VW nach der Dieselaffäre Volkswagen fährt auf der grünen Welle

Die Dieselaffäre hat auch ihr Gutes: Volkswagen verstärkt die eigenen Anstrengungen in Sachen Umweltschutz. In der Autoproduktion soll alles sauberer und umweltgerechter werden. VW verfolgt damit noch ein weiteres Ziel.

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114 Eimer mit jeweils zehn Litern Wasser stehen um einen Golf auf dem VW-Werksgelände in Wolfsburg. Seit 2010 hat Volkswagen die benötigte Wassermenge für die Herstellung eines Golf-Pkws um 1140 Liter reduziert, vor allem durch Fortschritte bei der Lackierung. Quelle: dpa

Wolfsburg Schon am Eingang ist der Lackgeruch unverkennbar. Durch die Glasscheibe lassen sich die lackierten Stoßfänger erahnen, in „Atlantic Blue“ oder „Oryxweiß“ laufen sie über die Produktionsstraße. Der Zutritt ist nur über eine Luftschleuse und mit Schutzanzügen möglich. Die Kunststoff-Lackiererei von Volkswagen in Wolfsburg ist wie ein großer Reinraum angelegt, Sauberkeit im Inneren hat höchste Priorität.

Seit gut drei Jahren ist die Anlage in Betrieb, täglich werden dort bis zu 4.000 Stoßfänger aus Kunststoff für den Golf und dessen Modellableger Sportsvan gefertigt. Kunststoffe sind im Autobau immer wichtiger geworden, weil sie die Fahrzeuge leichter machen und damit Sprit sparen helfen. Beim ersten Golf vor 40 Jahren lag der Kunststoff-Anteil noch bei zehn Prozent, heute in der siebten Generation sind es 23 Prozent.

Olaf Thiemermann leitet die Kunststoff-Lackiererei. Er ist stolz darauf, dass die Produktion immer sauberer geworden ist. Neue Filteranlagen sorgen dafür, dass in der Lackiererei jährlich 600.000 Kilowattstunden Strom gespart werden können. „Wir haben den Energieverbrauch also deutlich senken können“, sagt der Techniker. Noch einen weiteren Fortschritt gibt es in der Produktionsstraße für Stoßfänger: Der Lack wird heute ohne Grundierung auf die Kunststoffteile aufgetragen, außerdem werden keine Lösemittel mehr gebraucht.

Die eigenen Anstrengungen in Sachen Umweltschutz präsentiert VW nur allzu gern. Denn die Last der Dieselaffäre wiegt unverändert schwer auf dem Volkswagen-Konzern. Der Wolfsburger Autohersteller hat eine große Umweltsünde begangen: Der Belastung der Atmosphäre mit Stickoxiden durch Millionen von manipulierten Dieselmotoren stand das Unternehmen gleichgültig gegenüber. Hauptsache, die Absatzzahlen stimmten, ob nun in Europa, Kanada oder den USA. Erst in dieser Woche hat es Audi getroffen: Die VW-Tochter hat nach Angaben von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) unzulässige Abgas-Software verwendet. Die Software habe bewirkt, dass erkannt wurde, wenn das Auto auf einem Prüfstand war - dann wurden die Abgas-Reinigungssysteme angeschaltet. Es seien rund 24.000 Fahrzeuge betroffen, sagte der Minister. Audi weist die Vorwürfe zurück.

Volkswagen und insbesondere dem Top-Management ist klar, dass der Konzern nach dem Dieselskandal etwas für sein grünes Gewissen tun muss. Nicht nur nach außen gegenüber dem Kunden, sondern auch intern in den eigenen Fabriken. Das Unternehmen hat das Umweltprogramm „Think Blue. Factory“ ins Leben gerufen. Alles soll sauberer und umweltgerechter werden: Volkswagen will weniger Wasser und weniger Energie verbrauchen, die Autowerke sollen eine geringere Menge Kohlendioxid an die Atmosphäre abgeben, überall soll weniger Müll anfallen. Ganz so wie in der Lackieranlage für die Kunststoff-Stoßfänger. Weil die werkseigene grüne Welle gut angelaufen ist, werden die VW-internen Umweltziele noch einmal verschärft.

„Wir haben das Ziel vorzeitig erreicht, unsere Fahrzeuge bis 2018 insgesamt 25 Prozent nachhaltiger zu produzieren“, sagt Thomas Ulbrich, VW-Marken-Vorstand für Produktion und Logistik. Bis 2025 sollen nun 45 statt 25 Prozent weniger Kohlendioxid und Müll anfallen sowie weniger Energie, Wasser und Lösemittel verbraucht werden. Damit sei Volkswagen „auf dem Weg zur ressourcenoptimalen Fabrik an allen Standorten der Marke“.

