Auf den Fire-Tablets von Amazon laufen in der Küche des beliebten Asian-Fusion-Restaurants Wild Ginger in Bellview bei Seattle die Aufträge ein, und wenige Minuten später packt ein Lieferfahrer von Amazons Prime Now-Lieferdienst eine Portion frisches Hanoi Tuna für 25 Dollar pro Person oder sechs Vietnamese Chicken Wings für 13,50 Dollar in die Warmhaltebox. Essensauslieferung zwischen Buchbestellung und Computerauslieferung ist der letzte Schrei, und Amazon nur der letzte Internet-Gigant, der sich jetzt in diesem Markt engagiert. Seit wenigen Tagen wird Essen per Tablet am Stammsitz Seattle getestet. Zugang haben vorerst nur Kunden des 100 Dollar teuren Zusatzangebots „Amazon Prime“, der kostenlose Warenlieferung für ein Jahr garantiert und dazu kostenlose Musik und Filme für den romantischen Dinnerabend dazupackt.
Vorreiter auf dem heftig umkämpften Markt für Essen auf Rädern ist Amazon zwar nicht. Aber wo Jeff Bezos, Gründer und CEO von Amazon hinlangt, da wächst kein Gras mehr. Das wissen etablierte Online-Lieferdienste wie Grubhub, Yelp oder Groupon („Groupon to go“), von den unzähligen lokalen Start-ups gar nicht zu reden. Die haben weder die Finanzkraft noch die Logistik, um Amazon die Stirn zu bieten. Sie sehen ihre Felle ebenso schwimmen wie der Pizzaboy von nebenan, der sich abends mit der Quattro Stagioni ein paar Dollar fürs College dazuverdient hat.
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Veritable Konkurrenten für Bezos im Kampf um das Essen auf Rädern 2.0 sind dagegen Google und Uber. Der Transportdienst Uber verteilt in Los Angeles seit 2014 auf Anfrage Eiscreme an schwitzende Seelen, seit wenigen Wochen fährt „Uber Eat“ ausgewählte Essenspakete aus einem täglich wechselnden Menü bis an den Bordstein in Downtown oder Hollywood. Erst den Geschäftsmann zum Flughafen, dann das Turkey-Sandwich mit Zwiebeln, Tomaten, Gürkchen, veganer Mayonnaise und italienischem Dressing für 10 Dollar an den hippen Programmierer am Willshire Boulevard. Bezahlt wird bargeldlos über die App, so wie jede Uber-Fahrt.
Google steigt noch in diesem Jahr in die Auslieferung von frischen Lebensmitteln ein, wie Brian Elliott, Manager bei Google Express vor wenigen Tagen verkündete. Google Express ist die Antwort aus Mountain View zum Bananenfrachter Amazon Fresh aus Seattle. Partner im Testbetrieb sind zunächst die Edel-Biokette Whole Foods und der Großhandelsriese Costco Wholesale – sozusagen die amerikanische Version von Metro. Das Ziel: Der Kunde sucht auf Google, kauft auf Google, und Google liefert in ein oder zwei Stunden.
Wo es beim Online-Lebensmittelhandel hakt
Derzeit setzten die meisten Online-Lebensmittelhändler auf den Versender DHL (77 %), seltener auf Konkurrenten wie DPD (10 %) oder Hermes (4 %), haben die Handelsforscher des EHI herausgefunden. Lediglich größere Anbieter und Supermarktketten, haben einen sich einen eigenen Lieferdienst (13 %). Durch einen Partner entfallen Kosten für den Aufbau einer Logistik. Dafür entstehen fortlaufende Kosten - und die Gefahr vom Dienstleister, seinen Auftreten, seinem Service und seiner Pünktlichkeit abhängig zu sein.
Quelle: EHI-Studie: Lebensmittel E-Commerce 2015 // eigene Recherche
Die Anbieter von Getränken und haltbaren Lebensmitteln haben damit kein Problem, für Online-Supermärkte, die auch frische Produkte verkaufen, ist die Kühlung der Waren existenziell. Sie liefern ihre Waren meist in Styroporboxen und halten die Temperatur mit Trockeneis, Kühlakkus oder Gelpads. Der Aufwand dahinter ist enorm hoch,und verursacht hohe Kosten. Besonders herausfordernd wird die Lieferung, wenn Waren verschiedene Kühltemperaturen benötigen - Fisch und Salat zum Beispiel.
Grüne oder gelbe Bananen? Große oder kleine Äpfel? Supermarkt-Kunden haben meist spezielle Vorstellungen davon, wie ein Produkt auszusehen hat - und nehmen sich ihre Waren ganz bewusst aus dem Regal. Beim Online-Shopping übernimmt der Anbieter die Auswahl, und kann damit auch schon mal daneben liegen. In einem Praxistest fiel den Handelsforschern von EHI zudem ein weiteres Problem auf: Wenn ein Produkt nicht mehr auf Lager ist, fällt das häufig erst deutlich nach Bestellung auf. Dann bekommen die Kunden entweder eine Nachricht oder sogar ein Ersatzprodukt, das sie gar nicht wollten.
Wann das Paket beim Kunden eintrifft, ist besonders bei frischen Produkten entscheidend. Schließlich sollte die Lieferung in der Regel persönlich entgegen genommen werden. Manche Dienste garantieren deshalb immerhin die Zustellung in einem Zeitfenster von zwei Stunden. Das erforderte aber eine genaue Planung der Auslieferungen - und entsprechend viele Kunden, sonst wird die Zustellung zum Minusgeschäft. Vor allem kleine Dienste liefern deshalb nur an bestimmten Wochentagen. Das bedeutet lange Wartezeiten für den Kunden.
Anders als in England oder Frankreich ist der Zuspruch der Kunden hierzulande noch sehr gering. Das ist einer grundsätzlichen Skepsis der Deutschen gegenüber neuen Entwicklungen geschuldet, der guten Versorgung mit Läden insgesamt, und der Angst durch die oben genannten Punkte Nachteile zu erhalten. “Die Verbraucher haben zum Beispiel Angst in Bezug auf die Produktqualität und vor einer eventuellen Nichteinhaltung der Kühlkette”, fassen die EHI-Experten in ihrer Studie Lebensmittel “E-Commerce 2015” zusammen.
Alles, was mit Essen und Trinken zu tun hat, steht im Silicon Valley derzeit ganz hoch im Kurs. Die Investorenseite Angel.co listet alleine über 4500 Start Ups aus diesem Bereich, vom Dinner-on-Demand-Dienst Munchery über den Restaurant-Lieferdienst Caviar, der 2014 vom Start-up Square des Twitter-CEO Jack Dorsey aufgekauft wurde, bis zum Alkohol-Abonnementservice Flaviar. Bis Jahresmitte pumpten Risikokapitalinvestoren laut Risikokapital-Datenbank CBInsights rund 750 Millionen Dollar in Food-Tech, schon fast so viel wie die eine Milliarde Dollar in 2014.