Abschied im Streit Darum verlässt Schulte-Bockum Vodafone

Vodafone-Deutschland-Chef Jens Schulte-Bockum kehrt dem Mobilfunkriesen den Rücken. Er hinterlässt einen Konzern, der nach außen so gerne Harmonie betont, im Schockzustand.

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Vodafone-Chef Jens Schulte-Bockum geht Quelle: Bloomberg

Die Bombe platzte am Montagabend. Da informierte Jens Schulte-Bockum – bis dato Deutschland-Chef des Mobilfunkanbieters Vodafone – seinen Aufsichtsrat, dass er zur Bilanz-Pressekonferenz des Unternehmens am Dienstag seinen Rücktritt bekannt geben werde.

Seither herrscht Ausnahmezustand in der Führungsetage des – nach dem Zusammenschluss von Telefónica und E-Plus – nur noch drittgrößten deutschen Mobilfunkanbieters. Dort, im 17. Stock der neuen Deutschland-Zentrale im Düsseldorfer Stadtteil Heerdt, teilt sich Schulte-Bockum bisher ein Großraum-Büro mit seinen Geschäftsführungskollegen.

Die Mitarbeiter auf dem Vodafone-Campus, heißt es aus dem Unternehmen, seien heute früh von der Exklusiv-Meldung der WirtschaftsWoche "komplett überrascht worden".

Denn ursprünglich hatte Vodafone am heutigen Dienstag nur im Rahmen der traditionellen Bilanz-Pressekonferenz die Geschäftszahlen des vergangenen Jahres vorstellen wollen. In der am frühen Morgen bereits verschickten Pressemitteilung fand sich noch das Zitat von Schulte-Bockum, "In diesem Jahr wollen wir unsere Kunden nachhaltig begeistern".

Zwist um die richtige Strategie

Tatsächlich wird es wohl kein sonderlich ausgiebiges gemeinsames Unterfangen mehr. Zwar teilte Vodafone inzwischen mit, Schulte-Bockum werde "das Unternehmen in der Übergangszeit weiter führen", doch de facto bestätigt das bloß, wie kurzfristig die Rücktrittsankündigung kam. Noch vor einer Woche hatte offenbar Schulte-Bockum selbst geglaubt, dass das Unternehmen auf einem guten Weg sei und er die Arbeit fortsetzen könne.

Doch es kam anders: Selbst für eine geordnete Vorbereitung des Führungswechsels, für eine koordinierte Nachfolgesuche, einen geregelten Übergang fehlte schlicht die Zeit.

Gegenüber der WirtschaftsWoche sprach Schulte-Bockum denn auch von "unüberbrückbaren Differenzen" mit der Konzernspitze. Und in einer internen E-Mail an seine Mannschaft und Geschäftspartner beklagt der Manager, ihm sei klar geworden, "dass ich meinen Kurs der nachhaltigen Verbesserung des Unternehmens nicht umfassend umsetzen kann". Es sei an der Zeit, sich Neuem zuzuwenden. "Ich vertraue auf eine starke Führungsmannschaft, die meine Mission fortführen kann - was für mich nicht mehr möglich schien", ergänzte er auf der Bilanzpressekonferenz am Dienstagmittag.

Der Rücktritt von Jens Schulte-Bockum

Kern des Streits ist offenbar die Frage, wie Vodafone Deutschland den Rückstand zu den beiden größeren Netzbetreibern - der Telekom und Telefónica/E-Plus - aufholen soll. Während Schulte-Bockum stolz verkündet, die deutsche Tochter habe "alle vereinbarten Ziele übererfüllt - Umsatz, Gewinn und Cash-flow", hätte die Konzernmutter offenbar lieber ein höheres Tempo beim Kundenwachstum im Mobilfunk gesehen. Der scheidende Deutschlandchef jedoch verweigerte sich wohl dem Ansinnen der Zentrale, sich durch teure Marketingkampagnen, höhere Gerätesubventionen oder besonders aggressive Preise Marktanteile zu kaufen.

