Werner knallhart

Zigaretten-Schockbilder: Welch Demütigung für Raucher!

Mit den Ekelfotos auf Zigarettenpackungen soll ab Mai ein Genussmittel auch den deutschen Konsumenten den Genuss verderben. Die versteckte Botschaft: Du bist ein willensschwacher Drogenabhängiger.

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Schockbilder auf Zigarettenpackungen Quelle: dpa

Eine Formalie vorab: Wenn ich in den nächsten Zeilen über "die Raucher" schreibe, dann ist das so, als wenn ich über "die Autofahrer" oder "die Apotheker" schreibe: Ein Autofahrer ist nur so lange Autofahrer, wie er Auto fährt. Ein rücksichtsloser Autofahrer kann natürlich auch ein liebevoller Vater oder eine engagierte Apothekerin sein. Sollte ich also gleich zum Beispiel aufschreiben, Raucher seien mittlerweile wirklich arme Würstchen, dann sind die Betroffenen nur in ihrer Rolle als Raucher gemeint, selbst wenn sie in anderem Kontext auch rücksichtslose Autofahrer oder hoch angesehene Apothekerinnen sein können. Okay? Gut.

Raucher sind mittlerweile wirklich arme Würstchen. Denn sie sind Opfer einer der perversesten ethischen Verwicklungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens:

Sie sind Konsumenten eines Produktes ohne objektiv vorteilhafte Eigenschaften, das sie selber und andere sogar stark schädigen kann und Unbeteiligten auf die Nerven geht. Und trotzdem ist ihr Konsum erlaubt.

Diese Schockbilder sind jetzt auf EU-Zigarettenpackungen
Raucher müssen sich von Ende Mai an auf Schockfotos und größere Warnhinweise auf Zigarettenschachteln einstellen Quelle: dpa
Die 2014 ausgehandelte EU-Richtlinie für Tabakprodukte muss bis 20. Mai 2016 in deutsches Recht umgesetzt werden. Quelle: dpa
Länder fordern Übergangsfrist für Schockbilder auf Zigarettenpackungen. Quelle: dpa
Im Kampf gegen das Rauchen setzt die US-Regierung mehr denn je auf Abschreckung. Quelle: REUTERS
Die Bilder und Warnsprüche müssen seit Herbst 2012 mindestens die Hälfte von Vorder- und Rückseite der Zigarettenschachteln einnehmen. Die neun verschiedenen Fotos und Zeichnungen zeigen unter anderem eine von Krebs zerstörten Lunge, ... Quelle: REUTERS
... ein fauliges Gebiss, ... Quelle: REUTERS
... und die pure Verzweiflung. Unter dem Bild wird auch die Telefonnummer einer Ratgeberstelle angegeben, wo all jene Hilfe suchen können, die das Rauchen aufgeben wollen. Quelle: dapd

Das ist einmalig. Egal, womit man den Tabakkonsum vergleicht, nichts erscheint so sinnlos: Autofahren mit Verbrennungsmotoren verpestet die Umwelt. Aber es macht uns mobil. Alkoholkonsum kann Leber und Gehirn schwer schädigen, ist in kleinen Mengen für Gesunde aber unschädlich und kann nachweislich sogar Herzerkrankungen vorbeugen.

Fallschirmspringen birgt ein gewisses Risiko zu sterben, bietet aber praktisch immer Nervenkitzel kombiniert mit toller Aussicht.

Rauchen ist nur schädlich und nie förderlich für irgendwas. Und das Nikotin-Gefühl "jetzt geht es mir gut" erleben Nichtraucher durchgängig. Kostenlos. Ohne Drogenrausch. Nikotin befördert Raucher auf den Zufriedenheitsstatus von Nichtrauchern.

Liebe Raucher, bitte nicht unnötig aufregen, aber: Die Tabakindustrie lebt davon, dass ein Produkt ohne objektive Vorteile Sie schwuppdiwupp Ihr Gehirn umprogrammieren und Sie abhängig machen kann.

