VW und alternative Antriebe Wolfsburg macht Druck beim Erdgasauto

Autos mit Elektroantrieb sind in Wolfsburg in aller Munde. Doch der VW-Konzern setzt bei alternativen Antrieben künftig noch auf eine weitere Variante: Auch bei Erdgasfahrzeugen soll es nach oben gehen.

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Das Tanken mit Erdgas ist genauso einfach wie an der Zapfsäule mit Benzin. Das Problem: Es gibt viel zu wenig Tankstellen mit Erdgas-Versorgung. Quelle: dpa

Düsseldorf Der Schreckmoment aus dem vergangenen Jahr ist in Wolfsburg noch nicht vergessen. Im September explodierte an einer Tankstelle in der niedersächsischen Kleinstadt Duderstadt der Tank eines VW Touran mit Erdgasantrieb. Durch die Wucht der Druckwelle hob der Wagen vom Boden ab, Trümmerteile flogen durch die Luft, die Überdachung der Zapfsäulen wurde ebenso beschädigt wie andere Autos auf dem Tankstellengelände. Außer Marktführer Aral empfahlen auch andere Tankstellenkonzerne ihren Stationen und Pächtern, vorübergehend kein Erdgas („CNG“) mehr zu verkaufen.

Für Volkswagen bedeutete die Explosion des Erdgasautos einen schweren Rückschlag. Das Wolfsburger Unternehmen hatte mit Jens Andersen gerade einen Konzernbeauftragten für Erdgasmobilität berufen. Trotz der ebenfalls eingeleiteten Elektrooffensive will Volkswagen auch die Verkaufszahlen von Erdgasautos nach oben treiben. Der Hauptgrund: Erdgas verbrennt viel sauberer als Benzin oder Diesel und produziert deutlich weniger Kohlendioxid und Stickoxide. „Zu Unrecht fristet dieser Antrieb nach wie vor ein Nischendasein. Das wollen und werden wir ändern. Heute haben wir konzernweit 16 Erdgas-Modelle im Angebot. Dieses Angebot bauen wir jetzt sukzessive aus“, sagt Vorstandschef Matthias Müller zur Erdgasstrategie von Volkswagen.

Ein Jahr nach dem Unfall von Duderstadt hat sich die Lage wieder entspannt. Die Verkaufszahlen für Erdgasautos gehen langsam nach oben. Seit dem Juli liegt die Zahl der in Deutschland neu zugelassenen Pkw mit CNG-Antrieb Monat für Monat um bis zu 75 Prozent über dem jeweiligen Vorjahresniveau. Im Oktober gab es ein Plus von knapp 35 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Zugleich wurde auch ein neuer Jahreshöchststand bei der Zahl der Neuzulassungen mit Erdgasantrieb erreicht. Sicherheitsbedenken weist Volkswagen zurück. Die Explosion in Niedersachsen sei nur deshalb möglich geworden, weil der Halter des Autos seinen Wagen nicht rechtzeitig habe warten lassen.

Volkswagen hat vorsichtig formulierte Wachstumsziele bei den CNG-Verkaufszahlen ausgegeben (CNG steht englisch für „Compressed Natural Gas“). Bis zum Jahr 2025 sollen in Deutschland etwa eine Million Autos mit Erdgasantrieb auf den Straßen unterwegs sein, aktuell sind es gerade einmal 100.000. „Rund 500.000 Fahrzeuge sollen dann aus dem Volkswagen-Konzern kommen“, erläutert der VW-Erdgasbeauftragte Jens Andersen. CNG oder Erdgas hat im Übrigen nichts mit dem von den Mineralölkonzernen verkauften Autogas LPG zu tun. LPG besteht aus Propan und Butan, Erdgas ist letztlich Methan.

Ein wesentlicher Grund dafür, dass sich der CNG-Antrieb in Deutschland bislang kaum durchsetzen konnte, ist die niedrige Zahl an verfügbaren Tankstellen. Rund 900 gibt es davon bislang in der Bundesrepublik, häufig konzentriert in den Großstädten und zu wenige auf dem Land. Volkswagen will erreichen, dass diese Zahl in den kommenden Jahren auf etwa 2000 steigt. Andere Länder sind mit dem Aufbau einer Erdgas-Infrastruktur wesentlich weiter. In Europa gilt Italien als Vorbild, auch in den Niederlanden ist diese Antriebsart stärker verbreitet.