"Unsere Ergebnisse aus dem vergangenen Jahr belegen, dass wir - anders als die Konkurrenten - gleichermaßen Wert auf Wachstum wie auf Profitabilität legen", so Schulte-Bockum am Dienstag. Anscheinend aber stand er mit dieser Gewichtung der Prioritäten zuletzt alleine. Der Chef habe sich mit seiner Vorstellung "eines nachhaltigen Wachstums" wohl in London nicht durchsetzen können, heißt es aus dem Umfeld von Schulte-Bockum. "Und dann hat er seine Konsequenzen gezogen."

Paukenschlag aus Düsseldorf

Der Paukenschlag aus Düsseldorf und die Umstände der Rücktrittsankündigung werfen ein Schlaglicht auf den seit Jahren schwelenden Streit zwischen der britischen Konzernzentrale und ihrer wichtigsten Tochtergesellschaft. Zwar hatten sowohl das Mutterhaus als auch der deutsche Ableger in den vergangenen Monaten immer wieder die harmonische Zusammenarbeit betont. Doch in Wirklichkeit brodelte es offenbar fortwährend.

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Schon Schulte-Bockums Vorgänger, der langjährige Deutschland-Chef Fritz Joussen, hatte 2012 – nach Jahren des Konflikts und der Einflussnahme durch das britische Hauptquartier – entnervt die Brocken hingeworfen und war zum Tourismus-Konzern TUI gewechselt.

Gegenwärtig bemüht sich die Konzernspitze um Schadensbegrenzung. Artig lässt Vodafone-CEO Vittorio Colao, als dessen Wunschkandidat Schulte-Bockum vor drei Jahren an die Deutschland-Spitze gerückt war, Dank verbreiten. Schulte-Bockum habe in den vergangenen zwölf Jahren "einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Vodafone geleistet. [...] Ich danke ihm für seinen Beitrag in der Führung des Unternehmens und wünsche ihm für die Zukunft alles Gute."  Ein Wort des Bedauerns über den Abgang findet sich zumindest in Colaos Stellungnahme nicht.

Das äußert zumindest Aufsichtsratschef Philipp Humm. "Die Zusammenarbeit […] war hervorragend", lässt Humm verbreiten, und tritt damit zumindest in augenfälligen Kontrast zu Schulte-Bockums Beschreibung des Sachverhalts in der internen E-Mail.

Intakte Fassade, Druck im Inneren von Vodafone

Allen Zufriedenheits- und Dankbarkeitsbezichtigungen zum Trotz war es alles andere als eine reibungsfreie Zusammenarbeit. Während in Düsseldorf und London offiziell alle die Harmonie betonten, herrschte hinter der vorgeblich intakten Fassade höchster Druck auf Schulte-Bockum, den ehemaligen Unternehmensberater, der von McKinsey zu Vodafone gekommen war und zuvor die niederländische Vodafone-Tochter geleitet hatte.

Nach dem Krisenjahr 2013/2014, dem schlimmsten in der Vodafone-Geschichte, hatte ein langjähriger Vodafone-Manager gegenüber der WirtschaftsWoche den Deutschland-Chef zum Frontmann auf Abruf erklärt: "Sein Stuhl wackelt."

Denn das Unternehmen, das seit der Übernahme des D2-Netzes von Mannesmann Mobilfunk als bis dahin einziger nennenswerter Konkurrent den Ex-Monopolisten Deutsche Telekom mit dem besseren Netz, der cooleren Marke und dem kundenfreundlicheren Service vom Thron stoßen konnte, war meilenweit von seiner Bestform entfernt.

Probleme mit der Netzstabilität, der Service überlastet, und derart demotivierte und frustrierte Mitarbeiter, dass selbst treue Stammkunden zur Konkurrenz überlaufen, hatten das einst so erfolgreiche Mobilfunkunternehmen in seine tiefste Krise seit Gründung der Deutschlandtochter vor mehr als 20 Jahren gestürzt.

