Einen Fall von Ermittlungs-Overkill erlebte Harald Friedrich. Ob der 60-Jährige, der heute freiberuflicher Umwelt-Gutachter ist, Opfer einer politischen Intrige war oder im Wuppertaler Oberstaatsanwalt Ralf Meyer bloß den falschen Gegner hatte, wird wohl nie geklärt werden. Jedenfalls war Friedrich vor sechs Jahren noch grüner Abteilungsleiter im damals christdemokratisch geführten NRW-Umweltministerium. Im Gegensatz zu seinem Minister Eckhard Uhlenberg forderte er wegen der Wasserbelastung mit der Chemikalie PFT eine Nachrüstung der Wasserwerke an der Ruhr. Dann kosteten ihn 2006 plötzlich massive Vorwürfe den Job. Wegen Korruption, Betrug und Untreue wurde gegen Friedrich ermittelt. Angeblicher Schaden für das Land: 4,3 Millionen Euro.
Staatsanwalt Meyer ließ 275 Polizeibeamte 45 Wohnungen in drei Bundesländern durchsuchen, mehr als 1.000 Telefongespräche abhören und steckte Friedrich 22 Tage in Untersuchungshaft. Sämtliche Vorwürfe mussten auf Weisung der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Doch Meyer suchte immer neue Angriffspunkte. Nach gut drei Jahren Ermittlungsqual ging es noch um 40 keineswegs teure Arbeitsessen – unter anderem Salatteller und Currywurst –, zu denen sich Friedrich hatte einladen lassen. Gegen 700 Euro Geldauflage wurden die Ermittlungen eingestellt – Friedrich zahlte, „auch wenn diese Geldbuße nur dazu dient, dass Staatsanwalt Meyer sein Gesicht wahren kann“.
Der Düsseldorfer Generalstaatsanwalt Gregor Steinforth, der mehrfach versucht hatte, die Wuppertaler zu stoppen, weil er unter anderem „Sensibilität und Fingerspitzengefühl“ vermisste, erklärte in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss das Vorgehen seines Kollegen mit einem „Tunnelblick“. Das Phänomen kenne er selbst aus seiner Zeit in der großen Wirtschaftsabteilung, sagte Steinforth: „Da bearbeitet man ein einziges Ermittlungsverfahren nicht nur über Monate, sondern über Jahre hinweg.“ Und dabei komme es halt „gelegentlich vor – und das dürfen Sie niemandem verübeln und auch niemandem zum Vorwurf machen –, dass man den Tunnelblick bekommt“.
Langsam: Der Fall Winkelmann
Ob es daran auch im Fall von Michael Winkelmann lag? Dessen Justiz-Martyrium dauerte von 2004 bis 2010.
2002 geriet die Frankfurter Sparkasse (Fraspa) in Schwierigkeiten, weil sie faule Kredite in den Büchern hatte. Winkelmann, seit vier Jahren Firmenkunden-Vorstand, gab 2004 seinen Posten auf, als der Verwaltungsrat ihm signalisierte, dass man seinen Vertrag nicht verlängern werde. Kurz darauf wurden Winkelmanns Vorstandskollegen auf Druck der Finanzaufsicht BaFin gefeuert. Im November 2004 erstattete die Behörde Strafanzeige gegen alle ehemaligen Vorstände. Sie sollten der Prüfstelle des Sparkassenverbands Hessen-Thüringen, die die Bilanzen checkt, wichtige Unterlagen vorenthalten haben, um so zu verdecken, dass es um einige Kredite viel schlechter stand als dargestellt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte, befragte Zeugen. Aber erst eineinhalb Jahre nach der BaFin-Anzeige, im Juni 2006, lag den Ermittlern ein Gutachten vor, das die Beschuldigten entlastete: Die Kreditbewertungen waren vertretbar, der Prüfungsverband hatte alle notwendigen Unterlagen.
Bis dahin wurde die Zeit für Winkelmann und seine Frau Ursula zum Spießrutenlauf. Fragen von Bekannten, verletzende Bemerkungen gegenüber der Tochter, und Winkelmann findet keinen Job: „Solange die Ermittlung lief, wollte mich keiner.“ Denn die Affäre war öffentlich, „Bild“ titelte im Sommer 2005: „Razzia in der Fraspa und den Chef-Villen. Bilanzfälschung, Untreue. Wie schuldig sind diese Ex-Vorstände?“ Winkelmanns Foto am rechten Zeitungsrand maß 9,5 Zentimeter.
Wiederum ein Jahr nach Vorlage des Gutachtens dauerte es, bis die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellte – und ein weiteres folgte, diesmal wegen des Verdachts der Untreue. Die Staatsanwaltschaft nahm sieben Kreditengagements unter die Lupe. Winkelmann sollte unter anderem den Kredit für eine Einkaufspromenade nicht wie vom Vorstand beschlossen gekündigt haben. Im September 2007 wurde ein Gutachter beauftragt. Der sollte klären, ob Winkelmann der Sparkasse vorsätzlich geschadet hatte. Der Gutachter wartete fünf Monate auf Kreditunterlagen der Sparkasse. Seine Ergebnisse, die Winkelmann schließlich entlasteten, trudelten dann nach und nach ein. Der Angeklagte hatte das Recht, zu jedem Teilergebnis eine Stellungnahme abzugeben. Es wurden Zeugen gehört. Bis das Verfahren im Februar 2010 eingestellt wurde, vergingen zwei Jahre.
Fünf Staatsanwälte waren im Laufe der Jahre mit beiden Fällen befasst. Zwei Staatsanwältinnen gingen in Mutterschutz, ein Kollege wurde befördert – und die Neuen mussten sich erst einarbeiten. Allein die Gutachten haben die hessischen Steuerzahler 450.000 Euro gekostet. Als das Ganze 2010 ein Ende hat, ist Winkelmann juristisch rehabilitiert, aber 57 Jahre und damit „zu alt, um noch mal eine Anstellung zu bekommen“. Eine Vorstandspension wird er nicht erhalten, dafür war seine Amtszeit zu kurz. Der Banker schlägt sich nun als Berater durch.