Noch bis Freitag läuft in San Francisco die große jährliche Entwicklerkonferenz von Apple. Eigentlich sollte die technologische Nachrichtenlage am gestrigen Montag, dem Eröffnungstag, mit der traditionellen Ansprache von Apple-Chef Tim Cook, von dem kalifornischen Konzern dominiert werden. Stattdessen grätschte Wettbewerber Microsoft gleich mehrfach dazwischen.
Am Morgen gab Microsoft-Chef Satya Nadella seine bislang größte Akquise bekannt – den Kauf des Business-Netzwerks Linkedin für sagenhafte 26 Milliarden Dollar.
Ein paar Stunden später präsentierte der Softwarekonzern in Los Angeles zum Auftakt der Computerspielemesse E3 eine geschrumpfte Version seiner Spielkonsole Xbox. Und gab zugleich einen Ausblick auf Project Scorpio, dem fürs Weihnachtsgeschäft 2017 avisierten Nachfolger der Xbox, der unter anderem mit virtueller Realität auftrumpfen soll.
Die Köpfe hinter Apple
Cook schlug zum Start als Apple-Chef mit dem Tod von Jobs im Oktober 2011 einige Skepsis entgegen. Denn er war zwar schon zuvor für das Tagesgeschäft zuständig und hatte den Gründer immer wieder mal während der Auszeiten wegen dessen Krebserkrankung vertreten.
Der 55-jährige Manager hat Apple in den vergangenen Jahren seinen Stempel aufgedrückt. Der Konzern achtet mehr auf Umweltaspekte, Datenschutz sowie die Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferern, kommuniziert offener als in der Jobs-Ära und schüttet Milliarden Dollar an Aktionäre aus. Zuletzt wagte Cook eine Konfrontation mit der US-Regierung um Verschlüsselung beim iPhone.
Die Marketingexpertin interessierte sich früh für Kleidung. Sie heuerte beim Modelabel Donna Karan an. Zwischen 2002 und 2006 war die gebürtige US-Amerikanerin für die Marke Liz Claiborne verantwortlich und sanierte dann das Londoner Modehaus Burberry.
In den Siebzigerjahren arbeitete Iovine als Toningenieur mit Stars wie John Lennon und stieg zum Plattenboss bei Interscope Geffen A&M auf. 2006 gründete er mit Dr. Dre Beats. Parallel wirkte er bei der US-TV-Talentshow "American Idol" mit.
Lynch startete im Elektronischen Visualisierungslabor der Universität von Chicago. Später ging er zur US-Softwarefirma Macromedia. Als Adobe diese 2005 kaufte, wurde er Technikchef. Mit Apple- Gründer Jobs stritt er, weil der die Adobe-Flash-Technik hasste.
Young war als Teenager DJ, rappte in der Hip-Hop-Gruppe N.W.A und gründete 1991 das Musiklabel Death Row Records. Er verpflichtete die späteren Megastars Eminem und 50 Cent. 2006 startete er mit Jimmy Iovine den Kopfhörerbauer Beats.
Und bei Apple? Keine Mega-Aufkäufe und auch keine virtuelle Realität. Dafür eine Fülle von Verbesserungen und neue Funktionen bei den vier Betriebssystemen des Apfel-Konzerns – für die Apple Watch (watchOS), die Apple Fernsehkonsole (tvOS) , den Mac (von OS X auf macOS rückbenannt) und natürlich den Bestseller iPhone (iOS). Mehr eine Schau der Vorschauen – denn all die Neuerungen gibt es derzeit nur für Entwickler zum Testen und erst im Herbst für die Allgemeinheit.
Die Schau der Vorschauen
Apps auf der AppleWatch sollen mit dem Betriebssystem-Update watchOS 3 angeblich siebenmal schneller starten.
