Investmentbanker Auf der Jagd nach dem nächsten Bonus

Viele Investmentbanker sind arbeitslos oder arbeiten als Koch oder Lehrer. Die verbliebenen Boni-Banker steigen bereits wieder in neue, riskante Geschäfte ein. Geht der Wahnsinn schon wieder los? Eine Spurensuche.

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Die Ex-Citigroup-Bankerin Wiltrud Heiss verlor 2008 ihren Job und gründete mit drei weiteren Partnern die Private-Equity-Gesellschaft Prolimity Quelle: Oliver Rüther für WirtschaftsWoche

Um Mark Pohlmann ist es in den vergangenen Monaten leerer geworden. Drei Kündigungswellen hat der Chef des deutschen Investmentbankings der Schweizer UBS  mitgemacht, mehr als 8.000 Stellen hat die Bank abgebaut und auch das Frankfurter Büro nicht verschont. Die von Verlusten geschüttelte Bank spart an allen Enden. Pohlmann, der zwischen London und Frankfurt pendelt, fliegt jetzt öfter Economy. Und muss sich für seinen Job rechtfertigen: Als Investmentbanker steht er im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik.

„Die Aufregung ist verständlich“, sagt Pohlmann, auch wenn in Wahrheit die Zusammenhänge komplexer seien, alle von den billigen Krediten profitiert hätten und die heiß diskutierten Boni oft in Aktien ausgezahlt würden, sodass ihr Wert deutlich gefallen sei. Aber Pohlmann zeigt sich auch einsichtig, für ihn hat die Branche aus ihren Fehlern gelernt: „Die Banken werden sich wieder auf ihre ursprünglichen Kompetenzen besinnen.“

Soll heißen: Investmentbanken sehen sich wieder stärker als Dienstleister für ihre Kunden und nicht als Zocker mit eigenem Geld. Die kommenden Jahre würden deutlich magerer: „Nun zeigt sich, wer den Job ausschließlich für Geld gemacht hat und wer aus Interesse an der eigentlichen Tätigkeit“, sagt der UBS-Mann. „Die Zeiten der Opulenz sind vorbei.“

Investmentbanker haben ihre Zukunft verzockt

Wirklich? Bis vor Kurzem schien es in der Tat so, als hätten die Investmentbanken mit abenteuerlich konstruierten Wertpapieren nicht nur Hunderte Milliarden Dollar und Euro, sondern auch ihre Zukunft verzockt.

Einst renommierte Adressen wie Lehman Brothers, Merrill Lynch und Bear Stearns kollabierten oder wurden in hektischen Notoperationen an Wettbewerber verramscht.

Der bisherige Schaden im Finanzsystem liegt bei mehr als einer Billion Euro. Viele einstige Großverdiener haben ihren Job verloren. Allein die Citigroup hat seit Beginn der Krise 75.000 Stellen abgebaut, die Bank of America 42.500, Morgan Stanley knapp 9.000. Rund zehn Prozent der Stellen dürften auch in Frankfurt weggefallen sein, schätzen Experten.

Doch inzwischen hat sich der Wind ausgerechnet am Ursprungspunkt der Krise gedreht. Im ersten Quartal 2009 verdiente die US-Investmentbank Goldman Sachs umgerechnet 1,3 Milliarden Euro, die Deutsche Bank – bei der die Investmentbanker über Jahre den Großteil des Gewinns heranschafften – 1,2 Milliarden Euro. Dafür haben die Institute auch den Eigenhandel mit Wertpapieren wieder hochgefahren und das Risiko erhöht.

Der sogenannte Value-at-Risk — also die Summe, die eine Bank an einem Tag im Handel maximal verlieren kann —  kletterte bei Goldman Sachs um 22 Prozent auf umgerechnet 178 Millionen Euro und bei der Deutschen Bank um 15 Prozent auf 141 Millionen Euro. Mit dem Risiko steigt auch der Verdienst der Finanzjongleure: 4,7 Milliarden Dollar Vergütung weist der Bericht von Goldman Sachs für das erste Quartal aus, das entspricht etwa 170.000 Dollar pro Mitarbeiter, Sekretärinnen und Assistenten eingeschlossen.

Spekulation auf Kosten der Steuerzahler

Haben die Banken nichts gelernt? Füttert der Steuerzahler sie auf der einen Seite mit Milliarden, während die Spekulation auf der anderen Seite munter weitergeht? Bleibt die Allgemeinheit auf den Verlusten sitzen, während die Gewinne schon wieder an eine kleine Elite ausgeschüttet werden?

Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass es so kommen könnte – wenn die internationale Staatengemeinschaft es nicht schafft, die Rückkehr der ungehemmten Gier mit wirkungsvollen Regeln zu bremsen, und die Banken ihre Exzesse vergangener Jahre nicht selbst kritisch hinterfragen.

Traditionell beraten Investmentbanken Unternehmen bei Übernahmen und Börsengängen, beschaffen ihnen Geld durch die Platzierung von Anleihen, organisieren Finanzierungen und handeln für sie mit Aktien, Devisen und Derivaten. „Wir werden auch künftig weiter Risiko nehmen, um für unsere Kunden Probleme zu lösen“, sagt Christian Zorn, Co-Chef des Investment Banking bei Morgan Stanley in Frankfurt. Als Verbindung der Unternehmen zum Kapitalmarkt haben Investmentbanken in der Volkswirtschaft eine wichtige Funktion.

In den vergangenen Jahren haben die meisten zusätzlich den Handel auf eigene Rechnung extrem ausgebaut, der die Superrenditen erst möglich gemacht hat. Die jüngsten Milliardenverluste stammen vor allem aus der Abwertung extrem komplizierter Wertpapiere, in denen die Banken auch Kredite von wenig zahlungskräftigen Schuldnern gebündelt hatten. Für sie ist der Markt völlig zusammengebrochen.

Lesen Sie auf Seite zwei weiter, wie die Branche einen erfolgreichen Neustart wagt.

Ehemaliger Londoner Staranalyst Geraint Anderson: die Banken haben nicht aus der Krise gelernt Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

Auch wenn die Branche derzeit noch damit beschäftigt ist, die Milliardenabschreibungen zu verkraften, arbeitet sie fleißig am Neustart. Viel spricht dafür, dass der Motor bald wieder angeworfen wird. Kredite sind billig wie nie, die Leitzinsen haben historische Tiefstände erreicht. Analysten empfehlen die Aktien von Investmentbanken schon wieder zum Kauf.

Der Tenor: Von der Krise der Realwirtschaft seien sie weniger betroffen als traditionelle Banken, denen jetzt immer mehr Unternehmenskredite platzen. Investoren beklagen sich bereits über Banken, die ihr Risiko zu sehr reduziert und deshalb die – fast unverändert hohen – Gewinnerwartungen verfehlt haben. Denn nach wie vor gilt: Geschäfte mit hohen Risiken werfen die höchsten Gewinne ab.

Zwar hat der Deutschland-Chef von Goldman Sachs, Alexander Dibelius, seine Branche jüngst zu „kollektiver Demut“ aufgerufen. Doch selbst im eigenen Haus gab es vor Kurzem noch andere Töne. „Wir werden nicht aufhören, das zu tun, was uns zu einem führenden Institut gemacht hat“, sagte Goldman-Weltchef Lloyd Blankfein trotzig schon im vergangenen November.

Die noch halbwegs intakten Häuser nutzen die Chancen, die sich in der Krise bieten. Sie werben Banker von der Konkurrenz ab, locken wieder mit hohen Boni. Sie entdecken Wege, aus der Not der Branche Profit zu schlagen, indem sie kriselnden Konkurrenten mit hohem Abschlag problematische Kredite abkaufen.

Investmentbanken sind das kalte Herz des Turbokapitalismus

Die jüngsten Profite stammen zum Großteil aus dem Handel und der Emission von Anleihen. Darunter sind auch Staatsanleihen, die sie im Auftrag der US-Regierung auf den Markt gebracht haben und mit denen der Staat die Konjunkturpakete auffüllt, die durch den Crash des Finanzsystems erst notwendig wurden.

So begann auch der vorige Boom. Glaubt man Aussteigern und Buchautoren wie dem ehemaligen Londoner Staranalysten Geraint Anderson („Cityboy“) oder der deutschen Börsenhändlerin Anne T. („Die Gier war grenzenlos“), sind Investmentbanken das kalte Herz des Turbokapitalismus. Die Insiderberichte schildern eine Welt, die ebenso zynisch wie infantil ist, so rücksichtslos wie wettbewerbswild. Ihre Protagonisten halten sich für Helden und sind doch Sklaven, gefangen in einer 80-, 90-, 100-Stunden-Woche, blind für die Außenwelt, immer auf der Jagd nach dem nächsten Bonus.