Ohne Partner gibt es keine neuen Tankstellen

„In Deutschland hat das Methan bei den Fahrzeugantrieben nie eine besonders große Rolle gespielt“, beschreibt Jens Andersen die grundsätzliche Einstellung in der Bundesrepublik. Nur bei der Beheizung von Häusern und Wohnungen habe sich diese Energieform in den vergangenen 50 Jahren durchsetzen können. In anderen Ländern sei es auch üblich, dass Erdgas häufig beim Kochen eingesetzt werde.

Die geplanten Zuwächse bei den Erdgasautos wird Volkswagen nicht aus eigener Kraft erreichen können – weil die Wolfsburger den Aufbau eines leistungsfähigen Tankstellennetzes nicht allein schaffen werden. Deshalb setzt der Autokonzern auf eine verstärkte Kooperation mit Partnern aus der Energiewirtschaft, vor allem auf der Seite der Erdgaslieferanten. „Wir brauchen diese Partner“, sagt auch Jens Andersen. Prominente Namen haben sich dem CNG-Industriekreis angeschlossen. Volkswagen setzt heute schon beispielsweise auf die Unterstützung von Eon, Gazprom, Wingas und Total. VW hofft darauf, dass es künftig noch mehr Partner werden.

Bei Volkswagen bekommt der Vorstand Unterstützung vom Betriebsrat für die CNG-Strategie. Betriebsratschef Bernd Osterloh sieht zudem einen aktuellen Bezug zu den laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin. „Das Thema Gasfahrzeuge gehört für mich in die Gespräche zur Regierungsbildung. Denn für die Umweltbilanz wäre das derzeit der schnellste und beste Weg“, sagte er dem Handelsblatt. Die Gesamt-Ökobilanz bei Gasfahrzeugen über den kompletten Lebenszyklus schneide besser ab als die der E-Mobilität. „Wir würden uns daher schon sehr erhoffen, dass die Politik das aufgreift. Wir stehen bereit – die Angebote bei uns im Volkswagen-Konzern sind ja da“, ergänzte Osterloh.

CNG-Autos sind technisch gesehen Fahrzeuge mit klassischem Benzinmotor, die zusätzlich auch mit Erdgas betrieben werden können. Sie brauchen eine Extra-Ausstattung, besonders einen zweiten Tank, die mit 2000 bis 3000 Euro Kosten zu Buche schlägt. Volkswagen setzt darauf, dass sich Kunden wegen der günstigen Verbrauchswerte der Erdgasautos nicht von diesen Zusatzkosten abschrecken lassen. Pro gefahrenen Kilometer fielen die Kraftstoffkosten beim Erdgas um 30 bis 40 Prozent niedriger aus als beim Benzin, so VW. Außerdem hilft der Staat: Der Bundestag hat eine Verlängerung der Steuerbegünstigung von Erdgas bis zum Jahr 2026 beschlossen. Eine kostengünstige Versorgung mit dem Kraftstoff CNG sei also auch in den kommenden Jahren garantiert, heißt es bei Volkswagen.

Auch die günstigen Abgaswerte machen ein Auto mit CNG-Antrieb aus Kundensicht interessant. Aktuelle Fahrzeuge entsprechen meist der aktuell strengsten Abgasnorm Euro 6. Die Tatsache, dass der Kraftstoff bereits in gasförmiger Form vorliegt, erleichtert die Dosierung und Zuführung in die Brennräume und sorgt so für eine saubere Verbrennung. Der Kohlendioxid-Ausstoß pro Kilometer fällt um rund 35 Prozent geringer aus als bei vergleichbaren Benzinmotoren. Die Stickoxid- und Kohlenwasserstoff-Emissionen lassen sich um bis zu 87 beziehungsweise 67 Prozent verringern. Darüber hinaus gibt es beim Betrieb eines CNG-Fahrzeugs praktisch keinen Feinstaub. Außerdem ist beim Erdgas der Einsatz einer weiteren Umweltkomponente möglich: Das Methan kann als Biogas beispielsweise aus der Landwirtschaft kommen und dann für den Antrieb in einem Auto verbrannt werden.

Wegen der positiven Auswirkungen auf die Umwelt gibt es am Ende auch die Unterstützung der Bundeskanzlerin für diese Antriebsart. „Mit Erdgasautos kann man, wenn man es richtig macht, 80 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen einsparen“, sagte Angela Merkel im September auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt.

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