Werner knallhart
Fleisch liegt in einer Metzgerei Quelle: dpa

Ahnungslose Fleischkonsumenten: Dumm isst gut

Die Fleischindustrie gibt uns die Schuld, wenn es um Fragen artgerechter Tierhaltung geht. Aber was weiß der Verbraucher schon? Er will es ja nicht wissen. Darauf nehmen viele Medien leider Rücksicht.

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„Ich will keinen Schinken aufs Brot, weil mir die armen Tiere so leid tun. Ich will Salami.“
Diese Ernährungsregel hatte sich einst die vierjährige Tochter eines Bekannten auferlegt. Das Prinzip belegt: Je weniger man mit dem Fleischprodukt noch das Tier assoziiert, desto besser geht es runter. Und das, was wir am vierjährigen Mädchen niedlich finden, gilt als Ernährungsregel auch für viele Erwachsene. Nur ist es dann nicht niedlich, sondern eines mündigen Verbrauchers unwürdig.

Googeln Sie mal nach einem Foto eines kleinen Kälbchens, wie es mit seinen großen Augen in die Kamera guckt, und wenn sich die Kollegen in der Kantine gerade ein Stück Wiener Schnitzel reinschieben, zeigen Sie es rum: „Guck mal, süß, näch? So sah unsere Mahlzeit ohne Panade aus.“

Die meisten werden es verärgert als überhebliche Öko-Erziehung empfinden: „Och, Mensch, was verdirbst du mir den Appetit?"
Kein Mensch sieht es als Vorteil, dass für sein Essen ein Tier getötet werden musste.

Müssen deutsche Schlachthöfe ums Geschäft fürchten?
In deutschen Schlachthöfen sind im ersten Halbjahr weniger Tiere geschlachtet worden. Quelle: dpa
Weniger geschlachtet - die Rückgänge waren bei sämtlichen Fleischsorten zu beobachten. Quelle: dpa
Nach Statistiken des Bundeslandwirtschaftsministeriums wird in Deutschland mehr Fleisch produziert als verbraucht. Quelle: dpa
Deutliche Zuwächse gab es bei den Fleisch-Exporten nach Übersee und hier insbesondere nach China. Quelle: AP
Der Fleischkonsum in Deutschland ist seit einigen Jahren wegen veränderter Ernährungsgewohnheiten und demografischer Effekte leicht rückläufig. Quelle: dpa
Im Europavergleich liegen die Deutschen beim Fleischverzehr im Mittelfeld. Quelle: dpa

Man kann dennoch der Meinung sein, dass Menschen Fleisch essen sollten. Viele Experten werden nun rufen: Nein! Massentierhaltung ist Massentierquälerei, vernichtet Waldflächen, verschwendet Ressourcen wie Trinkwasser, trägt zur globalen Erwärmung bei.

Das meine ich aber alles gar nicht. Sondern: Wenn wir uns für Fleisch entscheiden, dann bitte als Entscheidung eines gut informierten Verbrauchers. Dafür müssen wir uns für die Wahrheit interessieren und dürfen nicht verdrängen, dass das Schnitzel einem einst fühlenden Wesen aus dem Leib geschnitten wurde. Sonst gehen wir der Fleischindustrie auf den Leim. Denn Vorsicht: Die schiebt die Schuld auf uns! Und die Politik winkt das durch.

Wir werden für dumm verkauft. Weil keiner Bock hat auf das Gejammer über die armen Tiere auf Kosten der Industrie. Klingt sehr platt. Aber ich führe das gerne aus:

Es spricht ja erstmal für uns, dass wir als gute Esser keinen freudigen Triumph verspüren darüber, dass ein fühlendes Lebewesen für unseren Appetit sein Leben lassen musste. Andererseits: Wegen unserer Fähigkeit, die Realität auszublenden, haben die Tiere nichts von unserem Mitgefühl.