So war es angeblich in den goldenen Jahren von 2002 bis 2007. Das von den großen Banken für das Investmentbanking eingesetzte Kapital wuchs in dieser Zeit jährlich im Durchschnitt um 16 Prozent. Zugleich kletterte die Eigenkapitalrendite von fünf Prozent 2002 auf 27 Prozent 2007. 2006 schütteten allein die großen Wall-Street-Banken Boni von umgerechnet rund 25 Milliarden Euro aus, jeder Beschäftigte erhielt durchschnittlich eine Prämie von umgerechnet 140.000 Euro.

Spirale der Gier

Doch der Boom stand auf wackeligen Füßen. „Die Superprofite konnten nur durch hohe Risiken im Eigenhandel, bei Verbriefungen und exotischen Produkten erreicht werden“, resümiert eine Studie der Investmentbank JP Morgan, die es relativ gut durch die Krise geschafft hat. Die wundersamen Ertragsbringer funktionierten nur, solange die Banken günstig an Fremdkapital kamen. Mit dem konnten sie ihr eigenes Handelsvolumen aufblähen und damit auch die Rendite auf das von ihnen eingesetzte Kapital hoch treiben.

Das Spiel nahm gigantische Ausmaße an. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Banken weltweit 1,2 Billionen Euro zusätzliches Kapital bräuchten, um die Verschuldung auf das Niveau der Neunzigerjahre zu reduzieren.

„Es war eine Spirale der Gier“, sagt Christoph Plummerer*, der in der Kreditabteilung einer Investmentbank in London arbeitet. Sie fing an bei den Entwicklern der Produkte, die auf einen hohen Bonus aus waren. Sie ging weiter bei den Ratingagenturen, die umso mehr verdienten, je mehr Papiere sie mit einer möglichst hohen Bonitätsnote ausstatteten. Sie erreichte dann die Händler, die ihren Kunden die vermeintlich sicheren Produkte unterschoben. Dabei hatten sie Helfer im eigenen Haus, die eigentlich auf sie aufpassen sollten. Doch „wenn du in der Produktkontrolle arbeitest“, sagt Plummerer, „willst du irgendwann selbst Händler werden. Da legst du dich nicht mit deinem künftigen Boss an“. Oft verstanden ohnehin nur noch die Entwickler selbst ihre Produkte.

Von Lehrer bis Koch: Auf der nächsten Seite lesen Sie, welche Alternativen Branchenaussteiger wählen.

Der einst hochbezahlte Spezialist Kevin Watson bereut seinen Abschied bei der Investmentbank Bear Stearns nicht Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

Am Ende der Gier-Spirale standen die, die sich nun gerne als Opfer darstellen: die Kunden. Immer vorne mit dabei: die Abgesandten diverser deutscher Landesbanken. Auch Privatbanken seien dankbare Abnehmer gewesen, die riskanten Papiere wären anschließend im Depot ihrer Kunden gelandet. „Die wollten bei den Großen mitspielen“, erinnert sich Plummerer.

„Sie haben vier oder fünf Investmentbanken gegeneinander antreten lassen und sich anschließend für das renditestärkste Produkt entschieden.“ Wobei sie selbst einfachste Grundregeln ignorierten. „Dass hohe Rendite auch hohes Risiko bedeutet, schien ihnen nicht klar zu sein.“ Die Blindheit wurde ausgenutzt. „Da hieß es oft: ,Mach‘ es noch komplizierter, dann nehmen es die Landesbanken‘“, erinnert sich ein anderer Banker.

Ehemalige Banker probieren Neues

Im Sommer 2007 ist die Spirale zum Stillstand gekommen. Viele Banker haben die Branche seitdem verlassen, einige aus Überzeugung, die meisten notgedrungen. Manche trauern den goldenen Zeiten nach, andere freuen sich über den radikalen Bruch mit der Vergangenheit.

So berichten die elitären Londoner Profi-Kochschulen Le Cordon Bleu und Leith’s School of Food and Wine von steigendem Interesse an ihren Kursen. Kirsten Hunter, die 29 Jahre lang in verschiedenen Funktionen bei der britischen Großbank HSBC war, will ihren Lebensunterhalt künftig bei einer Chartergesellschaft für Yachten verdienen.

