Weltgrößter Gelatinehersteller Wie ein Familienstreit Gelita erschüttert

Bizarrer Aktionärsstreit: Beim weltgrößten Gelatinehersteller Gelita aus dem Odenwald streiten zwei Familienstämme um mehr Einfluss. Doch die sollten sich bald einigen: Die Geschäfte laufen schlecht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Verteidiger. Gelita-Chef Konert wehrt sich gegen Unterstellungen des Familienstammes Peter Koepff Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Eberbach im Odenwald ist ein Städtchen, das wie gemacht ist für einen Reiseprospekt. Hübsche Fachwerkhäuser und bemalte Fassaden schmücken die historische Altstadt. Türme der mittelalterlichen Stadtbefestigung laden zur Besichtigung ein. An den Ufern des Neckars dümpeln Ausflugsboote. Und im ruhig dahinströmenden Wasser spiegelt sich die moderne Glasfront der Gelita AG.

Hinter der Fassade des weltweit führenden Gelatineherstellers geht es weniger beschaulich zu. Im Unternehmen tobt ein bizarrer Streit zwischen den Familienstämmen um Sitze im Aufsichtsrat und den Verkauf einer Beteiligung. Und laut vertraulichem Halbjahresbericht für die Aktionäre, der der WirtschaftsWoche vorliegt, verschlechtert sich auch die wirtschaftliche Lage bei Gelita drastisch: Der Umsatz ist um knapp zehn Prozent auf 327 Millionen Euro eingebrochen wegen des Preisverfalls für wichtige Produkte und Absatzproblemen in China. Schlimmer noch: Der Gewinn hat sich auf nur noch 10,3 Millionen Euro fast halbiert. Der Vorstand geht auch für das Gesamtjahr davon aus, „dass die ursprünglich geplanten Ergebnisziele nicht erreicht werden können“.

Kampf um Gelatine

Der Absturz flankiert eine Fehde zweier Familienstämme um Eitelkeiten, Geld und Macht. Da zankt der Onkel mit dem Neffen, zerren sich Cousins vor Gericht. Eberbach, das ist „Dallas im Odenwald“, schreibt ein Regionalblatt. Im Unterschied zur TV-Serie geht es nicht um Erdöl, sondern um Gelatine, die beispielsweise für Lebensmittel und Tierfutter benötigt wird. Gestritten wird im Eigentümerkreis um drei Punkte:

Erstens: Das Lager um Gelita-Aktionär Peter Koepff kämpft um einen Sitz im Aufsichtsrat. Der Familienstamm ist seit April nach dem Ausscheiden seines Vertrauten, des früheren Südzucker-Finanzvorstands Christoph Kirsch, nicht mehr im Kontrollgremium vertreten – obwohl er rund 32 Prozent der Anteile hält.

Wer gegen wen im Gelita-Clan?

Mit eigenen Personalvorschlägen konnte sich Koepff, der persönlich nur rund drei Prozent hält, gegenüber der Mehrheit im Aufsichtsrat nicht durchsetzen. Daher zieht er nun vor Gericht: „Meinem Familienteil gehört ein Drittel der Firma. Wir haben aber weder Mitsprachemöglichkeiten noch Kontrolle über unser Vermögen. Das kann so nicht weitergehen.“

Zweitens gibt es Streit um den Verkauf von R. P. Scherer (RPS), einem Hersteller von Gelatinekapseln für Medikamente. An dem Eberbacher Unternehmen hielt Gelita 49 Prozent und verkaufte diese Anfang 2012 an Catalent, einen US-Entwicklungsdienstleister für die Pharmaindustrie.

Über die Gelita AG

Peter Koepff wirft nun dem Vorstand vor, Gelita habe das Scherer-Geschäft nur verkauft, um eine „Superdividende“ ausschütten zu können. Diese sollte angeblich Peters Neffen Klaus-Philipp Koepff, der damals 26,5 Prozent der Anteile hielt, den Kauf der absoluten Mehrheit an Gelita ermöglichen. Der studierte Chemiker Peter Koepff nutzte die Zukauf-Chance nicht.

Kein Verkauf geplant

Im Herbst 2011, vor Abschluss des Scherer-Deals, hatte der dritte Familienzweig in Person von Benjamin Pötzl ein 25-Prozent-Paket an Klaus-Philipp Koepff verkauft. Damit wurde dieser mit 51,5 Prozent Mehrheitsaktionär – und betont im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, er habe im Interesse des Unternehmens gehandelt.

