Interview mit Henkel-Vorstandschef Ulrich Lehner "Die Chemie muss schon stimmen"

Nach acht Jahren an der Konzerspitze gibt Henkel-Vorstandschef Ulrich Lehner den Chefposten ab. Im Handelsblatt-Interview wehrt er sich gegen überzogene Managerschelte, blickt mit einer Portion Wehmut auf seinen Abschied als aktiver Manager und freut sich auf seine Rolle als künftiger Chefkontrolleur der Deutschen Telekom.

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Will der Telekom künftig Priorität einräumen: Ulrich Lehner Quelle: dpa

Handelsblatt: Herr Lehner, heute verabschieden Sie sich auf der Hauptversammlung als Henkel-Chef. Was haben Sie in den vergangenen Tagen gemacht?

Lehner: Donnerstag habe ich mein Büro aufgeräumt, mich mit Henkel-Pensionären getroffen und einen Vortrag gehalten. Mein letztes Chart enthielt nur einen Satz: "Und jetzt bin ich einer von Euch."

Heißt das, ab Montag Abend legen Sie erstmal die Füße hoch?

Das entspricht nicht meinem Naturell. Natürlich habe ich Hobbys, wie die Musik, der ich mich mehr widmen will. Außerdem wandere und segele ich gerne und fahre demnächst mit dem Paddelboot von Basel nach Düsseldorf. Aber heute Abend trinke ich ein Bier mit meinen engsten Mitarbeitern und Weggefährten. Wir erwarten rund 220 Gäste.

Lange werden Sie ihre Freizeit nicht genießen können, wenn sie im Mai den Aufsichtsratsvorsitz der Telekom übernehmen. Warum tun Sie sich das noch an?

Es ist doch eine besondere Freude, eine Herausforderung zu haben.

Kritiker argumentieren, Sie hätten schon zu viele Posten, um sich hinreichend um den Ex-Monopolisten kümmern zu können.

Meine Sekretärin hat eine Aufstellung gemacht mit meinen Ämtern, Terminen und der Vorbereitungszeit, die ich jeweils benötige. Dabei kam heraus: Es ist machbar. Aber eines ist klar: Der Vorsitz im Aufsichtsrat ist eine ganz besondere Verantwortung. Die Telekom wird deshalb für mich künftig Priorität haben - gegebenenfalls werde ich dafür auf andere Posten verzichten.

Was hat den Ausschlag für die Telekom gegeben?

Bei allen Posten gilt: Es muss immer ein Bezug zu den handelnden Personen da sein und auch zur Branche. Ich habe schon einige Angebote abgelehnt, wo das nicht der Fall war.

Wie gut kennen Sie denn Telekom-Chef René Obermann?

Ich habe ihn gelegentlich getroffen und mich vor meiner Entscheidung auch kurz mit ihm über die Situation des Unternehmens unterhalten.

Und die Nähe zur Branche? Wie intensiv nutzen Sie Ihr Handy?

Handy? Ich habe mindestens 34. Ich sammele Handys. Mein erstes stammt aus dem Jahr 1991 aus Hongkong. Das waren damals noch richtig klobige Dinger mit einer festen Antenne dran. Seitdem habe ich alle aufgehoben, die ich bekam und Freunde gebeten, mir ihre zu überlassen, wenn Sie sie nicht mehr brauchten.

Haben Sie sich schon in ihre neue Aufgabe eingearbeitet?

Die Phase der intensiven Vorbereitung fängt morgen an. Ich suche mir Informationen in allen Formen zusammen: Berichte des Unternehmens, Zeitungsartikel und insbesondere Gespräche mit Menschen, von denen ich meine, dass sie das Unternehmen kennen.

Was ist Ihre Stärke als Aufsichtsrat?

Strategische Durchdringung und Analyse. Der Aufsichtsrat muss darauf achten, dass das Unternehmen zukunftsfähig ist. Eine ganz wichtige Rolle für den Unternehmenserfolg spielt die soziale Dimension: Ein Unternehmen ist nur dann erfolgreich, wenn die Mitarbeiter mit Freude bei der Sache sind.

Ihr Vorgänger bei der Telekom, Klaus Zumwinkel, musste wegen Steuerhinterziehung vorzeitig seinen Hut nehmen. Bemerken Sie in letzter Zeit einen Werteverfall in den Top-Etagen der Konzerne?