Die Ex-Citigroup-Bankerin Wiltrud Heiss gründete mit drei weiteren Partnern im vergangenen Herbst die Private-Equity-Gesellschaft Prolimity. Sie konzentriert sich auf Beteiligungen sowie die Sanierung und Restrukturierung mittelständischer Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Prolimity hat 20 Investments geprüft, nun wird die erste Beteiligung vorbereitet.

Prolimity bietet auch normales Beratungsgeschäft sowie die Vermittlung von Interimsmanagern an, die vorübergehend bei Unternehmen operative Verantwortung übernehmen. „Damit verdienen wir schon Geld“, sagt Heiss. Fünf Jahre hatte sie bei der Citigroup gearbeitet, zuletzt in London, vorher neun Jahre bei der Deutschen Bank. Ihren Job verlor sie im Juni 2008.

„Die alten Zeiten waren von der Gier nach hohen Renditen und von Risikoblindheit gekennzeichnet – das wird sich in Zukunft so nicht mehr wiederholen“, sagt Heiss. Wenig Verständnis hat sie für arbeitslose Banker mit Beamtenmentalität, die „nur darauf hoffen, dass sie ins Büro zurückkönnen. Die haben doch alle Geld und können etwas Neues ausprobieren“.

In Zukunft wird weniger Geld zu verdienen sein

Das tun in England einige Ex-Investmentbanker mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Hintergrund: Sie werden Lehrer. Die britische Regierung bietet dafür Umschulungen an, die nur sechs Monate dauern. Der 45-jährige Kevin Watson – einst hochbezahlter Spezialist bei Bear Stearns – ist nun Physiklehrer an einem Gymnasium in Rickmansworth in der Grafschaft Hertfordshire und sieht sich als Beweis dafür, dass es ein Leben nach der City gibt: „Das gute Gehalt war super, aber ich habe meine Kinder nie gesehen.“

Marc Smith (Name geändert) hat vor zwei Monaten seine gut bezahlte Position als Abteilungsleiter bei einer Investmentbank in London gekündigt. In einer E-Mail an Freunde und Bekannte schrieb er: „Ich mache nicht gerne Dinge, für die ich keine Leidenschaft empfinde.“ Das Gespräch mit seinem Chef sei kurz gewesen, erzählt er. Er sei nicht mehr motiviert und würde gerne das Abfindungsangebot annehmen, das die Bank ihren Führungskräften unterbreitet habe. „Ich konnte ihm ja schlecht sagen: Ihr seid alle auf dem Holzweg – die Welt hat sich verändert, und Investmentbanking wird nie mehr das sein, was es mal war.“

Smith hat in acht Jahren als Investmentbanker die verschiedensten Typen kennengelernt: intelligente, verantwortungsvolle Finanzexperten, aber auch solche, mit denen er nichts mehr zu tun haben will. „Das sind Rennpferde, die nicht schauen, was um sie herum passiert, und die an nichts anderes als Geld denken.“

Womit er künftig sein Geld verdient, weiß er noch nicht. „Ich hatte schon am Tag nach meiner Kündigung mehrere Angebote von Kunden“ – auch anderen Banken. Zu einer großen Investmentbank werde er wohl nicht mehr gehen. „ Wir wissen nicht, wo die Regulierung hingeht und ob man hinterher überhaupt noch innovative Produkte entwickeln darf, die ja auch sehr gut sein können.“ Und, da ist er ehrlich: „Es wird viel weniger Geld zu verdienen geben.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter, welche Investmentbanken von neuen Modellen in Zukunft profitieren werden.

Frank Schönherr von der Mediabanca. Die Bank profitierte von der Schwächeeinger großer Konkurrenten Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

Bei der Vergütung wollen einige Banken aus der Vergangenheit lernen. Die vor fünf Jahren gegründete Londoner Investmentboutique Evolution Securities etwa heuerte gerade 45 Ex-Dresdner-Kleinwort-Banker an. Sie will im Juni mit dem Handel kontinentaleuropäischer Aktien beginnen. Evolution-Chef Andrew Umbers: „Wir operieren nach dem Partnerschaftsprinzip, wie es früher üblich war.“ Kein Gehalt liegt über 100 000 Pfund, Boni gibt es zumindest erst einmal keine.

