10 Jahre iPhone „Das Smartphone ist wie ein Glücksspielautomat“

Vor zehn Jahren präsentierte Steve Jobs das iPhone. Seitdem hat das Smartphone die Welt erobert. Wie das Menschen verändert hat und warum wir nicht zu schwarz malen sollten, erklärt die Psychologin Sarah Diefenbach.

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Ein Display bestimmt die Welt. Quelle: Montage

WirtschaftsWoche: Frau Diefenbach, heute ist es zehn Jahre her, dass Steve Jobs das iPhone vorgestellt hat. Apple hat damals das Smartphone nicht erfunden, aber das Produkt auf den Markt gebracht, das den Weg ebnete zum allgegenwärtigen Begleiter, der das Smartphone heute ist. Gibt es eine Technologie, die vergleichsweise schnell einen so großen Teil der Menschheit erreichte?
Sarah Diefenbach: Mir fällt keine ein. Beim Radio oder beim Fernsehen hat es ungleich länger gedauert, bis sie eine vergleichbare Zahl an Menschen erreicht und den Alltag so grundlegend verändert haben. Das Smartphone nimmt eine Sonderrolle ein.

Sarah-Diefenbach Quelle: Presse

Inwieweit hat es uns verändert?
Durch die ständige Präsenz im Alltag ist das Smartphone eine Linse geworden, durch die wir unsere Umwelt betrachten. Es definiert mit, was wir wahrnehmen, wie wir es wahrnehmen und wie wir mit unserer Umwelt interagieren. Es gibt für alles eine App: den Weg von A nach B finden, Sport treiben, kochen, meditieren. Das Smartphone ist immer dabei. Und dann natürlich zahlreiche Kommunikationskanäle. Wir haben ständig und viel mehr als früher Kontakt mit Menschen, die nicht direkt anwesend sind. Das kann dazu führen, dass wir unsere direkte Umgebung vernachlässigen. Durch den allgegenwärtigen Zugang zu sozialen Netzwerken und die Möglichkeit für Postings stellt man sich viel eher die Frage, ob sich der gerade erlebte Moment eignet, auf einem Foto festgehalten zu werden. Die technischen Möglichkeiten dafür gab es schon vor dem Smartphone, aber die ständige Präsenz dieser Technik, das Eindringen in jeden Winkel unseres Alltags kam mit ihm.

Wie wirkt sich das auf die Menschen aus?
Wir erleben eine Verlagerung vom privaten Wahrnehmen im Moment hin zu einer öffentlichen Dokumentation unserer Wahrnehmung und eine Ausrichtung auf die Anerkennung anderer, beispielsweise in Form von Likes auf Facebook oder Instagram. Dabei kommt die eigene Wahrnehmung und das bewusste Erleben bedeutsamer Momente oft zu kurz. Es geht nur noch um das Foto, eine Art Tunnelblick. Je schöner das Ereignis ist, umso wichtiger ist es das festzuhalten. Ist die Aufgabe Foto erfüllt, ist der Moment abgehakt.

Die Evolution des iPhones

Die US-Soziologin Sherry Turkle sagte in einem Interview, dass die Gewohnheit ständig in Gesellschaft das Smartphone auszupacken, schlimme Folgen habe: „In den zurückliegenden 20 Jahren ist die Empathiefähigkeit von Studenten um 40 Prozent gesunken. Ich bin überzeugt, dass wir in fünf bis sieben Jahren einen unglaublichen Anstieg bei Autismus beobachten werden.“ Halten Sie das für realistisch?
Ich weiß nicht, wie sie zu diesem Schluss kommt. Auch mit der angeführten Kausalität tue ich mich schwer. In Anbetracht all der Faktoren, die auf die Menschheit einwirken, ist es fragwürdig, das Smartphone als isolierte Ursache für Veränderungen der Menschheit zu betrachten. Es gibt einige Studien, die auf korrelativer Ebene analysieren, wie etwa das Smartphone-Nutzverhalten mit dem Stresserleben bei Jugendlichen zusammenhängt. Aber mit solchen globalen Aussagen zu Folgen der Technik sollten wir vorsichtig sein.

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„Muss ich wirklich jede freie Minute nutzen, um mich online zu beschäftigen?“
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Betrachtet man die Buchtitel zum Thema Smartphone, hat man allerdings das Gefühl, die Menschheit verkümmert sozial, kognitiv und emotional. Der Soziologe Harald Welzer hat im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel „Die smarte Diktatur“ geschrieben, in dem er unter anderem vor den Überwachungsmöglichkeiten warnt; der Psychologe Manfred Spitzer bemängelte 2012 in seinem Buch „Digitale Demenz“, dass kognitive Fähigkeiten wegen des Smartphones verkümmerten. Sie und Ihr Kollege Daniel Ulrich schrieben ein Buch namens „Digitale Depression“.
Nein, so pessimistisch muss man die Auswirkungen des Smartphones nicht sehen. Wir haben den Titel in Anlehnung an die „Digitale Demenz“ von Herrn Spitzer gewählt, der auf das Kognitive abzielt. Unser Fokus liegt auf dem Gefühlsleben. Der Titel klingt pessimistischer, als wir das meinten. Ich sehe viele Möglichkeiten, das Smartphone positiv und nützlich in den Alltag zu integrieren. Aber auch nach zehn Jahren haben viele Menschen ein Problem damit, im Umgang mit ihrem Smartphone das richtige Maß zu finden. Wir nehmen die Möglichkeiten, die Technik uns bietet dankbar an, ohne zu prüfen, ob uns das wirklich gut tut. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ständiges Abrufen von Mails und Chatten Menschen stresst. Wer das dosiert macht, geht deutlich entspannter durch den Alltag und ist aufnahmefähiger. Die Frage ist doch: Muss ich wirklich jede freie Minute nutzen, um mich online zu beschäftigen?

