Eine Formalie vorab: Wenn ich in den nächsten Zeilen über "die Raucher" schreibe, dann ist das so, als wenn ich über "die Autofahrer" oder "die Apotheker" schreibe: Ein Autofahrer ist nur so lange Autofahrer, wie er Auto fährt. Ein rücksichtsloser Autofahrer kann natürlich auch ein liebevoller Vater oder eine engagierte Apothekerin sein. Sollte ich also gleich zum Beispiel aufschreiben, Raucher seien mittlerweile wirklich arme Würstchen, dann sind die Betroffenen nur in ihrer Rolle als Raucher gemeint, selbst wenn sie in anderem Kontext auch rücksichtslose Autofahrer oder hoch angesehene Apothekerinnen sein können. Okay? Gut.
Raucher sind mittlerweile wirklich arme Würstchen. Denn sie sind Opfer einer der perversesten ethischen Verwicklungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens:
Sie sind Konsumenten eines Produktes ohne objektiv vorteilhafte Eigenschaften, das sie selber und andere sogar stark schädigen kann und Unbeteiligten auf die Nerven geht. Und trotzdem ist ihr Konsum erlaubt.
Das ist einmalig. Egal, womit man den Tabakkonsum vergleicht, nichts erscheint so sinnlos: Autofahren mit Verbrennungsmotoren verpestet die Umwelt. Aber es macht uns mobil. Alkoholkonsum kann Leber und Gehirn schwer schädigen, ist in kleinen Mengen für Gesunde aber unschädlich und kann nachweislich sogar Herzerkrankungen vorbeugen.
Fallschirmspringen birgt ein gewisses Risiko zu sterben, bietet aber praktisch immer Nervenkitzel kombiniert mit toller Aussicht.
Rauchen ist nur schädlich und nie förderlich für irgendwas. Und das Nikotin-Gefühl "jetzt geht es mir gut" erleben Nichtraucher durchgängig. Kostenlos. Ohne Drogenrausch. Nikotin befördert Raucher auf den Zufriedenheitsstatus von Nichtrauchern.
Liebe Raucher, bitte nicht unnötig aufregen, aber: Die Tabakindustrie lebt davon, dass ein Produkt ohne objektive Vorteile Sie schwuppdiwupp Ihr Gehirn umprogrammieren und Sie abhängig machen kann.
Stellen wir uns vor, ein Klebstoffhersteller würde seinen Bastelkleber als beruhigende Schnüffeldroge bewerben. Wir würden alle aufschreien. Denn: Klebstoffschnüffeln hat anders als Tabakrauchen keine ehrwürdige Tradition aus Zeiten, in denen die Gefahren des Rauchens noch unbekannt waren.
Die wichtigsten Fakten zur E-Zigarette
Bei jedem Zug verdampft ein Brennelement ein sogenanntes Liquid. Dieses kann Nikotin in verschiedenen Konzentrationen enthalten - es gibt sie aber auch nikotinfrei. Außerdem können alle erdenklichen Aromen zugesetzt sein. Um die Illusion perfekt wirken zulassen, glüht bei manchen Modellen eine Leuchtdiode an der Spitze auf.
Wissenschaftliche Beweise gibt es nicht. Sicher ist, dass Nikotin schnell süchtig macht. Die Elektro-Kippen sind wenig erforscht, Auswirkungen möglicher Schadstoffen unbekannt, sagen Kritiker. Auch ist unklar, was dem Konzentrat beigemischt ist. Das wissen nur die Hersteller. Nachfragen bleiben mit Verweis aufs Betriebsgeheimnis unbeantwortet. Die US-Kontrollbehörde FDA fand im Jahr 2009 giftige Substanzen in Proben - darunter krebserregende Nitrosamine. Gegen eine hohe Qualität der E-Zigaretten spreche auch der variierende Nikotingehalt in den Kapseln. Auch in als nikotinfrei deklarierten Patronen konnte mitunter Nikotin gefunden werden.
Die gesundheitlichen Folgen für E-Dampfer und passive "Mit-Atmer" sind in der Wissenschaft äußerst umstritten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte zuletzt im Februar 2012 betont, dass Gefahren für Dritte „nach derzeitigem Kenntnisstand nicht auszuschließen“ seien. Es gebe so viele verschiedene Flüssigkeiten, die sogenannten Liquids, dass fraglich sei, was ein Nutzer im konkreten Fall tatsächlich inhaliere.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum spricht von einem erheblichen Forschungsbedarf und fordert geeignete wissenschaftliche Studien.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO forderte im Juli 2014, Rauchverbote auch auf E-Zigaretten zu übertragen - mit einer Einschränkung: Diese Empfehlung gelte nur, solange nicht belegt sei, dass der Dampf für Umstehende ungefährlich ist.
Behörden, Forscher und Politiker warnen vor möglichen Gesundheitsgefahren – sowohl für die E-Dampfer, als auch für die Passiv-Dampfer. Sie wollen die Rauchverbotszonen auch zu dampffreien Zonen machen. Zuletzt entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster am 4. November 2014, dass Wirte ihren Gästen weiter den Konsum von elektrischen Zigaretten erlauben dürfen - zumindest in Nordrhein-Westfalen. Das strenge Nichtraucherschutzgesetz in NRW gelte nicht für die Verdampfer. Weil bei E-Zigaretten kein Tabak verbrannt werde, handele es sich nicht um Rauchen, argumentierten die Richter. Zudem seien die Gefahren für Dritte nicht mit denen des schädlichen Zigarettenqualms vergleichbar (Az.: 4 A 775/14).
