Innovationspreis Preisträger Mittelstand: Nie wieder bohren mit DMG

Das Unternehmen DMG will mit einer neuen Behandlungstechnik Karies stoppen und Zahnarztbesuchen den Schrecken nehmen.

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DMG-Chef Wolfgang Mühlbauer und Susanne Stegen Quelle: Timmo Schreiber für WirtschaftsWoche

Wolfgang Mühlbauer hat etwas, was sich so ziemlich jeder in seinem Leben einmal wünschen wird – spätestens auf dem Zahnarztstuhl, wenn sich das Geräusch des Bohrers in die Tiefen des Bewusstseins schraubt. Der 47-jährige Chemiker und Chef des Hamburger Unternehmens DMG, ein Hersteller von Dentalprodukten, hat eine Flüssigkeit namens Icon entwickelt. Damit können Zahnärzte Karies schmerzfrei behandeln. Ganz ohne zu bohren. Kommt die Substanz in Berührung mit kariesbefallenen Zähnen, bekämpft sie die Bakterien sofort. Anschließend füllt die Flüssigkeit den Schmelz auf und dichtet den Zahn ab.

Die Behandlungsmethode kommt nicht nur bei Patienten gut an: Rund 5000 der etwa 80 000 deutschen Zahnärzte behandeln bereits mit Icon. Und es könnten mehr werden: Experten glauben, das Material könne das Milliardengeschäft mit den Spritzen und Zahnfüllungen verändern. Grund genug für die Jury des Deutschen Innovationspreises, DMG mit dem ersten Preis in der Kategorie Mittelstand auszuzeichnen: „Die Technik birgt ein Innovationspotenzial, das für eine ganze Branche bedeutsam werden kann“, sagt Hans-Peter Villis, Chef des Energieversorgers EnBW und Mitglied der Jury.

Icon ist die erfolgreichste Produkteinführung der Branche

Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) belegen jetzt schon den Erfolg der Innovation. Demnach war Icon mit einem Umsatz von rund zwei Millionen Euro im vergangenen Jahr die erfolgreichste Produkteinführung der Branche. Das war, so hofft das Unternehmen, erst der Anfang. Studien belegen, dass die Zahnzwischenräume von fast 80 Prozent der Menschen unter 28 Jahren von Karies befallen sind. Und gerade die Behandlung von Karies in den Zwischenräumen vereinfacht Icon: Denn die Substanz wird mithilfe dünner Folien aufgetragen, die auch in schwer zugänglichen Stellen passen.

Die Behandlung mit Icon, eine sogenannte Kariesinfiltration, dauert etwa 20 Minuten. Mit einer Salzsäure wird zuerst die oberste Mineralschicht des Zahnes entfernt. Das Dentalharz, das anschließend aufgetragen wird, dringt dann – genau wie Wassertropfen in einen Zuckerwürfel sickern – in die kariöse Stelle ein. Zuletzt härtet der Zahnarzt die Flüssigkeit mit einer Tageslichtlampe. Dabei setzt sich das Harz zwischen die kristallförmigen Partikel des Schmelzes und festigt deren Struktur.

Behandlung kostet 130 Euro pro Zahn

Wenn Firmenchef Mühlbauer die Gelegenheit bekommt, erklärt er Icon am liebsten selbst. Dann steht er vor einem Flipchart und malt mit rotem Filzstift Zahnzwischenräume und Kariesbefall. Ob die neuartige Füllung 10 oder 20 Jahre hält, ist noch nicht belegt. Mühlbauer macht klar: Ein Wundermittel ist es nicht. Icon kann nur im Anfangsstadium von Karies helfen. Ist die Struktur des Zahns zerstört, muss der Zahnarzt doch bohren.

Im Sommer bekommt DMG die Werte einer Drei-Jahres-Studie: An der Charité in Berlin untersuchen Forscher gerade, ob die Karies an der behandelten Stelle zurückkehrt. Die Ergebnisse einer Studie aus dem Sommer 2009 stimmen Experten optimistisch. „Die Studien nach 18 Monaten haben gezeigt, dass die Anwendung bei einer frühen Karies deren Voranschreiten stoppen kann“, sagt Thomas Attin, der Direktor der Klinik für Parodontologie und Kariologie an der Universität Zürich.

Eine Behandlung mit Icon müssen Patienten dennoch selbst bezahlen, im Schnitt kostet sie 130 Euro pro Zahn. Doch Mühlbauer verhandelt bereits mit den Krankenkassen, damit Icon in den Leistungskatalog aufgenommen wird.

Grafik: Wie die Kariesbehandlung von DMG funktioniert

Die Idee für Icon allerdings kommt nicht direkt von DMG. Das Konzept stammt von den Forschern Hendrik Meyer-Lückel und Sebastian Paris von der Universitätsklinik Kiel und der Charité Berlin. 2006 präsentieren sie die Idee bei DMG. Doch damals war Icon unvollständig: Die Forscher hatten keine Lösung, wie das lichtempfindliche Harz auf den Zahn aufgetragen werden kann.

DMG-Chef Mühlbauer erkannte dennoch das Potenzial und kaufte den Forschern die Lizenz an ihrer Idee ab. Zwei Jahre suchten seine Kollegen nach Wegen, das Problem zu lösen. Sie entwickelten die Folien für das Auftragen des Harzes. Es glückte: „Icon war das größte Projekt in der Firmengeschichte. Noch nie haben wir ein Produkt so zielstrebig entwickelt und eingeführt“, sagt Mühlbauer.

DMG stemmte das Projekt mithilfe einer großen Forschungsabteilung. 60 der rund 300 Mitarbeiter befassen sich mit der Entwicklung von Innovationen. Mehr als zehn Prozent seines Umsatzes steckt DMG in die Forschung. Bei einem Umsatz von 41 Millionen Euro waren das 2009 mehr als vier Millionen Euro. „Es erfordert einen langen Atem, denn nur jede zweite Idee wird ein Erfolg“, sagt er.

Wenn Mühlbauer aber von einer Geschäftsidee überzeugt ist, probiert er sie auch durchaus mal an sich selbst aus. Auch Icon hat er schon im Mund. Und neuerdings untersucht er regelmäßig die Zähne seiner vier Kinder nach Karies.

Doch bislang waren immer nur seine eigenen Zähne befallen.

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