Die Investmentbanken kommen kaum darum herum, ihre Entlohnungsmodelle zu überarbeiten. „Sie müssen ihre Kosten radikal drücken“, heißt es in einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group. Ihnen stehen demnach Jahre schwächerer Profitabilität bevor, einstellige Eigenkapitalrenditen seien wahrscheinlich, Ersatz für die profitabelsten Geschäfte sei nicht in Sicht. Das Massengeschäft mit Standardprodukten wie Devisen oder Anleihen werfe auf Dauer wenig ab. Stattdessen müssten die Institute ihre Kundenbeziehungen stärken. Das traditionelle Modell der „ Beratung von Unternehmen bei allen Kapitalmarktfragen“ gilt wieder als Zukunftskonzept.

Als Profiteure sehen sich kleinere Investmentbanken, die durch ihre Konzentration auf das klassische Beratungsgeschäft Marktanteile auf Kosten der geschwächten Konkurrenz gewinnen wollen. Zu ihnen zählen Häuser wie Rothschild, die durch die traditionelle Stärke bei Restrukturierungen ohnehin gut gewappnet für die Krise sind. „Wir kriegen jetzt Bewerbungen von Leuten, die früher ausschließlich an großen Investmentbanken interessiert waren“, sagt auch Sascha Pfeiffer, Deutschland-Chef der Investmentbank Close Brothers, die ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgt.

Epochaler Umbruch oder veraltete Modelle?

Die italienische Investmentbank Mediobanca hat im Sommer 2007, kurz vor Ausbruch der Krise, eine Filiale in Frankfurt eröffnet. „Das war ein guter Zeitpunkt“, sagt Deutschland-Chef Frank Schönherr. Im Gegensatz zu vielen angeschlagenen Konkurrenten kann die bisher relativ solide durch die Krise gekommene Bank ihren Kunden noch Kapital und damit eine Finanzierung bieten. Inzwischen beschäftigt sie 18 Mitarbeiter und hat an großen Transaktionen wie der Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank mitgewirkt. Doch die Spuren der Krise sind auch hier sichtbar. „Viele Unternehmen restrukturieren sich und wollen Beteiligungen verkaufen, aber es ist schwer, Käufer zu finden“, sagt Schönherr. Von den geplanten Transaktionen kämen deshalb nur wenige zustande. Auch er sieht die Branche vor dürren Jahren. „Mit der übertriebenen Fremdfinanzierung des Geschäfts und der Intransparenz ist es dauerhaft vorbei“, sagt er.

Doch ist der Umbruch wirklich so epochal? Bei den Anreizsystemen ist es kaum erkennbar. Als einzige Großbank hat bisher die UBS ihr Bonusmodell komplett überarbeitet. Gleichzeitig stiegen dort und auch bei Merrill Lynch die Festgehälter: Wenn die Banken wenig zahlen, so das Argument, verschwinden die besten Leute zur Konkurrenz. Close-Brothers-Mann Pfeiffer hält das oft für ein Scheinargument. „Wenn ich einem durchschnittlich begabten Banker keinen Haltebonus zahle, geht der dann wirklich morgen zu einer Top-Investmentbank?“ Das Modell müsse komplett überarbeitet werden. „Die Boni sollten erst nach fünf Jahren ausgezahlt werden, um keine kurzfristigen Anreize zu schaffen“, fordert Pfeiffer.

Weltweit arbeiten Regierungen daran, den Banken stärkere Fesseln anzulegen. Elf Jahre hatte die Labour-Regierung dem Finanzplatz London mit ihrer laxen Regulierung Wettbewerbsvorteile verschafft. Nach dem Willen der Finanzaufsicht FSA müssen Banken ihre Geschäfte künftig mit mehr Eigenkapital unterlegen, auch die exzessive Boni-Kultur soll beschnitten werden. FSA-Chef Hector Sants will beweisen, dass die Behörde nicht länger ein Schoßhündchen der City ist. Ähnlichen Ehrgeiz zeigen die Behörden auch in den USA und Europa.

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Doch der Einfluss der Politik ist noch begrenzt. Selbst in den USA, dem Ursprungsland der Krise, sind die ersten Institute im Begriff, sich der staatlichen Fesseln schon wieder zu entledigen. Goldman Sachs und Morgan Stanley etwa wollen jene Milliarden an Staatshilfe zurückzahlen, mit denen die US-Regierung sie 2008 zwangsweise beglückt hat. Mit dieser hat sich der Staat ein Mitspracherecht gesichert, etwa bei der Höhe von Dividendenzahlungen und Boni und sogar bei strategischen Entscheidungen. Neben der wiedergewonnenen unternehmerischen Freiheit hätte die Rückzahlung der Staatsgelder einen angenehmen Begleiteffekt: Wer vom staatlichen Einfluss frei ist, kann mehr zahlen und damit Top-Banker von der geschwächten Konkurrenz abwerben.