Zu verantworten hatten das damals Schulte-Bockum und Humm gemeinsam. Denn nach dem Antritt des neuen Chefs 2012 hatte der binnen kurzer Zeit nahezu die komplette Deutschland-Spitze des Unternehmens zerschlagen. Die bis dato ebenso starke wie gegenüber der Konzernzentrale gelegentlich widerborstige Führungsmannschaft wurde ausgetauscht.

Vodafone schafft die Trendwende nur fast

Doch statt – wie von London erwartet – die Profitabilität zu verbessern, brach das Geschäft ein. Schulte-Bockum musste im Mobilfunk, bezogen auf das Gesamtjahr einen Umsatzverlust im Mobilfunk-Servicegeschäft von 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr an die Zentrale melden, parallel dazu einen Rekordverlust von 1,6 Millionen Kunden gegenüber dem Vorjahr. In diesem Sog rutschten auch Umsatz und operativer Gewinn stark ab. "Wenn es in den kommenden Monaten keine Trendwende gibt, ist Schulte-Bockum nicht mehr zu halten", kommentierte damals ein hochrangiger Manager des Kommunikationsriesen die Entwicklung.

Die Trendwende scheint inzwischen zumindest geschafft. Der Umsatzrückgang ist zumindest gebremst: Ohne die mittlerweile erfolgte Integration des Breitbandanbieters Kabel Deutschland, schrumpfte der Mobilfunk-Serviceumsatz im vergangenen Jahr nur noch um 3,2 Prozent. Der Umsatz im Festnetz – ohne Kabel – fiel nur noch um 2,1 Prozent, nach einem Minus von 6,3 Prozent im Vorjahr. Die Kundenflucht scheint auch gestoppt.

Im vergangenen Geschäftsjahr legte die Zahl der Vertragskunden wieder um eine knappe halbe Million zu. "Ich übergebe das Unternehmen in ausgesprochen guter Verfassung", betonte Schulte-Bockum deshalb auf der Bilanz-Pressekonferenz. "Der Aufwärtstrend ist intakt, auch wenn ich daran nicht mehr allzu lange teilhaben werde."

Und auch bei der zwischenzeitlich abgestürzten Qualität des Netzes konnte sich Vodafone wieder berappeln. Eine exklusive Auswertung des renommierten Connect-Netztests für die WirtschaftsWoche ergab Ende vergangenen Jahres, dass sich die Düsseldorfer speziell in der lukrativen Zielgruppe der Business-Kunden wieder deutlich an den Qualitätsführer, die Deutsche Telekom herangearbeitet haben.

Das Ziel, wieder den Titel des "besten Netzes" zu gewinnen, scheint inzwischen wieder in greifbare Nähe gerückt. Das Schulte-Bockum selbst die begehrte Trophäe entgegen nimmt, gilt indes seit heute als ausgeschlossen.

Mutterkonzern mit Problemen

Auch unabhängig von den Etwicklungen in Deutschland steht Vodafone weiter unter Druck. Beim Londoner Mutterkonzern sanken die Erlöse im Geschäftsjahr 2014/15 um 1,6 Prozent auf 38,5 Milliarden Pfund (53,6 Milliarden Euro). Der operative Gewinn ging im Kerngeschäft um knapp sieben Prozent auf 11,9 Milliarden Pfund zurück.

Nach sieben Jahren mit Rückgängen sieht der weltweit zweitgrößte Mobilfunkanbieter nach China Mobile allerdings den Weg für eine Stabilisierung der Gewinne geebnet. Für das Geschäftsjahr 2015/2016 rechnet Vodafone mit einem Ergebnis im Kerngeschäft zwischen 11,5 Milliarden und zwölf Milliarden Pfund (16,6 Milliarden Euro).

Den Briten machten jahrelang vor allem zurückgehende Ausgaben der Verbraucher für die Handy-Nutzung auf europäischen Märkten sowie regulatorische Preissenkungen zu schaffen.

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