Beim Fleischessen redet man nicht von Tieren

Aber genau davon profitiert die Massenfleischindustrie. Ihre ganze Existenz verdanken sie unserer sagenhaften Angst vor der Mitschuld am Tod der Tiere. Nach folgender Mechanik:

  1. Wir leben in einem freien Markt. Was hat es Google genützt, eine technisch clever ausgefeilte Datenbrille namens Google Glas entwickelt zu haben, die firmenintern bestimmt als der große Wurf bezeichnet wurde, wenn sie am Ende keiner kauft? Die Datenbrille ist nicht vom Markt verschwunden, weil sie technischer Schrott war oder weil man sie im Alltag nicht gebrauchen konnte. Sondern weil alle sie uncool fanden. Im freien Markt hat der Kunde immer Recht. Das gilt auch für den Fleischmarkt.
  2. Prangert man an, dass es in der Massentierhaltung immer wieder zu katastrophaler Tierquälerei kommt, weil die Gesetze nicht beachtet werden, und dass selbst bei regelkonformer Tierhaltung Säue mitunter von ihren Ferkeln getrennt werden, was sie in tiefe Trauer und Unglück stürzt, dass männliche Ferkel mitunter ohne Betäubung kastriert werden, weil Betäubung eben teuer und aufwendig ist, dass Milchkühe wegen ihrer hochgezüchteten Rieseneuter kaum gehen können, dass viele Tiere in ihrem Leben mitunter nie richtig das Sonnenlicht zu sehen bekommen, dann heißt es von Seiten der Landwirtschaft: Solange die Verbraucher nicht bereit sind, mehr für ihr Fleisch zu bezahlen, bieten wir das auf diese brutale Weise hergestellte Fleisch eben an. Wir können ja nicht am Markt vorbei produzieren. Ein Lobbyist der Landwirte sagte mir einst: „Der Verbraucher allein hat es in der Hand.“ Der Mann hat gut reden. Denn:
  3. Weil es der Verbraucher in der Hand hat, kommt es darauf an, dass der Verbraucher seine Haltung zu Fleisch nicht ändert. Er darf nicht in Mitleid verfallen. Er darf nicht daran erinnert werden, wie niedlich kleine Kälbchen aussehen mit ihren langen Wimpern, was für soziale Tiere Schweine sind, wie puschelig Küken sind, bevor sie lebendig in den Schredder geworfen werden, und welch sensible Zeitgenossen Gänse sind. Solange es gelingt, den Verbraucher in seiner Realitätsnarkose zu halten, wird sich in einem freien Markt nichts ändern. Und der Verbraucher zuckt noch nicht mal. Dazu schmeckt es einfach zu gut. Die Masche funktioniert.
Würstchen, Leberwurst, Schnitzel - Hauptsache kein Fleisch
Currywurst so ganz ohne Fleisch. Und sogar mit derselben Currysauce wie das Original. Meist werden die Ersatzprodukte aus Soja, Tofu oder Seitan hergestellt. Vegetarisch und nicht vegan ist dieses Produkt deswegen, weil Weizeneiweiß, Hühnereiklar und Milchzucker enthalten ist. Vegetarisch muss aber nicht immer gesünder sein: Der Fett- und Kaloriengehalt liegt bei der vegetarischen Currywurst höher, als bei der fleischhaltigen Originalvariante. Schmecken tuts trotzdem. Quelle: Meica
Es gibt nicht nur vegetarische Bratwürstchen, sondern sogar Veggie-Bratwürste mit Käse. Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten ist nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren um 88 Prozent gestiegen. Quelle: Meica
Man glaubt es kaum, aber ... Quelle: Alberts
.. Auch das ist kein Fleisch. Es ist sogar ein komplett veganes Produkt aus so genannten Lupinen. Als heimische Alternative zu Soja wurden Lupinen vor einigen Jahren groß gefeiert. Die Produkte aus der eiweißreichen Hülsenfrucht halten allerdings nur zögerlich Einzug in den Supermarkt. Quelle: Alberts
Bockwurst mit Kartoffelsalat ist bei den deutschen sehr beliebt. Diese vegane Variante der Bockwurst ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Jedenfalls äußerlich. Quelle: meetlyke
Innerlich besteht diese fleischartige Wurst aus Seitan. Ein Produkt aus Weizeneiweiß aus der traditionellen japanischen Küche. Sozusagen eine Imitation von Fleisch durch Gluten. Quelle: meetlyke
Der Klassiker zur Brotzeit darf natürlich nicht fehlen: Die Fleischwurst. Die vegetarische Variante wartet hier allerdings mit deutlich weniger Kalorien auf als die traditionelle Geflügel-Fleischwurst derselben Marke. Die Veggie-Fleischwurst kommt bei 100 Gramm auf 155 Kilokalorien, wohingegen die Geflügel-Variante auf glatte 238 Kilokalorien pro 100 Gramm kommt.