Stellen wir uns vor, ein Klebstoffhersteller würde seinen Bastelkleber als beruhigende Schnüffeldroge bewerben. Wir würden alle aufschreien. Denn: Klebstoffschnüffeln hat anders als Tabakrauchen keine ehrwürdige Tradition aus Zeiten, in denen die Gefahren des Rauchens noch unbekannt waren.

Die wichtigsten Fakten zur E-Zigarette

Und all das sage ich ohne den kleinsten Vorwurf an Raucher. Sie sind ja selbst die Opfer. Das Neue ist, dass Raucher in der Öffentlichkeit mehr und mehr wie Opfer ihrer Sucht wahrgenommen werden: Die Armen müssen im Schneetreiben zum Rauchen vor die Tür.

Die Armen müssen für ihre Sucht Unsummen hinblättern; davon fahren andere in Urlaub. Die Armen riechen oft faulig aus dem Mund, haben gelbe Zähne, rote Bluthochdruck-Äderchen an der Nase und matschige Haut.

Nikotinsucht wirkt mittlerweile tatsächlich so, wie sie wirklich ist. Wie eine Bürde. Das coole Image der Raucher von einst (Haare auf der Brust und so) ist der Opferrolle gewichen.

Und nun also die Ekelbilder auf den Zigarettenschachteln. Ab Mitte des Monats dürfen nur noch solche Schachteln produziert werden, die alten ekelfreien aber noch bis Mai 2017 verkauft werden. In den kommenden Monaten erkennen Sie die frischen Zigaretten also an den Fotos von vergammelten Zähnen oder verkrebsten Lungen oder was da alles kommen mag.

Bedrohung von Arbeitsplätzen

Ein Schlag ins Gesicht der Industrie? Nun, die Hersteller sprachen am Tag der Entscheidung des Bundestages hierzu von einem "rabenschwarzen Tag für die deutsche Tabakwirtschaft" und befürchten den Verlust von vielen Arbeitsplätzen.

"Rabenschwarz" - Ich muss gerade an Teerlungen denken. Wenn man bedenkt, dass jährlich rund 120.000 Menschen durch den Konsum von Tabak in Deutschland sterben, wirkt die Bedrohung von Arbeitsplätzen plötzlich irgendwie viel weniger bedrohlich.

Die gruseligsten Zigarettenschachteln der Welt
Die Europäische Kommission will, dass statt rund einem Drittel zukünftig zwei Drittel der Zigaretten-Verpackungsfläche Schockbilder und Warnhinweise tragen. Diese Regelung soll ab dem 20. Mai 2016 in Kraft treten und anschauliche Detailbilder ermöglichen. Diese sollen die Folgen des Rauchens für die Gesundheit bildlich darstellen. Quelle: Europäische Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher
Alle Bilder sollen neben einem dramatischen Bild gesundheitsbezogene Warnhinweise enthalten. Quelle: Europäische Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher
Die Gesundheitswarnungen kombiniert mit den Warnfotos sollen dann ab Mai nächsten Jahres mindestens 65 Prozent der Vorder- und Rückseite von Zigaretten- und Tabakpackungen ausmachen. Quelle: Europäische Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher
Neben Warnhinweisen, die sich auf gesundheitliche Schäden beziehen, will die Europäische Kommission mit den neuen Bildern und Texten auch an das Gewissen der Raucher appellieren und thematisiert den Tod eines Rauchers als Unglück für Familie und insbesondere Kinder. Quelle: Europäische Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher
Die EU verfolgt eine umfassende Strategie gegen den Tabakkonsum, zu der neben den Rechtsvorschriften über Tabakwerbung, Sponsoring und Tabakerzeugnisse gehören, sowie die Unterstützung von Mitgliedstaaten und Sensibilisierungsmaßnahmen. Die Vorschriften zur Zigarettenschachtelgestaltung sind damit nur einer von vielen Punkten. Quelle: Europäische Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher
Der EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, erklärte mit Blick auf das unveränderte Einstiegsalter der europäischen Raucher: "Die Zahlen zeigen, dass der Kampf gegen den Tabak noch nicht gewonnen ist, insbesondere bei den jungen Menschen. Es ist nicht akzeptabel, dass Europäerinnen und Europäer im Teenageralter das Rauchen immer noch attraktiv finden. Dies soll mit den neuen Bildern und Warnhinweisen anders werden.
Die neuen Richtlinien zur Verpackungsgestaltung betreffen nicht nur Zigaretten, sondern auch Tabak zum Selbstdrehen, Pfeifentabak, Zigarren, Zigarillos, rauchlose Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten und pflanzliche Raucherzeugnisse. Quelle: Europäische Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher

