Insolvenzverwalter Das neue Insolvenzrecht verschärft den Wettbewerb

Die Neuordnung des Insolvenzrechts wirbelt die Branche durcheinander. Gläubiger erhalten mehr Macht, Verwalter müssen sich auf neue Konkurrenz einstellen.

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Christopher Seagon, Fachanwalt für Insolvenzrecht Quelle: Rüdiger Nehmzow für WirtschaftsWoche

Irgendwann hatte der Hamburger Insolvenzrichter Frank Frind genug. Gleich reihenweise waren gegen Jahresende Insolvenzverwalter in seinem Büro eingefallen, um sich mal mehr, mal weniger offensiv um neue Insolvenzmandate zu bemühen. Für ein Fachmagazin entwickelte der Richter eigens eine Grundtypologie seiner Besucher: Er unterscheidet den „Mitleiderreger“, den „Meckerer“ und den „Druckausüber“. Allen gemein sei ihr Lamento über „massive Vergütungseinbrüche“ und viel zu wenige lukrative Verfahren.

In diesem Jahr dürfte es bei Richter Frind deutlich ruhiger zugehen. Statt nur über Gerichtsflure zu streifen, baggern die Verwalter nun schon vorsorglich in den Zentralen von Banken und Versicherungskonzernen, bei Gewerkschaften oder auch Steuerbehörden – alles häufige Gläubiger bei Insolvenzverfahren. Denn in Zukunft sollen nicht mehr allein Richter darüber befinden, welcher Verwalter bei der Rettung oder Abwicklung eines Unternehmens Regie führen darf. Die Gläubiger sollen entscheiden.

Das ESUG macht’s möglich. Das Kürzel steht für das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, im Frühjahr 2012 soll es in Kraft treten. Was nach drögen Paragrafen klingt, bringt für das Insolvenzgewerbe tief greifende Veränderungen und ist das beherrschende Thema des Deutschen Insolvenzrechtstags in der kommenden Woche in Berlin.

Der Gesetzgeber sortiert nicht nur den Instrumentenkasten zur Rettung maroder Unternehmen neu. Auch für die Verwalter-Gilde selbst werden die Karten neu gemischt. „Der Branche steht eine Zeitenwende bevor“, erwartet Frank Kebekus, Sprecher des Gravenbrucher Kreises, der wichtigsten Vereinigung von überregional tätigen Verwaltern. „Wenn die Gläubiger mehr Einfluss bei der Auswahl des Verwalters bekommen, werden sie vor allem auf Experten setzen, denen sie den Job auch zutrauen.“ Für alle anderen heißt das im Verwalter-Slang jedoch: Fortführungsprognose negativ.

Schon beginnt sich der Markt neu zu ordnen. Etablierte Kanzleien loten Zusammenschlüsse mit Konkurrenten aus und stocken das Beratungsgeschäft auf, um sich an potenzielle Großgläubiger wie Banken und Kreditversicherer heranzupirschen. Unternehmensberater und internationale Wirtschaftskanzleien könnten künftig ebenso mitmischen wie Wirtschaftsprüfer. Rechtliche Beschränkungen oder formal notwendige Qualifikationen für den Beruf existieren ohnehin kaum. Im Grunde darf jede „geschäftskundige“ Person, wie es im Amtsdeutsch heißt, Insolvenzmandate übernehmen. In der Praxis dominieren allerdings Rechtsanwälte das Geschäft.

Fest stehen bereits die Verlierer des ESUG: kleinere Kanzleien, die nur ab und an ein Insolvenzmandat ergattern. Hunderte von ihnen dürften über kurz oder lang vom Markt gefegt werden. Ausgerechnet der Wirtschaftsaufschwung mit einer sinkenden Zahl von Insolvenzen könnte den Prozess beschleunigen.