Die Uhr bekommt neben einer verbesserten Fitness-Anzeige eine Anwendung namens Breathe – Atmung -, mit deren Hilfe man Stress durch Atemübungen abbauen kann. Hilfreich sicherlich auch für Konzernchef und AppleWatch-Superfan Cook, der unter Druck steht, weil der Absatz der aktuellen iPhone Modell-Reihe wegen der fürs Herbst erwarteten neuen Generation leidet.
Die bislang iPhones und iPads vorbehaltene Sprachassistentin Siri kommt mit dem neuen macOS – Codename Sierra – auch auf Mac-Desktops und Laptops.
In Apples Nachrichten-App können sich die Anwender künftig nach Herzenslust austoben – mit größeren Schriften, viel Geflacker, Emojis und Animationen.
iOS 10 offeriert eine direkt auf dem Gerät laufende Bildanalyse, die Personen erkennen und Ereignisse zusammenfassen kann.
Vor allem aber springt Apple über seinen Schatten und gewährt seinen Entwicklern mehr Freiheiten und damit mehr Kreativität. Denn die laufen traditionell am Gängelband, weil der Konzern seine gerühmte Benutzeroberfläche seit Jahrzehnten streng kontrolliert. Bislang konnten diese sich in ihren eigenen Apps austoben, wobei auch hier Apple durch seinen Zulassungsprozess für den App-Store mit wachem Auge Auftreten und Inhalte prüfte.
Doch seit die Funktionen von Apps immer mehr zusammenfließen und zugleich immer weniger Nutzer Lust haben, unzählige Spezial-Apps herunterladen, zu verwalten, zu suchen und aufzurufen, funktioniert die strenge Abschirmung zwischen dem Hoheitsgebiet von Apple und dem Territorium von Dritten nicht mehr. Mehr noch: Sie ist zum Angriffspunkt von Wettbewerbern wie Facebook geworden.
In iOS 10 erlaubt Apple deshalb externen Entwicklern den Zugriff auf seine bisher streng gehütete Nachrichten-App. Sie können für diese nun eigene Zusätze über den App-Store anbieten, wie etwa das Bearbeiten von Fotos oder das Buchen von Restaurants direkt aus dem Nachrichtenstrom, ohne dass der Nutzer die App verlassen muss. Das soll Apples Nachrichten-App fit machen für den Wettbewerb mit Facebook, der mit seinem Messenger direkt unter der Nase von Apple genau so eine Universal-App vorantreibt.
Vielfältiger und verspielter
Geöffnet wird auch die mit besseren Verkehrsinformationen versehene Kartensoftware Apple Maps, in die nun Dritte ihre Services direkt einbinden können wie etwa die Taxivermittler Uber und Lyft. Auch die Sprachassistentin Siri steht nun erstmals externen Entwicklern zur Verfügung, die über sie ihre Services via Sprache ansteuern können. Für Apple, das zudem künftig rascher die Apps von Entwicklern genehmigen und bei Abodiensten nach einem Jahr seine Kommission von 30 Prozent auf 15 Prozent mindern will, ist das eine kleine Revolution.
Der Konzern gibt damit einen Teil seiner Hoheit über seine berühmte Benutzeroberfläche ab. Das birgt zwar das Risiko, dass die Bedienprozesse am Apple iPhone künftig nicht mehr wie von Apple mit militärischer Präzision durchorganisiert und vorgegeben sind, sondern wie bei Android wesentlich verspielter, vielfältiger und damit komplexer werden. Zudem besteht die Gefahr, dass viele Transaktionen künftig direkt über die Anbieter laufen und an Apple vorbei.
Doch weil die Hardware-Unterschiede zu Konkurrenten wie Samsung oder Lenovo immer geringer werden, Geräte, Software und künstliche Intelligenz immer enger ineinander greifen und Nutzer sich nicht gern bevormunden lassen, muss Apple-Chef Tim Cook das Experiment wagen. Auch wenn eine große Frage noch beantwortet werden muss: Ob das seit Jahrzehnten auf Kontrolle geeichte Unternehmen mit soviel Freiheit für Außenstehende damit umgehen kann.