Sein Großvater Heinrich Koepff hatte 1972 die Deutsche Gelatine-Fabriken und die Chemischen Werke Stoess zusammengeführt. Deren Fusion bildete die Keimzelle von Gelita. Als Nachfahre der Gründer verspüre er „große Verantwortung, Gelita als Familienunternehmen zu bewahren“. Soll heißen: Ein Verkauf des Unternehmens an ihm vorbei ist nicht möglich.

Ein neues Wachstumsfeld für Gelita

Auch Gelita-Vorstandschef Franz Josef Konert weist gegenüber der WirtschaftsWoche Peter Koepffs Vorwürfe als „aus der Luft gegriffen“ zurück. Nach Amtsantritt im Januar 2010 habe er sich mit dem Top-Management im folgenden Mai auf das Konzept „Gelita 2015“ verständigt. Damals identifizierte das Unternehmen, das Gelatine und weitere Eiweißprodukte für Nahrungsmittel und Tierfutter lieferte, ein weiteres Wachstumsfeld: Gelatine für pharmazeutische Anwendungen. Als Lieferant für mehrere Verkapsler, so Konerts Erklärung, sollte Gelita nicht länger selbst an einem beteiligt sein und so mit Abnehmern seiner Rohstoffe konkurrieren.

Dritter Streitpunkt: Mit rund 60 Millionen Euro für Scherer habe Gelita viel zu wenig erlöst, klagt die Familie um Peter Koepff. Es sollte wohl, so deren These, fast um jeden Preis verkauft werden, um den gegnerischen Familienstamm mit Cash für den Mehrheitserwerb zu versorgen. „Man kann so ein Unternehmen doch nicht wie einen Selbstbedienungsladen führen und uns ständig verschaukeln“, zürnt Peter Koepff. Bei einem höheren Preis hätten alle Aktionäre mehr bekommen.

Tatsächlich hatte der damalige Gelita-Chef Klaus Hanke im Mai 2007 auf der Hauptversammlung (HV) den Wert der Scherer-Anteile auf „mehr als 100 Millionen Euro“ taxiert. Diese Differenz erklärt Vorstandschef Konert heute so: „Seit 2006/07 waren die Ergebnisbeiträge von Scherer rückläufig. In den letzten zwei Jahren vor dem Verkauf hatten sie daher kaum noch Bedeutung für das operative Ergebnis von Gelita. Und aufgrund der in 2010 neu erarbeiteten Strategie spielte Scherer für Gelita auch keine strategische Rolle mehr.“

Familie Koepff zieht vor Gericht

Unstrittig ist immerhin, dass sich mit dem Scherer-Verkauf ein Geldregen über die Aktionäre ergoss. Die Dividende für 2011 wurde im Vorgriff auf den vom Vorstand als sicher eingeschätzten Deal im Februar 2012 auf 65 Euro heraufgesetzt – macht gegenüber den acht Euro des Vorjahres ein hübsches Plus von 713 Prozent.

Streit in Familienunternehmen
Clemens Tönnies (links), Robert Tönnies Quelle: Nils Hendrik Müller für WirtschaftsWoche
Fischer DübelZwischen Jörg Fischer (36) und seinem Vater Klaus Fischer (61) krachte es so sehr, dass der Sohnemann im April 2012 hinschmiss und das Unternehmen verließ. Man habe festgestellt, dass die Vorstellung im Hinblick auf Ausrichtung und Führung des Unternehmens "gravierend unterschiedlich" seien, teilte Klaus Fischer mit. Jörg Fischer hatte die Leitung der Geschäfte erst Anfang 2011 übernommen. Jetzt führt Vater Klaus wieder das Unternehmen. Es ist nicht der erste Schlagabtausch im Hause Fischer. 2007 prozessierte Firmenpatriarch Artur Fischer erfolgreich gegen Tochter Margot Fischer-Weber. Ihr wurde gerichtlich untersagt, Vater und Bruder auf ihrer Website als „Haie, Wölfe, Schweine“ oder „Idioten" zu bezeichnen. Dem Urteil ging ein jahrelanger Rechtsstreit um das Erbe der Dübel-Dynastie voraus. Quelle: Presse
Eine Frau zeigt Minischnapsflaschen des Spirituosen-Herstellers Berentzen Quelle: dpa/dpaweb
Jette Joop und Vater Wolfgang Joop Quelle: dpa
Porsche und PiechZwei Cousins wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Gemeinsam ist ihnen der Großvater Ferdinand Porsche, Erfinder des VW-Käfers. Ferdinand Piech (links) lenkt als Aufsichtsratsvorsitzender von Volkswagen die Geschicke des Piech-Zweigs der Familie. Er gilt als stiller, aber harter Manager - ein nüchterner Zahlenmensch. Daneben Wolfgang Porsche, Aufsichtsratsvorsitzender von Porsche. Er gilt als Familienmensch, schöngeistig, weich. Der Kampf der Familien gipfelt 2009 als Porsche versucht, VW zu übernehmen. Quelle: dpa
ElectronicPartner EPZwei Jahre lang stritten die Gesellschafter des Elektronikfachhändlers aus Düsseldorf. Grund: Unternehmensnestor Harmut Haubrich hatte die Firmenleitung an seinen Neffen Oliver Haubrich (rechts im Bild - neben ihm Unternehmens-Sprecher Jörg Ehmer) abgetreten. Der hatte sie jedoch nach kurzer Zeit einem familienfremden Manager übertragen. Hartmut Haubrich hielt mit der Kritik an seinem Neffen nicht hinterm Berg. "Erbfolge ist keine Tüchtigkeitsfolge", sagte er auf einer Tagung. Ende 2012 einigte sich die Familie. Oliver Haubrich und seine Schwester Marion Wenske schieden aus der Dachgesellschaft der EP-Unternehmensgruppe aus. Quelle: dpa
Hans und Paul Riegel Quelle: PR