Türöffner Beratungsgeschäft

Die ersten Auswirkungen des „Weckrufs für die Branche“, wie der Nürnberger Verwalter Siegfried Beck die Entwicklungen umschreibt, lassen sich bereits besichtigen. Im Dezember gab die Berliner Verwalterkanzlei hww wienberg wilhelm bekannt, mit der Berliner Sanierungsberatung CMS AG zu verschmelzen. Mit 360 Mitarbeitern an 30 Standorten wolle sich der neue „Big Player“ damit „frühzeitig für die bevorstehende Insolvenzrechtsreform in Stellung“ bringen, teilten die Unternehmen mit. Das Kalkül dahinter: Um taumelnde Kreditnehmer wieder auf Kurs zu bringen, heuern Großgläubiger wie Banken zuerst die ihnen bestens bekannten CMS-Berater an. Scheitert die Rettungsmission, können die Verwalter der Gruppe das Mandat im Zweifel übernehmen.

„Die Kreditinstitute waren natürlich begeistert, als sie von der Idee gehört haben“, sagt hww-Partner Rüdiger Wienberg. Bisher kam es beim Übergang eines Sanierungs- zu einem Insolvenzmandat regelmäßig zu Reibungs- und Zeitverlusten. Der Verwalter durfte für den Schuldner auch nicht im Vorfeld tätig gewesen sein. Nun wird dieses Verbot der so- genannten Vorbefasstheit gelockert.

Die hww-CMS-Liaison dürfte denn auch zum Muster weiterer Zusammenschlüsse werden. Verwalter, die in den vergangenen Jahren bereits eine eigene Beratungssparte aufgebaut haben, stocken auf. Andere wie Lucas Flöther, dessen Kanzlei in Halle sich bisher ausschließlich um die Verwaltung insolventer Firmen kümmerte, müssen jetzt wohl den Einstieg prüfen. Denn das Beratungs- und Sanierungsgeschäft wird als Türöffner für spätere Insolvenzmandate immer wichtiger. Zugleich könnte es zum Einfallstor für neue Wettbewerber werden.

Dabei sind zwei Bestimmungen im ESUG entscheidend. Zum einen sollen die bereits bestehenden Möglichkeiten der Eigenverwaltung gestärkt werden. Bisher hinderte die Angst vor einem Kontrollverlust viele Unternehmer vor dem rechtzeitigen Gang zum Insolvenzgericht. Künftig soll dem Schuldner die Chance gegeben werden, sein Unternehmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung selbst zu retten. Dabei wird dem Schuldner erst einmal ein „Sachwalter“ an die Seite gestellt, den er in der Regel selbst bestimmen soll.

Innerhalb von drei Monaten muss das Duo einen Rettungsplan entwickeln. Bei der Auswahl des Sachwalters dürften im Hintergrund auch die Kreditgeber mitmischen. Das könnte dazu beitragen, dass neben den klassischen Insolvenzspezialisten auch Berater und Wirtschaftsprüfer zu Kassenwarten taumelnder Betriebe ernannt werden.

Zum anderen schwindet der Einfluss der Richter bei der Bestellung der Verwalter. Künftig müssen sie ab einer bestimmten Unternehmensgröße sofort nach Eingang des Insolvenzantrags einen vorläufigen Gläubigerausschuss installieren, dem die wichtigsten Geldgeber, aber auch Arbeitnehmervertreter angehören. Einigen sich die Ausschussmitglieder einstimmig auf einen Insolvenzverwalter, muss das Gericht dem Vorschlag folgen. In der Praxis dürfte die neue Vorgabe erhebliche Probleme mit sich bringen. Bis sich der Gläubigerausschuss konstituiert hat, verstreicht wertvolle Zeit – zumal die Regel für „jede bessere Pommesbude“ gelte, wie ein Verwalter stöhnt.

So sollen Richter künftig für insolvente Unternehmen ab einem Jahresumsatz von zwei Millionen Euro und zehn Beschäftigten zwingend einen vorläufigen Gläubigerausschuss zusammentrommeln. Wäre die Regelung schon in Kraft, hätten allein im vergangenen Jahr mehrere Tausend solcher Ausschüsse getagt.

Angesichts solcher Zahlen hält es Christopher Seagon, Partner der bundesweit tätigen Insolvenzkanzlei Wellensiek, für unrealistisch, überhaupt ausreichend qualifizierte Gläubigerausschussmitglieder zu finden.

