3D-Druck HPs große Wette auf die Zukunft

Der Drucker-Hersteller HP tritt an, einen Billionenmarkt aufzumischen: die Industrieproduktion. Neue 3D-Drucker des Konzerns sollen die Fertigung weltweit revolutionieren und so die größte Branche der Welt umkrempeln.

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HP: Drucker-Hersteller setzt künftig auf 3D-Drucker Quelle: AP

San Francisco Das tonnenschwere Auto hängt an einem Kran. Den Kranhaken und die Tragseile des Wagens verbindet ein rundes Kettenglied aus Plastik, gefertigt in einem 3D-Drucker von HP. Unter dem Auto, beschreibt Dion Weisler, CEO des Computer-Konzerns HP die Szene, stand der Ingenieur, der das Werkstück gedruckt hatte. „Es war sein Auto und er stand darunter. Das nenne ich mal Zuversicht“, witzelte Weisler. Aber da wusste er auch, dass da etwas Großes passiert. Etwas, das das Leben von Millionen Arbeitnehmern verändern wird.

Der 3D-Druck, als Technik für die schnelle Fertigung von Prototypen seit 20 Jahren bekannt, steht vor dem Durchbruch in die Massenproduktion. Die Kosten sinken rasant, die Produktivität steigt und neue Geschäftsmodelle entstehen.

Noch ist der Markt stark fragmentiert und von kleinen Start-ups dominiert. Doch Industriegiganten wie GE, ein führender Anbieter im Metall-3D-Druck, und HP, die sich auf Kunststoff-3D-Druck konzentrieren, investieren Milliarden Dollar.

Diese Investitionen könnten die Zukunft von Volkswirtschaften und Arbeitnehmern weltweit verändern: „Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft Produktionskapazitäten mit einem Knopfdruck von einem Teil der Welt in einem anderen verschieben können“, malt John Dulchinos vom Fertigungsdienstleister Jabil aus St. Petersburg in Florida aus.

Jabil, zu dessen Kunden auch Apple gehört, stellt verschiedenste Produkte her – von Plastikflaschen für Duschgel über Leiterplatten bis zu Kameramodulen für selbstfahrende Autos. Damit lässt sich Geld verdienen: Jabils Quartalsumsatz erreichte zuletzt 4,5 Milliarden Dollar.

Dulchinos sitzt im Steuerungs- und Krisenzentrum von Jabil in San Jose. Über 20 Monitore auf einer Kontrollwand flimmern die Daten eines großen Industriekunden in Echtzeit. Alle Informationen der Lieferanten- und Produktionskette an jedem Standort.

Dazu kommen noch Inflationsraten, Wechselkurse, Wettervorhersagen, Benzin- und Ölpreise und vieles mehr für jedes Land mit einer Fertigungsstätte. Alles ist vernetzt. „Ich weiß jederzeit“, sagt Dulchinos und zeigt auf einen Bildschirm, „was ein spezielles Teil an jedem Produktionsstandort kostet.“

Heute, in der alten Welt von Spritzguss und Fräsen, verbieten hohe Umzugs- und Werkzeugkosten ein ständiges Verlagern der Produktion an den besten Standort. Werkshallen voll mit 3D-Druckern würden das Problem lösen. Bei einem großen Erdbeben in Asien vor einigen Jahren etwa habe es „Wochen“ gedauert, bis man überhaupt gewusst habe, welcher Kunde wie betroffen war. Heute könne Jabil „in Stunden“ eine Analyse liefern und die Produktion zur Not umlenken. Vielleicht bald per Knopfdruck auf 3D-Drucker in Afrika.

„Die Kunden wollen immer schneller in den Markt und gleichzeitig Kosten senken“, sagt Dulchinos. Neue HP-Drucker machten es jetzt „einfacher, dieses Ziel zu erreichen“. Die Welt stehe vor einer „Renaissance der lokalen Fertigungsindustrie“, prophezeit er.

In wenigen Jahren werde die Druckerproduktion selbst bei Stückzahlen von einer Million, gegenüber der traditionellen Fertigung mit Spritzguss, Stanzen, Drehen oder Fräsen wettbewerbsfähig sein. Heute sei der Kunststoff-Druck in einzelnen Fällen schon bei Größenordnungen von bis zu 50.000 Stück preisgünstiger.

Die Multi-Jet-Fusion-Drucker von HP, die Jabil gerade installiert, basieren auf der fast 30 Jahre alten Ink-Jet-Technik – eine der großen Erlössäulen des Herstellers HP.

Statt Tinte aus vielen Düsen gleichzeitig auf Papier zu bringen, wird nun auch Kunststoff in eine Wanne mit einem stabilisierenden und trennenden Pulverbett gedruckt, dann mit Hitze gehärtet. Die eigentlichen Werkstücke entstehen dabei Schicht für Schicht. Einer der Vorteile: Ist eine Lage von Werkstücken fertig, wird eine trennende Pulverschicht darübergelegt und direkt die nächste Lage angefangen. Bis zu 200 Teile in einem Durchgang sind mit einem Drucker möglich.


