Wahnsinnige Investments Millionäre setzen ausgerechnet auf Biotech

Warum Dietmar Hopp, Carsten Maschmeyer und die Gebrüder Strüngmann Millionen in eine Branche investieren, die in Deutschland bisher vor allem Geld verbrennt.

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Der Heimatfreund. Dietmar Hopp fördert etliche Biotech-Unternehmen. Bei einigen hat er viel Geld verloren

Bambi, Berlinale, Deutscher Filmball. Mittendrin im Blitzlichtgewitter: Selfmade-Multimillionär Carsten Maschmeyer mit seiner Verlobten Veronica Ferres. Dietmar Hopp dagegen mag solche Galas eher nicht. Den Großmäzen zieht es eher ins Stadion, zu seinem eigenen Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Noch öffentlichkeitsscheuer gibt sich Medikamentenmilliardär Thomas Strüngmann. Als der Unternehmer vor Jahren bei seinem Lieblingsitaliener in München saß und sich von draußen zufällig ein Filmteam näherte – es ging um einen Bericht über einen Obdachlosen –, flüchtete Strüngmann panikartig ins Hinterzimmer.

Investoren sind wichtig für die Branche

So verschieden die drei Superreichen auch sind: Ihnen ist gemeinsam, dass sie Milliarden in die hoch defizitäre deutsche Biotech-Branche investieren und diese massiv dominieren. Von den gut drei Milliarden Euro, die nach Informationen des Branchenblattes "Transkript" seit 2005 in die Entwicklungsarbeit der Unternehmen flossen, stammt mit 1,7 Milliarden Euro mehr als die Hälfte von Hopp und den Brüdern Thomas und Andreas Strüngmann. Die Zwillinge investierten 900 Millionen Euro, Hopp 850 Millionen. Beide Investorengruppen halten jeweils Anteile an gut einem Dutzend Biotech-Unternehmen.

Dossier Wozu brauchen wir Reiche?

"Als Investoren sind Hopp und die Strüngmanns sehr wichtig für die Branche", sagt Boris Mannhardt, Prokurist der Berliner Biotech-Beratung Biocom. Maschmeyer ist seit zwei Jahren dabei, etwa bei der Leverkusener Biofrontera. Sein Engagement dürfte sich bisher auf einen zweistelligen Millionenbetrag belaufen.

Lust an Biotech lässt nach

Andere prominente Reiche investieren ebenfalls: etwa die Wella-Erben Ströher, Christoph Boehringer, Miteigner des gleichnamigen Pharmakonzerns, Susanne Klatten, Familie Putsch, der der Sitzhersteller Recaro gehört, oder Gerhard Mey, Mitinhaber des Autozulieferers Webasto. Bei Risikokapitalgebern und Börsenprofis hat dagegen – wegen der mäßigen Ergebnisse – die Lust an Biotech stark nachgelassen.

Vor ihrem Einstieg in die Branche haben Hopp, die Strüngmanns und Maschmeyer große Unternehmen aufgebaut, wieder verkauft oder sich aus der Verantwortung zurückgezogen. Maschmeyer schuf 1988 den umstrittenen Finanzdienstleister AWD in Hannover, von dem sich heute noch etliche Kunden fehlberaten fühlen. 2008 verkaufte er an die Schweizer Versicherungsgruppe Swiss Life. Gemeinsam mit vier früheren IBM-Kollegen gründete Hopp 1972 den Softwarekonzern SAP und hält noch immer etwa sechs Prozent der Aktien. Die Strüngmann-Brüder wurden mit Billigmedikamenten unter der Dachmarke Hexal reich, die sie 2005 an den Schweizer Pharmariesen Novartis weiterverkauften.