Überhaupt nicht. Jeder will den anderen im Moment an Betroffenheit übertreffen. Ich plädiere dafür, in der ganzen Debatte Augenmaß zu bewahren und nicht so viel Energie darauf zu verwenden, sich über die Fehler der anderen zu mokieren.

Dieses Phänomen gibt es ja nicht nur bei Managern, sondern auch in der Politik. Wie zufrieden sind Sie mit der Großen Koalition?

Mir wäre eine Regierung ohne Koalition lieber, weil sich dann mehr bewegen würde. Was wir aber ganz grundsätzlich in Deutschland bräuchten, ist eine klarere Anerkennung der Marktwirtschaft. Jedes System hat Schwächen, solange Menschen involviert sind. Aber daraus sollte man keine Grundsatzdebatte ableiten.

Was schlagen Sie vor?

Wir bräuchten wieder eine Kultur der politischen Diskussion, die schon in der Schule anfängt. Heute macht sich doch kaum ein Jugendlicher mehr Gedanken darüber. Ich habe in der Schule noch intensiv über Wirtschaftssysteme diskutiert und bin 1968 auf die Straße gegangen, um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren.

Wie viele Deals haben Sie in Ihrer Zeit als Henkel-Chef unter dem Strich abgewickelt?

Ich denke, das waren Hundert.

Sind Übernahmen wie jüngst im Fall von National Starch, dem Klebstoffgeschäft von Akzo Nobel, für Sie am Ende nur noch Routine gewesen?

Auf keinen Fall. Jede Akquisition ist anders. Mehr oder weniger durch Zufall hatte ich mein ganzes Berufsleben lang mit Transaktionen zu tun - das war schon in meiner Zeit vor Henkel als Wirtschaftsprüfer bei KPMG so. Eines ist allerdings gleich: Kurz bevor man unterschreibt, fallen einem immer noch Sachen ein, die nicht klar geregelt sind. Das ist jedes Mal so. Was die Vertragsparteien wollen, muss ja in Vertrags-Deutsch oder -Englisch umgesetzt werden. Da sitzt dann eine Vielzahl von Juristen dran. In deren Büros stecken sie manchmal bis zu den Knien in Unterlagen...

...und sind Sie trotzdem schon einmal auf die Nase gefallen?

Wir neigen oft dazu, zu glauben, wir hätten einen Konsens, obwohl oft genug ein Dissens versteckt vorliegt. Vor allem in China mussten wir die ersten zwei Jahre in unseren Joint Ventures das ausbügeln, was nicht konkret angesprochen war. Das waren häufig wichtige Dinge, weil die Chinesen angesichts der rasanten Entwicklung begierig waren, sofort loszulegen.

Offensichtlich nehmen die Fallstricke zu, in denen sich ein Manager verheddern kann.

Sicherlich. Aber das ist mehr eine kulturelle Frage. Die Deutschen etwa wollen das Prinzipielle regeln, die Amerikaner die Details. Deshalb sind im Laufe der Jahre die Verträge immer dicker geworden.

Was macht das Familienunternehmen Henkel mit einem Umsatz von zuletzt gut 13 Milliarden Euro und weltweit mehr als 53 000 Mitarbeitern bei einem Firmenkauf denn anders als andere Konzerne?

Eben das! Unsere besondere Unternehmenskultur. So haben wir vier Kategorien, nach denen wir Deals bewerten: Erst einmal müssen Strategie, Finanzierung und Preis eines Objekts stimmen.

Das ist doch bei Procter&Gamble genau so.

Aber bei Henkel muss noch die Chemie stimmen. Wir machen eine Cultural Due Dilligence: Passt die Einstellung von Managern und Mitarbeitern zu uns? Auf den Punkt gebracht: Wie ticken die Leute, wie marktorientiert, diszipliniert und global sind sie, wie sehen die Entlohnungssysteme aus? Wir erwerben ja nicht, um zu erwerben, sondern um etwas davon zu haben.

Kreditklemme, Heuschrecken, Managerschelte - sind Sie froh, den Vorstandsjob heute an den Nagel hängen zu können?

Nein. Vielleicht sind die Schwierigkeiten heute größer als früher. In jedem Fall ist die Welt komplizierter geworden. Als die Geschäfte lokaler betrieben wurden, war es einfacher. Aber die Veränderungen machen Spaß! Spannende Zeiten sind immer interessante Zeiten!

Fällt es Ihnen schwer, loszulassen?

