Alphabet-Finanzchefin Wie Ruth Porat Nerds Finanzdisziplin beibringt

Die Finanzchefin der Google-Mutter Alphabet, Ruth Porat, war zuvor Investmentbankerin. Nun hat sie es mit Techvisionären zu tun. Ein Gespräch über Fortschrittsrenditen und die nächsten Moonshots.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Alphabet-Finanzchefin Ruth Porat Quelle: Bloomberg

Plötzlich steht sie da, wie aus dem Nichts. Vielleicht liegt es daran, dass unsere erste Begegnung auf Strümpfen stattfand. Der Schweizer Gastgeber wollte sein Chalet am Rande des winterlichen Weltwirtschaftsforums in Davos nicht durch Schneematsch ruinieren lassen. Bei der zweiten Begegnung in London war das nun anders. Und doch auch hier der Eindruck: Diese Frau macht keinen Wind um sich und versetzt doch manch einen bei Google und Mutterkonzern Alphabet in stürmische Gefühlslage.

Ruth Porat ist seit zwei Jahren Finanzchefin. Sie soll den Geeks und Nerds der digitalen Zukunft nun Finanzdisziplin beibringen. Da war noch Luft nach oben, der Börsenwert von Alphabet hat seit ihrem Antritt um fast 80 Prozent zugelegt. Hinsetzen, Hände auf den Tisch legen, den Blick klar aufs Gegenüber gerichtet, so geht es los. Man begreift intuitiv, warum mit dieser Frau nun ein anderer Wind weht.

WirtschaftsWoche: Frau Porat, Sie haben vor zwei Jahren einen unmöglichen Start hinlegen müssen: Erst wurden Sie ins Amt berufen als oberste Finanzerin von Google. Sie waren noch nicht ganz da, da wurde das Unternehmen als Alphabet-Holding komplett neu aufgestellt. Wie sehr haben Sie Google-Gründer Larry Page damals verflucht?
Ruth Porat: Am ersten Tag meines neuen Jobs hat Larry sein übergeordnetes Ziel für eine Neuaufstellung ausgerollt. Das war für mich alles sehr logisch und sinnvoll. Aber ich hatte gedacht, ich widme meine gesamte Zeit erst einmal meinem ersten Earnings Call. Stattdessen haben wir uns auf das konzentriert, was dann Alphabet werden sollte.

Zur Person

Und seitdem nerven Sie die Technikfreaks mit finanzieller Disziplin. Es gibt Jobs, bei denen man beliebter wird, oder?
Wir schaffen Transparenz. Jeder kann anhand der Zahlen und Daten sehen, wie das Geschäft läuft. So können wir Prioritäten setzen und analysieren, wo wir Kompromisse machen müssen. Das gibt doch letztlich allen mehr Möglichkeiten.

Können das auch Kompromisse zulasten der Innovationskraft von Alphabet sein?
Für mich gibt es da keinen Widerspruch. Wir setzen langfristig auf Wachstum, und das kann nur gelingen, wenn wir konsequent investieren. Aber wir müssen uns alle die Frage gefallen lassen, wo die logischen Prioritäten liegen. So wie man zu wenig investieren kann, kann man auch zu viel investieren. Ein Projekt wird nicht deshalb erfolgreich, weil man ganz viele Ingenieure darauf ansetzt. Manchmal passiert dann sogar das Gegenteil: Es wird für die Kunden zu kompliziert und deshalb ein Flop. Wir investieren signifikant, um Innovationen zu treiben.

Impressionen vom Kamingespräch in Berlin
Willkommen in Berlin: WirtschaftsWoche Digital Scout Léa Steinacker, Ressortleiterin Innovation&Digitales Astrid Maier und WirtschaftsWoche-Chefredakteurin Miriam Meckel (v.l.n.r.) empfangen YouTube-Chefin Susan Wojcicki in Berlin. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Beim Event herrscht großer Andrang ... Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
...die Gäste diskutieren angeregt und knipsen den ein oder anderen Schnappschuss. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Noch sitzen Wojcicki und Meckel im Publikum... Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
... doch gleich geht es los! Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Bühne frei für YouTube-Chefin Susan Wojcicki und WirtschaftsWoche-Chefredakteurin Miriam Meckel. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Wojcicki und Meckel beginnen das Kamingespräch. Eine der zentralen Fragen: Was treibt das weltgrößte Videoportal um? Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche

Es gibt ja Gründe, dass über die Frage gerätselt wird, wie attraktiv Alphabet für kreative Freidenker ist. Chris Urmson etwa, Chefentwickler für Googles selbstfahrendes Auto, hat das Unternehmen vergangenen Sommer verlassen.
Bei Alphabet haben wir eine enorme Bandbreite an Möglichkeiten, und die bleibt nur bestehen, wenn wir dafür sorgen, dass die ganz großen Wetten auch wirklich den richtigen Einsatz bekommen. Niemand steht hier auf der Bremse, schon gar nicht beim selbstfahrenden Auto.