Zwar ist der Arbeitsmarkt in einigen Bereichen fast tot: „Viele Investmentbanker stehen dauerhaft auf der Straße“, sagt Tim Zühlke, Partner der auf Finanzdienstleister spezialisierten Personalberatung Indigo Partners. „Gefragt sind aber Top-Leute, die derzeit oft günstig zu haben sind.“ Darunter sind etliche, die das übergroße Rad einst kräftig mitgedreht haben. Stefan Jentzsch etwa, der als Vorstand drei Jahre erfolglos das Investmentbanking der Dresdner Bank leitete, heuert zum ersten Juli beim Konkurrenten Perella Weinberg Partners an.

„Wir werden uns bald was Neues einfallen lassen“

Tausende Banker der Pleitebank Lehman sind im Zuge der Teilübernahme durch den Konkurrenten Nomura  auf die Seite der Japaner gewechselt und setzen dort ihre Geschäfte unverdrossen fort. Ihre Boni sind oft deutlich höher als die der Nomura-Kollegen, weil zum Teil noch die alten Lehman-Verträge gelten. Die Deutsche Bank jagte der von der Bank of America übernommenen Merrill Lynch rund ein Dutzend Top-Banker ab und fischte sich auch einige Ex-Banker der UBS.

Barclays Capital hält allein für den Auf- und Ausbau des europäischen Aktiengeschäftes einen dreistelligen Millionenbetrag in Pfund bereit. Mehr als 100 Leute sollen eingestellt werden – davon etwa ein Dutzend in Deutschland. „Wir legen jetzt den Grundstein für die Zukunft“, sagt Deutschland-Chef Omar Selim.

Die britische Investmentbank, deren Mutter Barclays bisher mithilfe von Investoren aus dem Nahen Osten auf staatliche Mittel verzichten konnte, will die weltweite Nummer eins unter den Investmentbanken werden. „Früher waren die Felle klar verteilt. Aber das gilt nicht mehr. Wir sehen jetzt die Gelegenheit, das Übernahmegeschäft sowie Aktienhandel und -research auszubauen und dadurch unsere Produktpalette zu ergänzen“, sagt Selim.

Nach dem Lehman-Kollaps übernahm die Bank deren Aktivitäten in den USA und wurde damit über Nacht zu einem der führenden Anbieter. „Ein Drittel unserer Erträge im ersten Quartal stammt aus den übernommenen Lehman-Einheiten“, sagt Selim.

Auch andere warten nur darauf, dass sie die Welle wieder reiten können. Wie Joe Santiago (Name geändert), der noch einen Job bei JP Morgan Chase in New York hat. Er regt sich auf, weil sein letzter Bonus viel kleiner ausfiel als gewohnt. Das Investmentbanking werde nie wieder so boomen wie in den vergangenen Jahren?

„Das ist Quatsch“, sagt er. „Wir werden uns bald was Neues einfallen lassen“, sagt Santiago. Das sei immer so gewesen und werde auch jetzt wieder so sein. Den Aufsichtsbehörden fehle schlicht die Kompetenz, die Geschäfte der Banken wirksam zu überwachen. Das sei schon deshalb so, weil sie ihren Experten nur einen Bruchteil der Gehälter zahlen könnten, die diese bei Banken verdienen würden.

So denken trotz der – noch – trüben Lage viele. Sie halten still, weil es gerade opportun ist. Sie bekennen sich zu einer besseren Regulierung, die aber bitte erst dann kommen soll, wenn die Krise und damit der öffentliche Druck vorbei ist. Sie nutzen jede Chance, sich für die Zukunft zu rüsten. Und warten darauf, dass diese Krise irgendwann vergessen ist. Dann werden die Spieler und die Regeln zwar anders sein, die Einsätze aber kaum weniger groß. „Geld ist doch schon jetzt wieder billig zu haben“, sagt ein Aufsichtsrat einer großen Investmentbank. „Für mich ist das gar keine Frage: Die Party geht schon bald wieder los.“

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