Milliarden verbrannt

Die Geschichte der Genetik
Bereits Wissenschaftler der Antike interessierten sich für Fragen der Vererbung. Etwa 500 vor Christus erklärte der griechische Philosoph Anaxagoras, dass der Embryo im männlichen Spermium bereits vorgeformt sei. Dass nur der Mann Erbanlagen besitze, behauptete auch Aristoteles etwa 100 Jahre später. Ähnliche Vorstellungen hielten sich noch bis in die Neuzeit hinein, da es an Instrumenten und Technik fehlte, um tiefer in die Forschung eintauchen zu können. Quelle: Gemeinfrei
Den Grundstein zur sogenannten modernen Vererbungslehre legte Gregor Johann Mendel. Der Augustinermönch schrieb 1865 die sogenannten Mendelschen Regeln nieder. Sie erfassen bis heute die Prinzipien für die Vererbung körperlicher Merkmale. In seiner Forschung experimentierte Mendel mit Erbsen, und zwar mit sieben unterschiedlichen Merkmalen reinrassiger Erbsenlinien, und fasste die Ergebnisse seiner Kreuzungsversuche zu drei Grundregeln zusammen. Quelle: Gemeinfrei
1869 wurden in Fischspermien erstmals Nukleinsäuren, die Bausteine der DNA (Desoxyribonukleinsäure), entdeckt. Den Zusammenhang zur Struktur der Erbsubstanz konnten Wissenschaftler bis dahin jedoch nicht herstellen. Erst 19 Jahre später entdeckte Wilhelm von Waldeyer (im Bild) die Chromosomen in menschlichen Zellen. Quelle: Gemeinfrei
1890 wies dann der deutsche Biologe Theodor Boveri nach, dass die Chromosomen Träger der Erbinformation sind.  Quelle: Gemeinfrei
William Bateson war es, der 1906 den Begriff "Genetik" für die Vererbungsgesetze einführte. Quelle: Gemeinfrei
Bereits 1903 vermutete der amerikanische Biologe Walter S. Sutton, dass paarweise auftretende Chromosomen Träger des Erbmaterials sind. Dieser Ansatz wurde ab 1907 von Thomas Morgan an der Drosophila melanogaster (eine Taufliegenart) verfolgt und ausgebaut. Morgan gelang es, Gene als Träger der geschlechtsgebundenen Erbanlagen an bestimmten Stellen der Taufliegen-Chromosomen zu lokalisieren. Für diese Leistung erhielt er 1933 den Nobelpreis für Medizin. Quelle: dpa
James Watson (im Bild) entdeckte gemeinsam mit seinem Kollegen Francis Crick 1953 die Doppelhelixstruktur der DNA. Sie stellten fest, dass das DNA-Molekül ein dreidimensionaler, spiralförmiger Doppelstrang ist, in dessen Innenraum sich die vier Basen immer paarweise zusammenschließen. Das Besondere an dieser Struktur sei, so die beiden Forscher, dass sie sich selbst kopieren könne. Damit hatten Watson und Crick auch den Mechanismus der Vererbung erklärt. Dafür erhielten auch sie den Nobelpreis. Quelle: dpa

Hopps Vermögen dürfte bei fünf Milliarden Euro liegen; die Strüngmanns kommen auf 3,9 Milliarden und Maschmeyer auf geschätzt etwa 650 Millionen Euro.

Doch statt ihr Leben ausschließlich im Golfclub und in eigenen Luxushotels (Hopp), auf Segeltörns und am Tegernsee (Strüngmann) zu genießen oder sich dem Sammeln zeitgenössischer Kunst (Maschmeyer) zu widmen, alimentieren sie deutsche Biotech-Unternehmen. Dabei verbrennt die Branche seit Jahren Milliardensummen, liefert aber bisher kaum zählbare Ergebnisse. Es braucht offensichtlich eine gute Portion Wahnsinn, um in ein solches Umfeld zu investieren.

Hoffen auf den großen Coup

Wie viel Geld private Anleger in Biotech investierten

Zur Jahrtausendwende – nach der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts, der DNA – waren die Forscher von großen Hoffnungen beflügelt. Bisher aber haben die etwa 400 deutschen Biotech-Unternehmen nur zwei selbst entwickelte Medikamente auf den Markt gebracht: ein Mittel gegen Hautkrebs von Biofrontera und einen Antikörper gegen eine seltene Krebs-Nebenwirkung von Trion Pharma. Etliche Substanzen scheiterten hingegen nach jahrelanger Forschung in Tests am Menschen. "Ja, wir sind so verrückt, zweistellige Millionenbeträge in junge Firmen zu investieren", sagt Thomas Strüngmann fröhlich.

Natürlich hoffen Maschmeyer, Hopp und die Strüngmanns auch auf den großen Coup. Doch das allein ist es nicht, was sie antreibt. Der eine möchte sich ein privates Interesse finanzieren, der andere Arbeitsplätze in seiner Heimatregion schaffen. Und der dritte will es den Konzernen zeigen und noch einmal ein bedeutendes Medikamentenunternehmen aufbauen.

Der Hemmelrather Weg 201 in Leverkusen-Schlebusch hat mit Glamour so wenig zu tun wie der einstige AWD-Vertrieb mit der Heilsarmee. Ein großer Parkplatz, ein unauffälliges, mehrstöckiges Bürogebäude. Es ist Januar 2012. Carsten Maschmeyer sitzt im ersten Stock in einem schmalen Konferenzraum und blickt auf vier Mini-Aquarelle vom Kölner Dom. Ein Schweizer Fondsmanager hat ihm den Tipp gegeben, sich Biofrontera mal näher anzuschauen.

