VW nach Piëch Volkswagen nabelt sich von Wolfsburg ab

Lässt sich Konzern mit 120 Fabriken und 600.000 Mitarbeitern überhaupt noch zentral lenken? VW-Patriarch Piëch hätte das sofort unterschrieben. Nach seinem Abgang steht Volkswagen aber nun vor einem Kulturwandel.

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Künftig dürften nicht mehr alle Entscheidungen in der Firmenzentrale fallen. Quelle: dpa

Wolfsburg Der wochenlange Machtkampf in der VW-Spitze ist für den Gewinner Martin Winterkorn nur ein Etappensieg gewesen. Denn für den Chef von Europas größtem Autobauer steht die eigentliche Bewährungsprobe erst noch aus. Sie soll bis zum ersten Zwischenstand im Oktober in aller Ruhe Ergebnisse bringen – ganz anders als zuletzt der turbulente Machtkampf.

Winterkorn muss nach der Kraftprobe, die vor 100 Tagen begann und mit dem Rücktritt des VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch endete, die Weichen stellen für die Zukunft des hierzulande größten Unternehmens. Das Motto dazu: Dezentralisierung. Für den riesigen, weltumspannenden Konzern sind das neue Vorzeichen.

Volkswagen befindet sich gewissermaßen in einer Familientherapie. Die zwölf Marken könnten aufgeteilt werden, angedacht ist eine Viererstruktur. Offen fordern Top-Manager inzwischen mehr Familiensinn, weniger Klein-Klein und ein Ende des Wolfsburger Zentralismus, der bisher den Nabel der VW-Welt bildet mit ihren 120 Werken – in denen vom Motorrad bis zum Schwerlaster praktisch jede Art Straßenfahrzeug vom Fließband läuft.

Noch Anfang des Jahres hatte Winterkorn dem „Stern“ zur Kultur der VW-Führung gesagt: „Die wichtigsten Entscheidungen müssen zentral fallen.“ Es sei stets er, auf den die Wege zugeschnitten seien. „Am Ende muss einer entscheiden. Man kann ja nicht ewig diskutieren.“

In der Nach-Piëch-Ära scheint das überholt. Die zwölf Marken sollen sich intelligenter sortieren; bei den schweren Nutzfahrzeugen MAN und Scania ist das mit einer eigenständigen Holding schon geschehen. Dieser Weg zu neuen Familiengruppen könnte als Blaupause dienen.

Seit Juli hat Winterkorn einen Kern seiner Zentralmacht abgetreten an den Ex-BMW-Vorstand Herbert Diess. Der sagte in seinen ersten Worten an die Belegschaft gleich einem „Silo-Denken“ den Kampf an. Selbst um Winterkorn herum, im Führungszirkel der Vorstände, könnten Posten mit der dezentralen Neuaufstellung einfach wegfallen. Eigentlich ist nur an einer Front noch Ruhe: Piëch hat noch immer keinen Nachfolger. Der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber soll nach einem Bericht der „Bild am Sonntag“ noch mindestens bis Jahresende kommissarischer VW-Aufsichtsratschef bleiben.

Bei all den Plänen für Managementstrukturen, eine Neuorganisation für die Marken und Regionen: Es geht dabei letztlich auch um die Balance für eine künftige Führung ohne Winterkorn und den Übervater Piëch. Winterkorn (68) regelt sein Erbe – das er, falls alles glatt läuft, ab 2016 als Aufsichtsratschef und Piëch-Nachfolger doch noch selber überwachen könnte. Daran hatte sich der Machtkampf einst entzündet.

Die Eckpfeiler sollen diesen Herbst stehen, zur Aufsichtsratssitzung Ende September. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der auf Eignerseite für das Land im Präsidium der Konzernkontrolleure sitzt, dämpft aber Erwartungen, wonach die Wolfsburger ihr weltweit 600 000 Mitarbeiter starkes Reich mit einem Paukenschlag neu ordnen. „Das ist ein Prozess“, sagte Weil jüngst der dpa. „Bei Volkswagen steht keine Revolution an, sondern allenfalls eine Evolution.“


Vor Diess steht eine Sisyphusarbeit

Und in der Tat sind die Vorzeichen für den nötigen Wandel alt: Schon Anfang 2014 geißelte VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh das enttäuschende Abschneiden in den USA als „Katastrophenveranstaltung“ und forderte eine Entlastung für den Wolfsburger Flaschenhals.

Bereits im Herbst 2014 warb Osterloh für die eigenständige Holding, die nun das Lkw- und Busgeschäft bei MAN und Scania verzahnt. Nach Osterlohs Willen hätte sie auch schon vor dem Antritt des VW-Nutzfahrzeugchefs Andreas Renschler in diesem Frühling kommen sollen. Doch einer bremste: Piëch. Das Beispiel zeigt anschaulich, wie der langjährige Aufsichtsratschef tickte: Die VW-Welt war nach seiner Vorstellung überall zugeschnitten auf einen engen Machtzirkel aus Top-Managern, der im Zweifel nur aus Winterkorn und ihm bestand.

Piëch schreibt in seiner Biografie, eine „innere Mannschaft von fünf bis zehn Leuten, deren Zusammenspiel wiederum nur ein Einzelner im Detail lenkt“, sei für ihn das Erfolgsrezept. Das ist nun überholt.

Dass Winterkorn mit dem Antritt von Diess die Kernmarke VW-Pkw nicht mehr in Personalunion führt, ist ein symbolträchtiges Zeichen dafür, dass auch der Boss loslässt. Diess soll auch das vor einem Jahr noch von Winterkorn gestartete milliardenschwere Sparprogramm für die renditeschwache Kernmarke vorantreiben. Das ist nicht ohne. Ein Konzerninsider gibt zu bedenken: „Wenn er das Effizienzprogramm zum Erfolg führt, heißt es, er habe halt Winterkorns Konzept erfolgreich umgesetzt. Und wenn er scheitert, heißt es, er sei wohl der Falsche.“

Vor Diess steht eine Sisyphusarbeit. Denn die Detailversessenheit der Ingenieure aus der Zentrale treibt mitunter wundersame Blüten. Der Konzern hat beispielsweise mehr Außenspiegel als Automodelle, und mancher Kleinwagen-Außenspiegel ist auf schwere Limousinen ausgelegt.

Im Gespräch für den Umbau ist eine Viererstruktur, bei der die Massenmarken VW-Pkw, Skoda und Seat eine der Säulen bilden. Die drei kommen zusammen auf fast 60 Prozent des Konzernabsatzes. Vor allem aber nutzen sie schon viele gleiche Bauteile markenübergreifend.

Auch die Marktbearbeitung in dem Riesenreich wirkt Kritikern wie Osterloh zuweilen zu zentral und damit zu starr. Und so sind für die künftige Besetzung im VW-Vorstand nur die Posten Finanzen, Einkauf und Personal gesetzt. Vertrieb dagegen nicht – das träfe Christian Klingler. Und auch die Produktion ist seit der Demission von Michael Macht vor einem Jahr unbesetzt – und dürfte es nun wohl auch bleiben.

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