Aber nun geht es vor den Gerichten rund. Im Mai startete Peter Koepffs Tochter Imke eine Offensive beim Amtsgericht Mannheim. Sie erstritt sich das Recht, eine außerordentliche HV einberufen zu dürfen. Ziel: Schadensersatzansprüche der Gelita gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie Aktionäre der beiden anderen Familienstämme im Zusammenhang mit dem Scherer-Deal festzustellen.

Zuvor hatte sich auf der ordentlichen HV Anfang April Aufsichtsratschef Jörg Siebert einen schweren handwerklichen Schnitzer erlaubt. Er lehnte Anträge von Imke Koepff ab, mit denen Ersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Scherer-Deal festgestellt und ein Besonderer Vertreter bestellt werden sollte. Dieses vierte Organ einer Aktiengesellschaft – neben Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung – sollte diese Ansprüche durchsetzen. Doch Siebert, früher selbst Gelita-Chef, ließ die Abstimmung über diese Punkte nicht zu. Er erklärte die Anträge für „rechtswidrig“.

Etappensieg für Koepff

Damit lag der 70-Jährige aber falsch: „Es lag kein so offensichtlich missbräuchlicher Antrag vor, der es dem Versammlungsleiter ermöglicht hätte, zu Recht die Abstimmung abzulehnen“, urteilte das Amtsgericht Mannheim. Ein „rein querulatorisches Vorgehen“ der Aktionärin konnte das Gericht ebenfalls „nicht sehen“.

Es erkannte vielmehr das Dilemma, in dem sich Aktionärin Koepff befand: Eine Anfechtungsklage – die Standardwaffe gegen ungenehme HV-Beschlüsse – war nicht möglich, weil es im April zum Antrag auf Schadensersatz wegen des Scherer-Deals keinen Beschluss gab.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe schmetterte zudem eine Gelita-Beschwerde gegen eine weitere Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim ab: Siebert wurde untersagt, die nächste – nun „außerordentliche“ – HV zu leiten, die Ende Juni in Hamburg stattfand. Für ihn sprang der Frankfurter Anwalt Kersten von Schenck ein.

Dort verzeichnete der Stamm um Peter Koepff den nächsten Etappensieg: Die HV bestellte einen Besonderen Vertreter. Er soll nun feststellen, ob die behaupteten Ansprüche berechtigt sind oder nicht.

Ein Besonderer Vertreter kam bislang selten zum Einsatz, etwa beim Mobilfunkanbieter Mobilcom. Er ist so mächtig, dass er keine Rücksicht auf Vorstand und Aufsichtsrat nehmen muss. Beiden gegenüber ist er „weder weisungsgebunden noch berichtspflichtig“, erläutert Daniel Lochner, Anwalt für Gesellschaftsrecht aus Bonn.

Seit Juli filzt nun der Besondere Vertreter in Gestalt des Münchner Anwalts Matthias Schüppen in Eberbach Verträge, Briefwechsel und E-Mail-Verkehr. Bis Silvester soll er herausgefunden haben, ob bei dem Geschäft mit Catalent alles sauber lief.

Laut Selbstdarstellung steht Gelita erst „am Anfang ihrer erfolgreichen Geschichte“. Vielleicht hat das Unternehmen seine Zukunft aber auch schon hinter sich – in jener Stadt im Odenwald, deren Wappentier die Wildsau ist.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%