Werner knallhart

Ahnungslose Fleischkonsumenten: Dumm isst gut

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Beim Fleischessen redet man nicht von Tieren

Aber genau davon profitiert die Massenfleischindustrie. Ihre ganze Existenz verdanken sie unserer sagenhaften Angst vor der Mitschuld am Tod der Tiere. Nach folgender Mechanik:

  1. Wir leben in einem freien Markt. Was hat es Google genützt, eine technisch clever ausgefeilte Datenbrille namens Google Glas entwickelt zu haben, die firmenintern bestimmt als der große Wurf bezeichnet wurde, wenn sie am Ende keiner kauft? Die Datenbrille ist nicht vom Markt verschwunden, weil sie technischer Schrott war oder weil man sie im Alltag nicht gebrauchen konnte. Sondern weil alle sie uncool fanden. Im freien Markt hat der Kunde immer Recht. Das gilt auch für den Fleischmarkt.
  2. Prangert man an, dass es in der Massentierhaltung immer wieder zu katastrophaler Tierquälerei kommt, weil die Gesetze nicht beachtet werden, und dass selbst bei regelkonformer Tierhaltung Säue mitunter von ihren Ferkeln getrennt werden, was sie in tiefe Trauer und Unglück stürzt, dass männliche Ferkel mitunter ohne Betäubung kastriert werden, weil Betäubung eben teuer und aufwendig ist, dass Milchkühe wegen ihrer hochgezüchteten Rieseneuter kaum gehen können, dass viele Tiere in ihrem Leben mitunter nie richtig das Sonnenlicht zu sehen bekommen, dann heißt es von Seiten der Landwirtschaft: Solange die Verbraucher nicht bereit sind, mehr für ihr Fleisch zu bezahlen, bieten wir das auf diese brutale Weise hergestellte Fleisch eben an. Wir können ja nicht am Markt vorbei produzieren. Ein Lobbyist der Landwirte sagte mir einst: „Der Verbraucher allein hat es in der Hand.“ Der Mann hat gut reden. Denn:
  3. Weil es der Verbraucher in der Hand hat, kommt es darauf an, dass der Verbraucher seine Haltung zu Fleisch nicht ändert. Er darf nicht in Mitleid verfallen. Er darf nicht daran erinnert werden, wie niedlich kleine Kälbchen aussehen mit ihren langen Wimpern, was für soziale Tiere Schweine sind, wie puschelig Küken sind, bevor sie lebendig in den Schredder geworfen werden, und welch sensible Zeitgenossen Gänse sind. Solange es gelingt, den Verbraucher in seiner Realitätsnarkose zu halten, wird sich in einem freien Markt nichts ändern. Und der Verbraucher zuckt noch nicht mal. Dazu schmeckt es einfach zu gut. Die Masche funktioniert.
Würstchen, Leberwurst, Schnitzel - Hauptsache kein Fleisch
Currywurst so ganz ohne Fleisch. Und sogar mit derselben Currysauce wie das Original. Meist werden die Ersatzprodukte aus Soja, Tofu oder Seitan hergestellt. Vegetarisch und nicht vegan ist dieses Produkt deswegen, weil Weizeneiweiß, Hühnereiklar und Milchzucker enthalten ist. Vegetarisch muss aber nicht immer gesünder sein: Der Fett- und Kaloriengehalt liegt bei der vegetarischen Currywurst höher, als bei der fleischhaltigen Originalvariante. Schmecken tuts trotzdem. Quelle: Meica
Es gibt nicht nur vegetarische Bratwürstchen, sondern sogar Veggie-Bratwürste mit Käse. Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten ist nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren um 88 Prozent gestiegen. Quelle: Meica
Man glaubt es kaum, aber ... Quelle: Alberts
.. Auch das ist kein Fleisch. Es ist sogar ein komplett veganes Produkt aus so genannten Lupinen. Als heimische Alternative zu Soja wurden Lupinen vor einigen Jahren groß gefeiert. Die Produkte aus der eiweißreichen Hülsenfrucht halten allerdings nur zögerlich Einzug in den Supermarkt. Quelle: Alberts
Bockwurst mit Kartoffelsalat ist bei den deutschen sehr beliebt. Diese vegane Variante der Bockwurst ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Jedenfalls äußerlich. Quelle: meetlyke
Innerlich besteht diese fleischartige Wurst aus Seitan. Ein Produkt aus Weizeneiweiß aus der traditionellen japanischen Küche. Sozusagen eine Imitation von Fleisch durch Gluten. Quelle: meetlyke
Der Klassiker zur Brotzeit darf natürlich nicht fehlen: Die Fleischwurst. Die vegetarische Variante wartet hier allerdings mit deutlich weniger Kalorien auf als die traditionelle Geflügel-Fleischwurst derselben Marke. Die Veggie-Fleischwurst kommt bei 100 Gramm auf 155 Kilokalorien, wohingegen die Geflügel-Variante auf glatte 238 Kilokalorien pro 100 Gramm kommt.

Beschämend ist dabei, wie einig wir uns alle sind, dass es genau richtig ist, bei Thema Fleisch die Realität zu verdrängen. Einst sagte ich zu einer Kollegin: „Wow, dein Steak ist ja noch ganz schön blutig.“ Daraufhin legte sie angeekelt das Besteck weg und maulte: „Danke, das kann ich jetzt nicht mehr essen.“ Ich fühlte mich schier genötigt, mich dafür zu entschuldigen, dass ich „blutig“ gesagt habe. Schließlich war meine Kollegin ja Tierfreundin. Man redet in Deutschland beim Fleischessen nicht von Tieren.

Stellen wir uns hingegen vor, da sagt jemand: „Weißt du eigentlich, dass dein Hemd der Marke XY durch Kinderarbeit in Bangladesch entstanden ist?“ Und der andere sagt: „Kinderarbeit? Sag mal, willst du mir jetzt die Freude daran verderben, ein Schnäppchen gemacht zu haben?“

Wenn die arme Fleischwirtschaft so darauf wartet, dass die Verbraucher endlich umdenken, dann sollte sie doch bitte aktiv zur Aufklärung beitragen. Wo bleiben denn die Einladungen an Schulen zu Führungen durch die Ställe und Schlachthäuser?

Und auch die Bundesregierung hatte in den letzten Jahren keine große Lust auf Verbraucheraufklärung. Es ist doch herrlich, wird der Landwirtschaftsminister denken: Wenn die Verbraucher es in der Hand haben und sich Augen und Ohren zuhalten, dann können wir uns problemlos den Mund zuhalten.

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