"Wo Informationen fehlen, entstehen Gerüchte"

Tony Fadell, der Gründer von Nest, 2014 von Google übernommen, hat gesagt: „Die Epoche der finanziellen Disziplin ist über uns gekommen.“ So klingt Götterdämmerung.
Noch mal: Finanzielle Disziplin ist etwas Gutes und aller Anfang von wirtschaftlichem Erfolg. Wir schaffen Klarheit und Sichtbarkeit, wo und warum wir investieren, und schauen das auch über einen längerfristigen Zeitraum an. Und, ja, dann treffen wir Entscheidungen. Klar ist doch: Wir müssen investieren, um nachhaltig Wachstum zu erzielen. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, mit den Investitionsentscheidungen schlampig umzugehen.

Warum ist Ihnen Transparenz so wichtig?
Es gibt diesen Satz, der da lautet: „The absence of information is filled with dirt.“ Wo Informationen fehlen, entstehen Gerüchte. Mein Job ist es, dabei zu helfen, die Informationslücken mit Fakten und Analysen zu füllen, damit genau das nicht passiert.

Welche Lücken gab es denn?
Keine Lücken, aber wir wollen sichergehen, dass wir richtig fokussieren. Es ist ja verständlich, dass unsere Zukunftsprojekte, die Moonshots oder „Other Bets“ viele Menschen faszinieren. Aber Google ist und bleibt das Zentrum. Mir ist es wichtig, das im Markt immer wieder deutlich zu machen

Sie sehen Werbevermarktung in der Google-Suche also auch langfristig als Kerngeschäft?
Absolut. Die Geschichte geht ja weiter. Unser größtes Potenzial liegt innerhalb von Google. Machine Learning hat enorme Entwicklungsmöglichkeiten, ebenso die Cloudlösungen, aber auch Hardware und die neuen Abomodelle, die YouTube nun im US-Markt gestartet hat. Investieren heißt also nicht immer, Geld in die fernen Zukunftsprojekte zu stecken. Sondern da geht es auch primär um unser Kerngeschäft.

Wir haben bei Suchen im Netz mit Tippen angefangen, dann kamen die Wischbewegungen, jetzt sprechen wir mit unseren Telefonen. In Sprache lässt sich schwer Werbung verpacken. Ist das für Ihr Geschäftsmodell nicht eine gefährliche Entwicklung?
Die Nutzer bewegen sich heute in einer Welt aus vielen unterschiedlichen Bildschirmen. Gerade beim Smartphone gilt: Wenn die Anfrage über Sprache erfolgt, heißt das nicht zwangsläufig, dass auch die Antwort immer Sprache sein muss. Wenn ein Bild besser zeigen kann, worum es geht, möchte ich das sehen und nicht nur beschrieben bekommen. Da wird es viele Kombinationen geben.

Was Google Neues plant
GoogleI/O Quelle: AP
Google I/O Quelle: REUTERS
Google I/O Quelle: AP
Google I/O Quelle: REUTERS
Google I/O Quelle: REUTERS
Augmented RealityErweiterte Realität wird zum Beispiel helfen, das richtige Regal im Supermarkt zu finden – und zwar indem die Marschrichtung in das Kamerabild auf dem Smartphone-Display eingeblendet wird. Quelle: REUTERS
Android OAndroid O bekommt als diesjährige Version des meistbenutzten Smartphone-Betriebssystems unter anderem ausgeklügeltere Benachrichtigungen und einen Bild-in-Bild-Modus, wie man ihm vom Fernseher kennt. Quelle: REUTERS

Alphabet hat im ersten Quartal 2017 ein gigantisches Ergebnis vorgelegt. Trotzdem sind Sie mit Versprechungen zurückhaltend. Warum?
Sie können einen in die Irre leiten. Das hat auch etwas mit Kurz- und Langfristplanung zu tun. Zwischen beiden kann es schon mal Spannungen geben. Wann immer ich nach Prognosen zu Betriebsausgaben oder Investitionen gefragt werde, antworte ich deshalb mantraartig: Wir planen langfristig. Ohne Investitionen können wir nicht nachhaltig wachsen.

Also keine Ergebnisprognose für die nächsten Quartale?
Kriegen Sie nicht, keine Chance.

Warum kaufen Sie neuerdings Aktien zurück?
Das müssen Sie in einem größeren Zusammenhang sehen. Wir setzen erst einmal auf organisches Wachstum. Und dann machen wir natürlich Zukäufe. YouTube war eine großartige Übernahme, DoubleClick ebenso. Und immer mal wieder steht etwas an. Aber selbst wenn man das alles berücksichtigt und wir eine Mehrjahresvorschau anstellen, bleibt genug in der Kasse. Wir geben ja auch über das Jahr hinweg Aktien als Teil unseres Anreizsystems aus. Es hat eine gewisse Logik, dass man dann auch mal welche zurückkauft.