Was ist problematisch an einem solchen Verhalten?
Zum Problem wird es, wenn aus der Möglichkeit der ständigen Nutzung eine gefühlte Verpflichtung oder ungesunde Gewohnheit wird. Man fragt sich gar nicht mehr, will ich diesen Moment jetzt dem Smartphone schenken, sondern tut es einfach. Ohne Rücksicht auf Verluste. Zum Beispiel brauchen wir Menschen bestimmte Leerräume, um dem Hirn die Chance zu geben, neue Verknüpfungen zu erstellen, und auf neue kreative Gedanken zu kommen.

Die iPhone-Evolution
Das erste iPhoneFür das Jahr 2007 waren der große Touchscreen ganz ohne Tastatur und die Bedienung per Finger ein radikales Konzept, das die Smartphone-Revolution entscheidend anschob. Dabei verzichtete Apple bei der ersten Version sogar auf den schnellen UMTS-Datenfunk. Quelle: dapd
iPhone 3GEin iPhone 2 gab es nie - stattdessen kam im Sommer 2008 das iPhone 3G, was auf die Unterstützung des 3G-Standards UMTS hinwies. Das Aluminium-Gehäuse wurde durch eine Plastik-Schale ersetzt. Mit dem App Store öffnete Apple die Plattform für Programme verschiedener Entwickler. Quelle: AP
iPhone 3GSMit dem Modell des Jahres 2009 führte Apple sein „Tick-Tock“-Prinzip ein, bei dem die iPhones alle zwei Jahre radikal erneuert werden und es zwischendurch ein „S“-Modell im unveränderten Design, aber mit aufgerüstetem Innenleben gibt. Das 3GS bekam eine bessere Kamera und einen schnelleren Chip. Quelle: AP
iPhone 4Das letzte Modell, das Gründer Steve Jobs noch selbst vorstellte. Das kantige Design des iPhone 4 mit einer gläsernen Rückwand war 2010 aufsehenerregend, zugleich häuften sich zunächst Berichte über Empfangsprobleme mit der Antenne am Außenrand. Quelle: dpa
iPhone 4SApple ließ sich 15 Monate Zeit bis Oktober 2011 mit einer Aktualisierung. Zu den Neuerungen gehörte neben technischen Verbesserungen die Sprachassistentin Siri. Quelle: dpa
iPhone 5Während die Smartphones der Wettbewerber immer größer wurden, erweiterte Apple 2012 zunächst vorsichtig die Bildschirm-Diagonale von 3,5 auf 4 Zoll. Zugleich wurde das Gerät deutlich dünner gemacht und bekam wieder eine Aluminium-Hülle. Quelle: REUTERS
iPhone 5SDie wichtigste Neuerung im Herbst 2013 war der Fingerabdruck-Sensor zum Entsperren der Telefone. Zudem entwickelte Apple unter anderem die Kamera weiter. Quelle: AP

Wie kommt es, dass so viele Menschen ihr Smartphone reflexartig zücken, ohne eine Intention zu verfolgen?
Verantwortlich dafür sind vor allem die Social-Media-Anwendungen, die dank des Smartphones zum allgegenwärtigen Begleiter geworden sind. Sie sind vergleichbar mit einem Glücksspielautomaten: Ab und zu erlebt man Glücksmomente, daher rührt die hohe Attraktivität. Beim Spielautomaten haben Menschen deswegen das Bedürfnis immer wieder Geld reinzuschmeißen, unserem Smartphone schenken wir für die kleinen Belohnungen – sei es Anerkennung oder lesenswerte Artikel, die wir in den sozialen Netzwerken finden – immer wieder Aufmerksamkeit. Der große Gewinn ist aber die Ausnahme, meist werden wir enttäuscht oder bewerten das Gelesene als eher belanglos.

Aber ist das nicht eine Frage des individuellen Umgangs mit dem Smartphone? Es ist ja nur ein Gerät, das viele Möglichkeiten bietet, die der Nutzer sich sonst anders verschaffen würde. Wenn der Gesprächspartner langweilig ist, hat man früher seine Gedanken schweifen lassen.
Natürlich, das Smartphone ist nur ein Werkzeug, eine Art Katalysator. Den meisten Nutzern ist allerdings nicht klar, dass es eine Herausforderung ist, einen anständigen Umgang mit seinem Smartphone zu erlernen. Das Smartphone potenziert Verhalten, wie das von Ihnen beschriebene. Wir rutschen schnell in Routinen hinein, die wir so nicht beabsichtigen. Viele Menschen haben das Bedürfnis, sofort zu antworten, wenn sie eine Nachricht erhalten. Dass sie damit den Menschen, die ihnen gegenüber sitzen, vor den Kopf stoßen, fällt ihnen gar nicht auf und ist auch nicht beabsichtigt. Sie stecken lediglich in dem Dilemma, mehrere Kommunikationskanäle gleichzeitig bedienen zu wollen. Wir haben dazu im vergangenen Jahr eine Studie gemacht, in der wir Nutzer zu genau diesem Phänomen befragt haben.

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