Die deutsche Tabakindustrie profitiert seit Jahren davon, dass der deutsche Gesetzgeber die Gefahren des Rauchens deutlich defensiver bekämpft als der Rest der EU. So gesehen war bisher jeder einzelne Tag ein großartiger Jubeltag für die Zigaretten-Lobby. Sie muss einem nicht Leid tun.

Nein, aber zu bemitleiden sind jetzt erst recht all die, die diese hässlichen Schachteln kaufen müssen. Finde ich ein Hemd bieder, dann kaufe ich ein anderes. Finde ich einen Blumenstrauß kitschig, lasse ich einen anderen binden. Bei der Zigarettenschachtel aber muss ich gegen meinen Ekel ankonsumieren. Das ist schon wieder einzigartig.

Raucher werden ab jetzt behandelt wie Patienten. Sie sollen vor der Kneipe und auf dem Balkon therapiert werden. Die Bilder sind aber nicht nur Warnung, sie sind auf der Metaebene auch Ausdruck dessen, was der Gesetzgeber von Rauchern hält:

Unsere Gesellschaft traut dem Raucher keine rationale Konsumentscheidung zu seinen eigenen Gunsten mehr zu und versucht, ihn mit Bildchen emotional aufzurütteln. Die Schock-Schachteln stilisieren den Tabak-Konsumenten damit endgültig zum Drogenopfer. Geht es demütigender?

Für die Tabak-Industrie hingegen ist dies nur auf den ersten Blick ein Nachteil. Zwar stellt sich die Frage: Wie kann man eine Ware optisch so verhunzen, die doch ganz legal verkauft werden darf? Aber: Die vernünftige Alternative wäre ein komplettes Verkaufsverbot. Insofern ist die Schock-Schachtel ein kurioser Kompromiss zwischen Vernunft und Sucht-Tradition.

Die Tabak-Industrie kann also schon wieder jubeln. Jedes andere vergleichbar gesundheitsschädliche Produkt würde sofort verboten, bevor der Hersteller piep sagen könnte. Die Diskussion um manipulierte Diesel-Autos zeigt, wie sensibel wir an anderer Stelle längst auf Schadstoffe in der Atemluft reagieren.

Rauchen gilt ab sofort wohl nicht mehr nur als ein unvernünftiges Laster zum Wegschmunzeln, sondern es wirkt pathologisch. Das ist unsexy aber immerhin ehrlich.

Die wichtigsten Fakten zur E-Zigarette
E-Zigarette Quelle: dpa
Zubehör Quelle: Fotolia
Bekanntheitsgrad in Deutschland Quelle: dpa
Wie viele Raucher haben E-Zigaretten ausprobiert? Quelle: dpa
Wie ist es um die Nichtraucher und Ex-Raucher bestellt? Quelle: obs
Suchtpotential Quelle: dpa/dpaweb
Gesundheitliche Folgen Quelle: dpa

Ich habe kürzlich eine E-Mail von Gauloises bekommen. Darin bewirbt der Zigarettenhersteller sein Uni-Campus-Frühstück mit Croissant, Müsli und Kaffee: von Zigaretten kein einziges Wort und kein einziges Bild. Wahrscheinlich dürfen sie das gar nicht. Aber ohnehin passt rauchen ja nun wirklich nicht mehr zum unbeschwerten jungen Lebensstil, den Gauloises vermitteln will. Wer raucht, ist der Statistik nach älteren Kalibers und schlechter gebildet. Womöglich ist es der Tabakindustrie mittlerweile selber peinlich, Zigarettenhersteller zu sein.

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