"Ich liebe alle meine Kinder"

In den USA hat man den Eindruck, durch den massenhaften Rückkauf eigener Aktien arbeiten viele Konzerne an einer Blase, die irgendwann platzen wird.
Nicht bei uns. Der Umfang unseres Rückkaufprogramms ist, gemessen an unserem Ergebnis, ja eher klein. Sozusagen das i-Tüpfelchen unseres gesamten Konzepts zur Kapitalverwendung. Was auch immer für andere Unternehmen gilt: Bei uns hat das Hand und Fuß.

Freuen Sie sich eigentlich auf Donald Trumps Steuerreform?
Ich finde die Aussicht durchaus ermutigend, dass es irgendwann mal eine Steuerreform geben könnte. Demokraten und Republikaner wollen die ja seit Langem auf den Weg bringen.

Wie bewerten Sie die Vorschläge Donald Trumps?
Ich habe mich bisher zurückgehalten, den Präsidenten zu kommentieren, und werde auch dabei bleiben.

Haben Sie nach vielen Jahren in der Finanzbranche nicht mal den Wunsch, etwas anderes zu machen, als CFO zu sein?
Ehrlich gesagt schon. Nach sechs Jahren als Finanzchefin von Morgan Stanley dachte ich: Du hast in diesem Job alles erreicht, die Bank hat einen super CEO, das wirst du also nicht werden, deshalb mach was anderes. Ich habe mich dann mit dem großartigen Bill Campbell beraten und ihm vorweg gesagt: Eins ist mir klar, ich will nie wieder einen CFO-Job. Wir haben mehrere Stunden geredet, und dann hat Bill gesagt: Ich habe die perfekte Idee. Du wirst CFO von Google.

Und dann haben Sie erst mal Nein gesagt.
Ich habe natürlich Ja gesagt. Alle Bedenken waren weg. Ich kannte Google ja schon gut, denn ich habe bei Morgan Stanley den Google-IPO gemacht. Das Unternehmen hat mich immer begeistert.

Was macht es für einen CFO bei Google spannender als bei Morgan Stanley?
Die schiere Breite der Möglichkeiten. Ich wusste sofort: was für eine Wahnsinnsmöglichkeit.

Es gibt Menschen, die nennen das Silicon Valley Amerikas neue Wall Street. Was haben Sie im alten Job gelernt, das sie im neuen gebrauchen können?
In den Jahren der Finanzkrise, und glauben Sie mir, die waren nicht schön, habe ich gelernt, worauf es ankommt. Die richtigen Warnsysteme, die richtigen Kennzahlen und die Kompetenz, die Daten auch wirklich analysieren zu können. Da sind wir auch wieder beim Thema Transparenz. In der Finanzkrise hatten alle Beteiligten lange keine Klarheit, was wirklich los ist, also konnten sie nicht die richtigen Entscheidungen treffen.

Umsatz und Gewinn von Googe Inc./Alphabet Inc. weltweit

Jetzt klingen Sie sehr datengetrieben.
Ich zitiere unseren Chairman Eric Schmid: Verankere deine Entscheidungen in Daten, und sie werden dir eine Geschichte erzählen. Das ist meine tiefe Überzeugung. Wenn Menschen sich auf ihre Intuition verlassen, ohne die Daten zu Rate zu ziehen, übersehen sie ihre eigenen blinden Flecken.

Sie haben ein sehr klares Gerüst für Ihre Arbeit und Ihre Entscheidungen. Woher kommt das?
Von dem größten Vorbild, das ich habe, und das ist mein Vater. Er ist 94, der Superheld unserer ganzen Familie.

Was macht ihn zum Helden?
Er hatte nicht mal eine ordentliche Schulausbildung, als er für die britische Armee in Afrika in den Krieg ging. An der Front hat er sich selbst Physik beigebracht. Seine Kameraden haben ihn die ganze Zeit geärgert und gesagt: Du bist tot, bevor du damit fertig bist. Und er hat geantwortet: Dann sterbe ich wenigstens gut ausgebildet. Später hat er dann in England studiert und mithilfe des damaligen Senators John F. Kennedy in Harvard. In seinem Labor in Stanford habe ich immer meine Hausaufgaben gemacht. Wir haben zusammen verrückte kleine Maschinen gebaut.

Klingt, als hätten Sie schon in Ihrer Kindheit nicht viel Work-Life-Balance erlebt.
Mit dem Begriff kann ich nichts anfangen. Er ist eine Falle. Wo gibt es schon Balance? Man versucht dauernd, sie herzustellen, und es gelingt doch nie. Führt nur dazu, dass man sich ständig schuldig fühlt. Ich benutze lieber die Metapher eines Kaleidoskops. Darin sieht man nie die gleiche Farbe und Form, sauber sortiert auf allen Seiten, sondern alles ist ein Mix und verändert sich immer wieder im Laufe des Lebens.

Wofür sollte Alphabet Ihrer Meinung nach in 20 Jahren noch berühmt sein?
Wir können mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, mit Ausbildung, mit wirtschaftlichem Ansporn so viel machen, in alledem stehen wir noch am Anfang. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten, das Leben für die Menschen einfacher und besser zu machen.

Welches ist Ihr Lieblingsprojekt unter den Moonshots?
Ich liebe alle meine Kinder.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%