Strategischer Sparringspartner

Carsten Maschmeyer Quelle: dpa

Gründer Hermann Lübbert erklärt Maschmeyer seine Strategie und die Vorzüge seines Medikaments Ameluz. Die Creme wirkt gegen eine Frühform des Weißen Hautkrebses und soll, anders als operative Eingriffe, keine Narben hinterlassen. Das Mittel, seit 2012 in Deutschland und einigen europäischen Ländern auf dem Markt, soll einmal 250 Millionen Euro Spitzenumsatz einbringen.

Maschmeyer gefällt, was er hört. Der Multimillionär investiert bevorzugt in aufstrebende Technologieunternehmen. Bei Biofrontera will er helfen, den Ameluz-Vertrieb anzukurbeln. Der Finanzier hat mehr als zehn Millionen Euro investiert und besitzt bereits 15 Prozent der Anteile. "Ich will meine Beteiligung noch weiter ausbauen", sagt Maschmeyer. "Ich nehme keinen operativen Einfluss auf das Unternehmen, stelle aber meine Kontakte zur Verfügung und bin strategischer Sparringspartner", verspricht der Investor. "Herr Maschmeyer stellt gute Fragen, mischt sich aber nicht in das laufende Geschäft ein", bestätigt Lübbert.

Ersatzteile fürs Gehirn

Biofrontera ist nicht Maschmeyers einziges Biotech-Investment. Im Dezember 2010 gründete der Ex-Versicherungsmanager zusammen mit dem Neurowissenschaftler Florian Holsboer die HolsboerMaschmeyer Neurochemie. Holsboer ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und hat zum Beispiel den depressiven Fußball-Nationalspieler Sebastian Deisler behandelt. Der Unternehmer und der Forscher wollen gemeinsam maßgeschneiderte Medikamente gegen Depressionen entwickeln. "70 Prozent der gängigen Antidepressiva wirken bei Patienten nicht. Zudem haben sie viele Nebenwirkungen und schlagen erst langsam an", sagt Holsboer. "In zwei bis drei Jahren könnte uns ein Durchbruch in der Entwicklung gelingen", hofft Maschmeyer.

Der ehemalige Medizinstudent, der der Uni vorzeitig den Rücken kehrte, sagt von sich, er sei "ein Fan neurologischer Themen". Forschungen an Hirn und Nervenbahnen faszinieren ihn. Maschmeyer liest Fachliteratur und diskutiert mit Ärzten im Bekanntenkreis über Gehirnerkrankungen: "Für alle anderen Körperteile gibt es Ersatzteile, nur für das Gehirn nicht."

Forschung fördern

Zum Portfolio des Hobbyneurologen gehört auch ein 25-Prozent-Anteil an Neuroconn. Das thüringische Unternehmen ist darauf spezialisiert, Gehirnströme zu stimulieren, um Krankheiten wie Schlaganfall und Tinnitus zu bekämpfen.

Noch stehen die Arbeiten bei Holsboer-Maschmeyer Neurochemie und Neuroconn am Anfang. "Sollte sich das Investment am Ende nicht rechnen, habe ich zumindest die Forschung gefördert und damit etwas Gutes getan", sagt Maschmeyer .

Golfplatz und Biotech

Thomas Strüngmann Quelle: obs

Es gibt bessere Möglichkeiten zum Geldverdienen als die Biotech-Branche. Dietmar Hopp musste das leidvoll erfahren. Die nächste große Welle nach der IT ist Biotech, war sich der Softwaremilliardär sicher. Bei SAP saß der Gründer noch bis 2005 im Aufsichtsrat. Ungefähr zeitgleich stieg er bei zahlreichen Biotech-Unternehmen ein, vor allem im Großraum Heidelberg.

Hopp ist so etwas wie der gute Mensch vom Rhein-Neckar-Dreieck. Er ist in Heidelberg geboren, hat als Jugendlicher in Hoffenheim Fußball gespielt und in Walldorf SAP gegründet. Ohne den Multimäzen gäbe es die SAP-Arena in Mannheim nicht, und 1899 Hoffenheim wäre nie in den Profifußball aufgestiegen. In St. Leon-Rot bei Heidelberg hat der Sportfan einen Golfplatz bauen lassen, der zu den besten in Deutschland gehört.