Beschämend ist dabei, wie einig wir uns alle sind, dass es genau richtig ist, bei Thema Fleisch die Realität zu verdrängen. Einst sagte ich zu einer Kollegin: „Wow, dein Steak ist ja noch ganz schön blutig.“ Daraufhin legte sie angeekelt das Besteck weg und maulte: „Danke, das kann ich jetzt nicht mehr essen.“ Ich fühlte mich schier genötigt, mich dafür zu entschuldigen, dass ich „blutig“ gesagt habe. Schließlich war meine Kollegin ja Tierfreundin. Man redet in Deutschland beim Fleischessen nicht von Tieren.

Stellen wir uns hingegen vor, da sagt jemand: „Weißt du eigentlich, dass dein Hemd der Marke XY durch Kinderarbeit in Bangladesch entstanden ist?“ Und der andere sagt: „Kinderarbeit? Sag mal, willst du mir jetzt die Freude daran verderben, ein Schnäppchen gemacht zu haben?“

Wenn die arme Fleischwirtschaft so darauf wartet, dass die Verbraucher endlich umdenken, dann sollte sie doch bitte aktiv zur Aufklärung beitragen. Wo bleiben denn die Einladungen an Schulen zu Führungen durch die Ställe und Schlachthäuser?

Und auch die Bundesregierung hatte in den letzten Jahren keine große Lust auf Verbraucheraufklärung. Es ist doch herrlich, wird der Landwirtschaftsminister denken: Wenn die Verbraucher es in der Hand haben und sich Augen und Ohren zuhalten, dann können wir uns problemlos den Mund zuhalten.

Journalisten sollten über Fleisch aufklären

Bevor wir also darauf hoffen, dass die Industrie oder Politik uns alle über Fleisch aufklärt, sollten es die Journalisten tun. Ich verspüre jenseits investigativer Magazine oft eine innere Bremse in der Branche: „Was, wenn die Zuschauer gerade beim Essen sind, und wir zeigen denen im Fernsehen Bilder vom Schlachten? Die werden sich beschweren. Und ist es unsere Aufgabe, die Menschen zum Umdenken zu erziehen?“ Wahrscheinlich sind zu viele Fleischesser unter uns Medienmachern. Es geht doch schlicht um eins: die Wahrheit! So wie bei Kinderarbeit auch.

Vor einiger Zeit hat das ZDF gezeigt, wie es ist: In der 19-Uhr-heute-Sendung warnte Petra Gerster vorab die Zuschauer vor schlimmen Bildern und dann kam die Wahrheit: Ein Rind, im Schlachthaus an einem Hinterbein mit einer Kette an Rollen an der Decke aufgehängt, wie es bei vollem Bewusstsein zappelte, weil der Arbeitsschritt Betäubung nicht richtig funktioniert hatte, aber nun war es an der nächsten Arbeitsstation eben Zeit für den nächsten Arbeitsschritt durch nächsten Mitarbeiters.

von Katja Joho, Sebastian Schaal

Und der schnitt der vor Schmerz und Todesangst schreienden Kuh mit der Motorsäge den Bauch auf. Und während die Eingeweide auf den Schlachthausboden pladderten, streckte das Tier seine lange harte Zunge heraus, als suchte sie mit ihr nach dem letzten Halt.

So ist das gesetzlich nicht gewollt. Aber so kommt es immer wieder vor. Gerade vorletzte Woche hat die "Aktuelle Stunde" des WDR mit verstörenden Schlachtbildern wieder für Furore gesorgt. Weil die Realität so brutal ist – und so selten zu sehen. Und deshalb muss sie öfter gezeigt werden.

Würde jemand sagen: „Warum hast du Depp denn damals auch einen VW mit Dreckdiesel gekauft?“
Der andere würde empört entgegnen: „Ich wusste das damals doch nicht!“ Stimmt.

Aber so dürfen wir uns beim Fleisch nicht rausreden. Den Gefallen sollten wir denen nicht tun, deren Geschäftsmodell auf unserer Gleichgültigkeit beruht.

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