„Überwältigendes Kundeninteresse“

Ortsbesuch im Labor von HP in Palo Alto: Die Fronthaube des gut zwei Meter breiten und fast mannshohen Druckers öffnet sich. Eine Wanne mit fertigen Kunststoffteilen wird aus dem Gehäuse gezogen und in die separate Nachverarbeitungseinheit geschoben. Hier kühlen die gedruckten Werkstücke ab. Das Trennpulver wird mit einem großen Staubsauger herausgezogen und die Teile dann weiterverarbeitet, zum Beispiel lackiert. Während der Abkühlphase in der Nachbearbeitungseinheit entsteht im Drucker schon die nächste Produktcharge. In der Welt der Massenproduktion müssen die Maschinen rund um die Uhr arbeiten.

Experten von HP und der Beratungsfirma Deloitte sind sich sicher: Die vierte industrielle Revolution wird eine „digital-physische“ sein. Es naht die vollständige Digitalisierung der Produktionskette. „Kein Sektor der globalen Wirtschaft unterzieht sich einer derart radikalen Transformation wie der der zwölf Billionen Dollar großen Produktionsindustrie“, meint HP-Chef Weisler.  Er räumt allerdings ein, dass 3D-Druck als Industriewerkzeug noch „unbekanntes Gewässer“ für viele Fertigungsbetriebe ist. Schließlich ist der Markt noch jung.

Und hier kommt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte ins Spiel, die eine Kooperation mit HP eingegangen ist. Und es ist keine „Papier-Allianz“, verspricht Deloitte-CEO Punit Renjen auf einer gemeinsamen Veranstaltung im Silicon Valley, im Beisein von Vertretern von Siemens, SAP, Johnson&Johnson. „Wir machen große Investments in Fachkräfte und Aufbau von Know-how“. Traditionelle Massenfertigung braucht im besten Fall Wochen oder Monate vom Prototypen bis zur Erstellung der Werkzeuge für den Spritzguss und Produktionsbeginn. HP verspricht dagegen nur „Tage oder Wochen“ und Deloitte verspricht die Unternehmensorganisation und Geschäftsmodelle auf die neue Welt vorzubereiten.

Analysten wie Chris Connery von Context Research in Pittsburgh sind optimistisch. Der Markt für 3D-Drucker werde ab 2018 für die folgenden fünf Jahre ein durchschnittliches Wachstum von 42 Prozent verzeichnen, sagt er. Die Allianz von HP und Deloitte hält er für vielversprechend: „Viele Großunternehmen zögern, auf Technologie von Start-ups zu setzen. Aber die meisten haben jahrzehntelange Beziehungen zu HP oder Deloitte. Das ändert den Markt.“

Deloitte hat allerdings schon ein weiteres Problemfeld ausgemacht: Es fehlen Fachkräfte. Der 3D-Druck sei mehr als nur ein altes Teil anders zu fertigen, meinte CEO Renjen. „Früher wurde so designt, dass ein Teil ,in Plastik gespritzt' werden konnte. 3D-Drucken ermöglicht ganz andere Formen, oft leichter und stabiler.“ Was heute aus 20 getrennten Einzelteilen zusammenmontiert wird, entsteht im Druck in neuer Form mit nur einem Durchgang. Hier seien neue 3D-Industriedruck-Designer gefragt.

Weltweit werden laut IDC-Research die Ausgaben für Drucker, Material, Design-Software und Dienstleistungen von derzeit 13,2 Milliarden auf 28,9 Milliarden Dollar im Jahr 2020 ansteigen. Für HP ist es die große Wette auf die Zukunft. „Wenn man vernetzte Unternehmen, künstliche Intelligenz, Robotik  und 3D-Druck zusammennimmt, demokratisiert es die Fertigung“, sagte Weisler. Er ziele nicht auf den heute fünf Milliarden Dollar großen Markt für gedruckte Prototypen, sondern den zwölf Billionen-Markt der Fertigungsindustrie. Deshalb kümmere sich der PC-Gigant, der mit Rechnern im Quartal 8,4 Milliarden Dollar umgesetzt hat, so intensiv um dieses neue Segment.

Den Verkauf der industriellen 3D-Drucker hat HP erst vor gut einem Jahr gestartet. Die MJF-Drucker kosten ab 150.000 Dollar aufwärts. Forecast3D, ein Fertigungs-Dienstleister aus den USA, hat bereits zwölf Maschinen gekauft und, nach eigenen Angaben wegen des „überwältigenden Kundeninteresses“, eine 3D-Fertigungshalle mit HP-Druckern aufgebaut

HP will der maßgebliche Lieferant einer neuen Produktionswelt werden, von Hardware über Verbrauchsmaterial bis zu Software und Dienstleistungen. Die Materialien für die Drucker werden über einen Online-Shop nach dem Vorbild von Apple verkauft. Jeder externe Materialhersteller, der für die Drucker Produkte anbieten will, muss sie bei HP lizensieren lassen.

So soll sichergestellt werden, dass sie die teuren Drucker nicht beschädigen. HP, so sagte Weisler, werde bei jedem Materialkauf eine „kleine Lizenzgebühr“ erhalten. Rasch fügte er wie beschwörend hinzu: „Wir werden aber nicht gierig sein! Das geht nicht, wenn man einen Zwölf-Billionen-Markt umkrempeln will.“

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