Womöglich werden die Grenzen im Gesetzgebungsprozess noch nach oben angepasst. Doch die Tendenz ist klar: „In den mittleren und großen Verfahren werden die Gläubiger künftig eine deutlich stärkere Position einnehmen“, sagt Christian Pleister, Berliner Sanierungsexperte der Wirtschaftskanzlei Noerr.

Die Konsequenz: Banken, Finanzinvestoren und Kreditversicherer werden sich kaum darauf einlassen, unbekannte Provinzsequester zu engagieren, um ihr Geld zu retten. Stattdessen erwarten Branchenkenner, dass Großgläubiger auf eine Riege prominenter Namen setzen, mit denen sie in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht haben – womöglich auch auf anderen Gebieten. So soll etwa die Düsseldorfer Wirtschaftsprüfer-Gruppe RölfsPartner Ambitionen hegen, im Insolvenzgetümmel mitzumischen. Eine Sprecherin des Unternehmens wollte sich dazu nicht äußern.

Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) meldet bereits, dass derzeit „der Versuch unternommen wird, Insolvenzverwalter durch entsprechende Angebote dazu zu bewegen, in Großkanzleien zu wechseln“. Welchen Erfolg die Abwerbeaktionen haben werden, ist umstritten. „Welcher gestandene Verwalter würde denn freiwillig bei einer Rechtsfabrik angelsächsischer Prägung Unterschlupf suchen?“, fragt etwa Hans-Gerd Jauch, der als Partner der Sozietät Görg schon Pleite-Verfahren mit Tausenden Beschäftigten dirigiert hat.

In einem ist sich die Gilde indes einig: Für kleinere Verwalter brechen mit dem ESUG trübe Zeiten an. Das Frankfurter Verwalterurgestein Ottmar Hermann, der etwa den Baukonzern Holzmann und die Kaufhauskette Woolworth betreut hat, erwartet „eine stärkere Konzentration auf dem Insolvenzverwaltermarkt“. Vor allem „für die sogenannten Gelegenheitsverwalter“ werde es eng, sagt Ferdinand Kießner, Leiter des Geschäftsbereichs Insolvenzverwaltung der deutschlandweit tätigen Kanzleigruppe Schultze & Braun.

Zahlreiche Teilzeitverwalter

Noch immer tummeln sich Hunderte Teilzeitverwalter in der Branche, die mitunter auch Scheidungen oder Verkehrsdelikte verhandeln. Seit 1999 ist die Zahl der Verwalter von 400 auf mehr als 1800 gestiegen. Vom Pleitewesen allein kann maximal die Hälfte leben. „Der Markt ist drastisch überbesetzt“, sagt Frank Nicolaus, Vorsitzender des Restrukturierer-Verbands TMA Deutschland. „Es wird zu einer Konsolidierung kommen.“ Der Wirtschaftsaufschwung – und der damit einhergehende Rückgang der Insolvenzanmeldungen – verschärft die Situation und könnte die Versuchung steigern, mit fragwürdigen Geschäften die eigene Vergütung zu mehren.

Schon in der Krise blieb der erwartete Insolvenzsegen großteils aus. Zwar zog die Sterberate der Unternehmen an. Die besonders lukrativen Großpleiten hatten aber selbst im Katastrophenjahr 2009 Seltenheitswert. Eine Ausnahme: Das Ende des Essener Arcandor-Konzerns mit rund 40 Untergesellschaften dürfte der Kölner Insolvenzverwaltung Görg ein zweistelliges Millionenhonorar bescheren. Ansonsten schlitterten lediglich einige größere Autozulieferer, Maschinenbauer und etliche Fußballclubs ins finanzielle Aus.

Doch spätestens 2010 war die Krise abgehakt, die Zahl der Insolvenzanmeldungen ging um 2,1 Prozent auf rund 32 000 zurück. Auch dieses Jahr müssen sich die Krisenprofiteure wohl mit weniger Verfahren bescheiden: Die Auftragslage in der Wirtschaft ist stabil. Allenfalls marode Fußballclubs und Refinanzierungsopfer – also Unternehmen, denen die Banken Anschlusskredite verweigern – könnten das Geschäft beleben.

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