Ehrlich gesagt: Ja. Es fällt mir schwer, aufzuhören. Als Rheinländer sage ich es so: Mir wird viel fehlen, aber ich vermisse nichts (lacht). Ernsthaft: Es ist nicht leicht, von hundert auf Null zu bremsen, wenn man sich so lange sieben Tage die Woche um etwas gekümmert hat. Ich bin mit Henkel so fest verbunden, dass es mir schon etwas schwer fällt, in die neue Situation zu kommen.

Muss Ihr Nachfolger gute Ratschläge befürchten?

Mir wird sicher laufend etwas zu Henkel einfallen - aber ich werde schön den Mund halten. Wenn mich die Hauptversammlung wählt, werde ich meine Rolle im Gesellschafterausschuss wahrnehmen. Das ist der Platz, wo ich für Henkel tätig sein werde.

Ihrem Nachfolger Kasper Rorsted haben Sie es abgenommen, den Abbau von weltweit 3 000 Jobs zu verkünden. Ein Einstiegsgeschenk?

Sachen müssen gemacht werden, wenn sie gemacht werden müssen, unabhängig vom jeweiligen Amtsinhaber.

Wie wichtig ist Ihnen, was die Mitarbeiter denken, wenn Sie heute den Hut nehmen?

Es ist immer wichtig, was die Mitarbeiter denken, aber nicht aus persönlichem Interesse sondern aus professioneller Sicht. Ein Unternehmen funktioniert nur, wenn die Mitarbeiter sich morgens freuen, zu Arbeit zu gehen.

Vor zwei Jahren haben Sie eine Innovationsoffensive gestartet, weil Sie unzufrieden mit dem waren, was an Neuerungen kam. Wie sieht es heute damit aus?

Absolut zufrieden bin ich wahrscheinlich nie, der Druck wird ja immer größer. Die Initiative ist ein Erfolg. Aktuell sind fast ein Drittel unserer Produkte nicht älter als drei Jahre - das ist ein ordentlicher Fortschritt. Die Messzahl allein zählt aber nicht, die Innovationen müssen auch beim Kunden ankommen. Und da sind wir ebenfalls besser geworden.

Was haben Sie dazu beigetragen?

Jeder Henkelaner muss sich dauernd fragen: Was will unser Kunde haben? Ich bin dreimal im Jahr zu Leuten nach Hause gegangen und habe mit denen gespült, gewaschen und das Bad gereinigt. Das waren oft Familien mit vielen Kindern oder Alleinerziehende. Das sollte allen zeigen, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Menschen zu verstehen.

Wenn Ihnen Kundennähe so wichtig ist: Fahren Sie als einziger externer Porsche-Aufsichtsrat auch einen Sportwagen aus Zuffenhausen?

Natürlich. Ich muss die Produkte kennen - und das geht nur, wenn man sie auch nutzt. Ich fahre privat einen Porsche 911 - bisher leider meist nur zum Brötchenholen.

Mittlerweile bringt Henkels Klebstoffsparte bereits mehr als 40 Prozent von Umsatz und Profit ein. Wo liegt das Ziel?

Das Ziel ist es, Marktführer im Kleben zu werden. Perfekt wäre es, wenn das Wort kleben ganz durch "henkeln" ersetzt werden würde. Dieses Geschäft ist global, weil wir da sein müssen, wo unsere industriellen Kunden sind. Wenn VW Teile seiner Produktion nach Asien verlagert, müssen wir vor Ort liefern können. Das ist wie bei Hase und Igel: Schau mal, ich bin schon da! Wo wir technologisch Lücken haben, kaufen wir dazu.

Sie sind einer der wenigen Manager, die nicht vor die Tür gesetzt werden, sondern ganz gewöhnlich nach Ablauf ihrer Amtszeit ausscheiden. Woran liegt das?

Ich habe viel Glück gehabt im Leben. Deshalb engagiere ich mich auch ehrenamtlich. Damit möchte ich etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Aber es ist auch Teil unserer Unternehmenskultur, dass wir die Bodenhaftung nicht verlieren. Wenn jemand aus der Geschäftsführung Gefahr läuft, abzuheben, dann erinnern ihn die anderen gleich daran, dass er seine Pflicht zu tun hat. Diese Kontrolle ist in einem Familienunternehmen wie Henkel natürlich etwas einfacher durchzusetzen als in anderen Dax-Konzernen.

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