Seit der Einführung des „Blue-Factory-Programms“ habe es nicht nur in Wolfsburg, sondern in allen VW-Fabriken weltweit 5.300 einzelne Schritte zur Verringerung der Emissionen und zur effizienteren Nutzung von Ressourcen gegeben.


Geld sparen mit Umweltschutz

Insgesamt sind 16 Lackierereien umgebaut worden, der Grundenergiebedarf der Fabriken in produktionsfreien Zeiten ist im Durchschnitt um 15 Prozent gesunken. Außerhalb Deutschlands beziehen acht VW-Standorte ihren Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen. Dazu gehören beispielsweise die Fabriken in Bratislava (Slowakei) und Pamplona (Spanien). Deutsche Werke sollen ebenfalls Schritt für Schritt auf Solar- und Windenergie umgestellt werden.

Produktionsvorstand Ulbrich ist davon überzeugt, dass die eigene Belegschaft motiviert an die konzerninterne grüne Welle herangeht. „Wir setzen uns auch deshalb neue und höhere Ziele, weil sich die Mannschaft mit unserem Umweltprogramm identifiziert und großartig mitzieht“, sagt er. Das Zusammenspiel aus Ideen der Mitarbeiter und aus Investitionen in Umwelttechnologien sorge für entsprechende Resultate. Dazu gehöre auch ein weltweiter Austausch: Habe sich eine Umweltidee an einem Standort bewährt, werde sie auf andere Werke übertragen. Ein Beispiel dafür sei die Umstellung auf Solar- und Windenergie in der Stromversorgung.

Das Umweltprogramm hat allerdings noch einen anderen Hintergrund. Es soll mit dafür sorgen, dass das Unternehmen produktiver wird. „Konsequenter Umweltschutz führt auch zu mehr Effizienz“, sagt Peter Bosch, Leiter Strategie, Produktion und Logistik der Marke VW. Auf dem Unternehmen laste ein gewaltiger Kostendruck, Einsparungen durch mehr Umweltschutz könnten dabei nur helfen. Im Vergleich zu den meisten Wettbewerbern fällt die Rendite bei der Marke Volkswagen immer noch recht mager aus. Im vergangenen Jahr lag die operative Marge gerade einmal bei 2,1 Prozent, der Branchenstandard geht hingegen Richtung sechs Prozent.

Der Konzern kann seine Rentabilität steigern, wenn künftig etwa nur noch energiesparende LED-Leuchten in den Werkshallen verwendet werden. Der Wasserverbrauch ist schon zurückgegangen: Im Jahr 2010 wurden im Wolfsburger Stammwerk noch 4,13 Kubikmeter je produzierten Autos benötigt, 2016 waren es nur 2,99 Kubikmeter. Einsparungen verspricht sich Volkswagen auch davon, wenn in den Fahrzeugen weniger Stahl und stattdessen mehr Kunststoffe und Textilien verwendet werden. Deshalb gibt es in unmittelbarer Nähe zum Werk ein Forschungszentrum für Leichtbauweise, das Volkswagen zusammen mit der TU Braunschweig betreibt.

Werden dort wegweisende Forschungsergebnisse erzielt, kann Volkswagen künftig vielleicht noch mehr Geld einsparen. Denn bislang sind die Einsparungen aus dem „Blue-Factory-Programm“ vergleichsweise bescheiden ausgefallen. In den zurückliegenden sechs Jahren seien mit Hilfe des Programms etwa 130 Millionen Euro eingespart worden, erläutert Produktionsvorstand Ulbrich. Das reicht bei weitem nicht aus, um die Kosten der Dieselaffäre zu decken. Gerichts- und Entschädigungszahlungen verschlingen gewaltige Beträge – bislang hat Volkswagen dafür Rückstellungen in Höhe von 22,6 Milliarden Euro gebildet.

Die Chancen stehen trotzdem nicht schlecht, dass Vorschläge in Sachen Umweltschutz eben wegen der Dieselaffäre im gesamten Unternehmen auf fruchtbaren Boden fallen. „Denken ist nicht verboten“, sagt Marko Gernuks, Leiter Umweltanalyse im Konzern, „das wird im Moment sehr gut angenommen von unseren Managern.“

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