Im Erdgeschoss des Golfclubs liegt Hopps Büro. "Ich will der Region etwas zurückgeben", sagte der Hobbygolfer schon vor Jahren mit Blick aufs Grün. Um Jobs zu schaffen, investierte Hopp in Hoffnungsträger aus der Heimat, die zum Beispiel an neuen Krebs- oder Zelltherapien arbeiten: Agennix, Apogenix und Sygnis aus Heidelberg oder Cytonet aus Weinheim.

Medikamente scheitern am Test

Auch Hopps Berater, die für ihn Biotech-Unternehmen auswählen, bewerten und kontrollieren, sind dem Ländle verbunden: Anwalt Christof Hettich, seit über einem Jahrzehnt ein Vertrauter von Hopp, arbeitet für die Mannheimer Kanzlei Rittershaus. Der Neurobiologe Friedrich von Bohlen, der aus der Krupp-Dynastie stammt, führte das Heidelberger Bioinformatikunternehmen Lion Bioscience, das im Strudel des Neuen Marktes unterging. Hopp werde nicht gut beraten, lästern manche in der Branche. Hettich und von Bohlen hätten zu wenig Ahnung vom Geschäft, heißt es.

In der Tat war dem Trio zuletzt wenig Erfolg beschieden. Allein 2012 fielen bei Agennix, Sygnis und der Münchner Hopp-Firma Wilex Medikamente gegen Lungenkrebs, Nervenleiden und Nierenkrebs in klinischen Tests durch. Hopp dürfte bei diesen Investments einen dreistelligen Millionenbetrag verloren haben.

Brüder Strüngmann verdienen am Biotech

Entmutigen lässt sich der Überzeugungstäter nicht: Im September 2012 spendierte Hopp seiner Tübinger CureVac weitere 80 Millionen Euro, um neue Therapien und Impfstoffe gegen Krebs und Infektionskrankheiten voranzutreiben.

Besser als bei Hopp läuft es derzeit bei den Gebrüdern Strüngmann. Ihre Beteiligung AiCuris aus Wuppertal erhielt kürzlich 110 Millionen Euro vom US-Pharmakonzern Merck & Co. – für die Vertriebsrechte an neuen Wirkstoffen gegen Viren. "Wir investieren vor allem in Menschen", sagt Thomas Strüngmann.

Labore besuchen

Die erfolgreichsten Biotechnologie-Fonds

Etwa in Helga Rübsamen-Schaeff. Die habilitierte Biologin, damals Leiterin der Infektionsforschung bei Bayer, bat die Brüder, die sie von Konferenzen und Vorträgen kannte, vor sieben Jahren um Hilfe. Bayer hatte entschieden, die Infektionsforschung einzustellen. Den Strüngmännern war eben der Verkauf von Hexal an Novartis geglückt. Rübsamen-Schaeff überzeugte die beiden: Sie investierten 55 Millionen Euro in AiCuris, das neue Unternehmen der Forscherin. "Wir hatten großes Vertrauen in ihre Arbeit", sagt Thomas Strüngmann. Die Wissenschaftlerin genießt einen hervorragenden Ruf. "Aber wir hatten damals nicht wirklich Ahnung von dem Geschäft."

AiCuris war der Anfang. Mittlerweile ist das Brüderpaar an gut einem Dutzend Biotech-Unternehmen in Deutschland beteiligt. Anders als Hopp tauchen die Zwillinge auch schon mal auf den Laborfluren auf und reden mit den Forschern.

Zeigen, was kleine Unternehmen können

Dabei sprudelt insbesondere Thomas vor Energie, spricht schnell, springt von einem Punkt zum anderen. Und kann sich herrlich aufregen, etwa über die Kultur in den Pharmakonzernen. Da zählten nur Businesspläne, Kontrolle, Hierarchien und die Regeln des Kapitalmarkts. Bei Hexal war alles ganz anders, sagt Strüngmann: Vertrauen, flache Hierarchien, Eigenverantwortung.

Zwischen 1988 und 2005 kämpften sie mit ihrem Billigpillenunternehmen gegen die Platzhirsche der Branche wie Bayer und Hoechst um Patente und Preise. Nun brennt Strüngmann darauf, es der großen Konkurrenz noch mal zu beweisen. Er will zeigen, dass kleinere Unternehmen bessere Medikamente entwickeln. In fünf Jahren möchte er aus einer Biotech-Beteiligung – welche, verrät er nicht – ein Pharmaunternehmen aufbauen und innovative Präparate zur Marktreife bringen.

Strüngmann geht es aber auch darum, die Biotech-Branche in Deutschland wieder voranzubringen. Daher kann er auch gönnen: "Uns würde nichts mehr freuen, als wenn der nächste große Erfolg aus dem Portfolio von Dietmar Hopp käme."

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