis hat Vorgänger Jens Schulte-Bockum gelegt, für Milliarden wurden die Lücken im Vodafone-Mobilfunknetz geschlossen. Ametsreiters Aufgabe ist es nun, aus der deutschen Tochter der britischen Vodafone einen integrierten Telekomkonzern mit Festnetz, Mobilfunk und Fernsehen zu schmieden, der in allen Marktsegmenten besser als die Deutsche Telekom ist. Dazu muss er zuvorderst die Machtkämpfe zwischen der Mobilfunksparte in Düsseldorf und der Festnetzsparte in München beenden. Bei der Telekom hat Vergleichbares drei Jahre gedauert. So viel Zeit hat Ametsreiter nicht.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Der Disruptive
Das muss ihm erst einmal einer nachmachen. Olaf Berlien tritt vor die Öffentlichkeit und malt die Zukunft von Osram rosarot, doch die Investoren glauben ihm nicht. Die Aktie stürzt um bis zu 30 Prozent ab, hat sich bis heute kaum erholt. Der Osram-Chef habe seine Strategie wohl „nicht optimal“ kommuniziert, heißt es später im Unternehmen.
Die Wahrheit ist einfacher: Seit Berlien am 11. November ankündigt hat, eine Milliarde Euro in eine neue Chipfabrik in Malaysia zu stecken, steht er unter schärfster Beobachtung des Kapitalmarktes. Denn dem 53-jährigen Ex-ThyssenKrupp- Manager muss ein Kunststück gelingen, auf das viele Unternehmen anderer Branchen hoffen: die Umstellung des laufenden Betriebs von einer aussterbenden auf eine neue Technologie. Statt Glüh-, Halogen- und Energiesparlampen herzustellen, muss Osram auf die effizienteren Leuchten aus Halbleitern umstellen. Denen gehört die Zukunft. Anders wird das Unternehmen mit 33.000 Mitarbeitern und 5,6 Milliarden Euro Umsatz nicht überleben.
Disruptiv heißt ein solcher bruchartiger Übergang, der Berlien bei Osram gelingen muss. Und disruptiv könnte auch seine Karriere bei Osram verlaufen. Denn mit der Chipfabrik in Malaysia muss Osram gegen scharfe Konkurrenz aus Südkorea und Japan antreten. Und die Licht aussendenden Halbleiter, die LEDs, sind Produkte, die wie Computerchips einem drastischen Preiswettbewerb ausgesetzt sind. Die Investoren sähen es lieber, Osram würde sich auf Nischen konzentrieren, etwa die Beleuchtung von Autos. Sollte Berlien es nicht schaffen, mit LEDs
Geld zu verdienen, kostet die teure Fabrik ihn irgendwann den Job.
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
Die Ritter der Atomrunde
Eine solche Verbrüderung hat es in Deutschland noch nie gegeben. In der Mitte des Tisches sitzt Jürgen Trittin, Exkommunist, Exbundesumweltminister, Grüner. Rechts von ihm hat Ole von Beust Platz genommen, Altmärkischer Adel, Ex-Erster-Bürgermeister von Hamburg, CDU. Und links von Trittin hat sich Matthias Platzeck eingerichtet, Diplom-Ingenieur für biomedizinische Kybernetik, Ex-DDR-Bürger, Exministerpräsident von Brandenburg, Ex-SPD-Parteichef.
Die drei haben sich vor sieben Frauen und neun Männern aufgebaut, die ähnlich gegensätzlich sind wie die Runde am Tisch: Unter ihnen CDU/CSU-Fraktionsvize und Grünen-Kritiker Georg Nüßlein und Ralf Meister, Landesbischof von Hannover und Kämpfer gegen ein Atomendlager im niedersächsischen Gorleben. Dazu Gerald Hennenhöfer, Exenergiemanager und inoffizieller Gesandter der Stromkonzerne. Säßen die 19 nicht im Eichensaal des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin, Beobachter könnten meinen, eine U-Boot-Mannschaft scharte sich um ihren Kapitän.
Doch die Runde ist keine Kampf-, sondern eine Friedenstruppe: die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK), die die Bundesregierung am 14. Oktober 2015 eingesetzt hat. Die sperrige Bezeichnung benutzt allerdings niemand, stattdessen spricht jeder von der Atomkommission. Die trifft sich regelmäßig, um bis Februar einen Vorschlag zur endgültigen Finanzierung der Atomfolgekosten in Deutschland zu unterbreiten.
Das Unterfangen hat historische Bedeutung und gehorcht einer eigentümlichen Dialektik. Denn ein Gremium mit diesem Namen gab es schon einmal in Deutschland, von 1956 bis 1971; es beriet die damaligen Bundesregierungen, wie möglichst schnell möglichst viele Atommeiler gebaut werden könnten. Was dabei herauskam, ist bekannt: 36 AKWs, von denen die verbliebenen acht wegen des Atomdesasters in Fukushima bis 2022 abgeschaltet werden müssen.
Wie die damalige Atomkommission einmütig die friedliche Kernspaltung vergötterte, soll das Gremium nun im Konsens die Atomkraft in Deutschland für immer in die Geschichtsbücher verbannen. Es gilt, das Problem zu lösen, wer für die milliardenteure Beendigung der Atomära zahlt. Sind es allein die Konzerne, die die Meiler mit staatlichen Milliarden gebaut, betrieben sowie zu Gelddruckmaschinen gemacht haben und die rechtlich für Rückbau und Endlagerung haften müssen? Oder sollte auch der Steuerzahler ran, weil die Konzerne sonst unter der Last zusammenbrechen und dann noch mehr beim Staat hängen bliebe?
Noch nie musste eine Runde aus Politikern, Wirtschafts- und Zivilvertretern eine so teure Entscheidung treffen. Zur Debatte steht die Verwendung und Sicherung der 38 Milliarden Euro, die E.On, RWE, EnBW und Vattenfall in ihren Büchern zurückgestellt haben. Wirtschaftsprüfer bezweifeln, dass das reicht. Ihrer Ansicht nach müssten die vier realistischerweise 70 Milliarden Euro zurückstellen. Damit wären sie wirtschaftlich am Ende, ohne dass klar wäre, ob genug Geld für die Endlagerung da ist.
Trittin, von Beust und Platzeck sollen Einvernehmlichkeit in einer Breite herstellen, wie es sie in der deutschen Wirtschaftspolitik so wohl noch nie gegeben hat. Sie dürfen die Versorger nicht dem Untergang weihen, sonst rebellieren die Beschäftigten und die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die als Anteilseigner von RWE Dividenden kassieren. Gleichwohl müssen sie die Konzerne maximal in die Pflicht nehmen, um dem Steuerzahler möglichst wenig von der Entsorgung des Atommülls aufzubürden.
Wie ein tragfähiger Deal aussehen wird, hängt von der Überzeugungskraft des gegensätzlichen Trios an der Spitze der Kommission ab. Ob die Konzerne sich am Ende von einem Teil der Lasten werden freikaufen können und wie viel letztlich am Staat hängen bleibt – die grobe Richtung glaubt CDU-Mann von Beust zu kennen: „Der Steuerzahler muss bei der Atom-lösung gut wegkommen, aber wir dürfen den Versorgern nicht die Luft zum Atmen nehmen.“
Bild: Illustration: Bernd Schifferdecker
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