Anti-Terror-Gesetze Messenger-Dienst Telegram wird in Russland blockiert

Putins Anti-Terrorgesetz verbietet verschlüsselte Nachrichten – und nun auch den Messenger-Dienst Telegram. Bürgerrechtler kündigten Widerspruch an.

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Telegram: Messenger-Dienst wird in Russland blockiert Quelle: AP

Moskau Gerade einmal 18 Minuten dauerte der Prozess am Freitag vor dem Moskauer Bezirksgericht Taganski. Dann hatte Richterin Julia Smolina ihre Entscheidung getroffen: Der Messenger-Dienst Telegram wird ab sofort in Russland blockiert.

Das Gericht erfüllte damit die Forderung der russischen Aufsichtsbehörde Roskomnadsor. Telegram-Anwälte waren gar nicht erst vor Gericht erschienen. Sie hatten um Verschiebung des Prozesses gebeten, die ihnen nicht gewährt wurde.

Der Gründer des Messenger-Dienstes Pawel Durow hatte den Anwälten daraufhin im Vorfeld verboten an der „offenen Farce“ teilzunehmen, um dem Prozess seinen Worten nach nicht den Anstrich von Legitimität zu verleihen.

Stein des Anstoßes sind die Verschlüsselungs-Codes des Services. Seit Jahresbeginn müssen alle Provider in Russland, die Kommunikation ihrer Nutzer zu speichern und bei Bedarf dem Geheimdienst zugänglich machen. Das 2016 verabschiedete Gesetzespaket wird mit der Terrorismusbekämpfung begründet und macht auch vor privaten Nachrichten nicht halt.

Telegram hat sich allerdings gegenüber der Konkurrenz gerade mit dem Schutz von Userdaten zu profilieren versucht. Durow versprach seinen Nutzern durch eine besondere Technik der Verschlüsselungscodes den Schutz ihrer persönlichen Daten.

Angesichts des jüngsten Skandals beim Konkurrenten Facebook durchaus keine Selbstverständlichkeit mehr im einst anonymen Web. Dieses Prinzip verteidigte Durow auch gegenüber russischen Behörden.

In dem seit einem Jahr schwelenden Streit hatte er immer wieder erklärt, dass Telegram nicht gewillt sei, ein Gesetz zu erfüllen, „das nicht in Übereinstimmung mit dem Schutz des Privatlebens und der Politik der Diskretion“ des Messengers stehe.

Zudem sei die Forderung nach Übergabe der Schlüssel rein technisch nicht möglich, weil diese auf jedem Endgerät selbst erstellt und nicht zentral gelagert würden, so die Argumentation Telegrams.

Während Analysten wie der Politologe Oleg Wedutow das Urteil als „offensichtliche Dummheit“ kritisierten, zeigte sich der Kreml zufrieden mit dem Richterspruch.

Wer auf dem Territorium eines Staates agiere, müsse auch mit diesem kooperieren, sagte der für Internet zuständige Präsidentenberater German Klimenko. Durow hingegen habe nie mit den Behörden zusammengearbeitet. „Das ist eine gute Lehre für alle, und auch für Durow“, meinte Klimenko.

Die Aufsichtsbehörde kündigte bereits eine schnelle Umsetzung des Gerichtsbeschlusses an. Gewartet wird nur noch auf die formale Aushändigung der Papiere, dann werde mit der Blockade begonnen. Damit könnte Telegram innerhalb weniger Stunden blockiert werden.

Vertreter der Bürgerrechtsorganisation „Agora“, die vor Gericht statt der Konzernanwälte Telegram vertreten hatten, kündigten bereits Widerspruch gegen das Urteil an.

Der Jurist Wladislaw Kotscherin zeigte sich in einer ersten Reaktion wenig optimistisch, dass es zu einer Revision kommen könne. „Ich glaube nicht besonders an die Chance einer Berufungsklage in Russland“, sagte er.

Der Verlust für Telegram hält sich trotz der juristischen Schlappe in Grenzen. Das russische Publikum macht nur noch fünf Prozent der Gesamtnutzer Telegrams aus.

Zudem hat der Messenger-Dienst vorgesorgt: In vielen Telegram-Kanälen kursieren bereits seit Tagen Links zur Umgehung der Blockade, sei es durch eine VPN-Verbindung oder einen anderen Proxyserver.

Viele Nutzer werden sich also weiterhin anonym Nachrichten schreiben. Durow selbst kann sogar auf finanzielle Dividenden hoffen: Immerhin plant er mit der Herausgabe einer Kryptowährung über eine Milliarde Dollar über Crowdfunding zu generieren.

Mit seinem Kampf für die Freiheit des Internets ist er für die Investoren deutlich glaubwürdiger, als wenn er dem Geheimdienst FSB nachgegeben hätte.

Durow hat inzwischen Telegram-Nutzer beruhigt: Um die Blockierung zu umgehen, müssten User keine zusätzlichen Handlungen vornehmen, sagte. Telegram werde „eingebaute Methoden zur Umgehung“ der Blockierung aktivieren. Allerdings warnte Durow, dass es in den ersten Stunden zu einer Verringerung der Übertragungsgeschwindigkeit und zeitweiligen Ausfall durch die Überlastung von Proxy-Servern kommen könne.

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