Das Oberverwaltungsgericht Münster befasste sich im September 2013 mit dem Verkauf von E-Zigaretten. Die Richter entschieden damals in einem Grundsatzurteil, dass nikotinhaltige Flüssigkeiten weiterhin außerhalb von Apotheken verkauft werden dürfen. Die Produkte seien keine Arzneimittel. Der freie Handel und Verkauf von Produkten rund um E-Zigaretten ist damit nicht strafbar. Das NRW-Gesundheitsministerium hat dagegen Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt.
E-Zigaretten erfreuen sich in Deutschland wachsender Beliebtheit. Laut dem Portal Statista wurden im Jahr 2010 fünf Millionen Euro auf dem E-Zigarettenmarkt umgesetzt - 2013 waren es schon 100 Millionen Euro. Für 2014 werden 150 bis 200 Millionen Euro erwartet.
Und all das sage ich ohne den kleinsten Vorwurf an Raucher. Sie sind ja selbst die Opfer. Das Neue ist, dass Raucher in der Öffentlichkeit mehr und mehr wie Opfer ihrer Sucht wahrgenommen werden: Die Armen müssen im Schneetreiben zum Rauchen vor die Tür.
Die Armen müssen für ihre Sucht Unsummen hinblättern; davon fahren andere in Urlaub. Die Armen riechen oft faulig aus dem Mund, haben gelbe Zähne, rote Bluthochdruck-Äderchen an der Nase und matschige Haut.
Nikotinsucht wirkt mittlerweile tatsächlich so, wie sie wirklich ist. Wie eine Bürde. Das coole Image der Raucher von einst (Haare auf der Brust und so) ist der Opferrolle gewichen.
Und nun also die Ekelbilder auf den Zigarettenschachteln. Ab Mitte des Monats dürfen nur noch solche Schachteln produziert werden, die alten ekelfreien aber noch bis Mai 2017 verkauft werden. In den kommenden Monaten erkennen Sie die frischen Zigaretten also an den Fotos von vergammelten Zähnen oder verkrebsten Lungen oder was da alles kommen mag.
Bedrohung von Arbeitsplätzen
Ein Schlag ins Gesicht der Industrie? Nun, die Hersteller sprachen am Tag der Entscheidung des Bundestages hierzu von einem "rabenschwarzen Tag für die deutsche Tabakwirtschaft" und befürchten den Verlust von vielen Arbeitsplätzen.
"Rabenschwarz" - Ich muss gerade an Teerlungen denken. Wenn man bedenkt, dass jährlich rund 120.000 Menschen durch den Konsum von Tabak in Deutschland sterben, wirkt die Bedrohung von Arbeitsplätzen plötzlich irgendwie viel weniger bedrohlich.
Die deutsche Tabakindustrie profitiert seit Jahren davon, dass der deutsche Gesetzgeber die Gefahren des Rauchens deutlich defensiver bekämpft als der Rest der EU. So gesehen war bisher jeder einzelne Tag ein großartiger Jubeltag für die Zigaretten-Lobby. Sie muss einem nicht Leid tun.
Nein, aber zu bemitleiden sind jetzt erst recht all die, die diese hässlichen Schachteln kaufen müssen. Finde ich ein Hemd bieder, dann kaufe ich ein anderes. Finde ich einen Blumenstrauß kitschig, lasse ich einen anderen binden. Bei der Zigarettenschachtel aber muss ich gegen meinen Ekel ankonsumieren. Das ist schon wieder einzigartig.
Raucher werden ab jetzt behandelt wie Patienten. Sie sollen vor der Kneipe und auf dem Balkon therapiert werden. Die Bilder sind aber nicht nur Warnung, sie sind auf der Metaebene auch Ausdruck dessen, was der Gesetzgeber von Rauchern hält:
Unsere Gesellschaft traut dem Raucher keine rationale Konsumentscheidung zu seinen eigenen Gunsten mehr zu und versucht, ihn mit Bildchen emotional aufzurütteln. Die Schock-Schachteln stilisieren den Tabak-Konsumenten damit endgültig zum Drogenopfer. Geht es demütigender?
Für die Tabak-Industrie hingegen ist dies nur auf den ersten Blick ein Nachteil. Zwar stellt sich die Frage: Wie kann man eine Ware optisch so verhunzen, die doch ganz legal verkauft werden darf? Aber: Die vernünftige Alternative wäre ein komplettes Verkaufsverbot. Insofern ist die Schock-Schachtel ein kurioser Kompromiss zwischen Vernunft und Sucht-Tradition.
Die Tabak-Industrie kann also schon wieder jubeln. Jedes andere vergleichbar gesundheitsschädliche Produkt würde sofort verboten, bevor der Hersteller piep sagen könnte. Die Diskussion um manipulierte Diesel-Autos zeigt, wie sensibel wir an anderer Stelle längst auf Schadstoffe in der Atemluft reagieren.
Rauchen gilt ab sofort wohl nicht mehr nur als ein unvernünftiges Laster zum Wegschmunzeln, sondern es wirkt pathologisch. Das ist unsexy aber immerhin ehrlich.
Ich habe kürzlich eine E-Mail von Gauloises bekommen. Darin bewirbt der Zigarettenhersteller sein Uni-Campus-Frühstück mit Croissant, Müsli und Kaffee: von Zigaretten kein einziges Wort und kein einziges Bild. Wahrscheinlich dürfen sie das gar nicht. Aber ohnehin passt rauchen ja nun wirklich nicht mehr zum unbeschwerten jungen Lebensstil, den Gauloises vermitteln will. Wer raucht, ist der Statistik nach älteren Kalibers und schlechter gebildet. Womöglich ist es der Tabakindustrie mittlerweile selber peinlich, Zigarettenhersteller zu sein.