WirtschaftsWoche: Herr Mock, bisher tragen Sie immer eine Swatch. Werden Sie sich jetzt eine Apple Watch kaufen?
Elmar Mock: Selbstverständlich. Die Apple Watch ist absolut interessant und wird Erfolg haben.
Warum sind Sie so davon überzeugt?
Im 20. Jahrhundert hatten die Menschen Kalender und Uhr dabei und konnten so Ort und Zeit für ein Treffen organisieren. Im 21. Jahrhundert kam Nokia mit dem genialen Slogan „Connecting People“: Über das Mobiltelefon lassen sich Treffen kurzfristig arrangieren, Ort und Zeit werden vorher nur vage verabredet. Die Smartwatch bringt den nächsten Sprung.
Zur Person
Mock, 61, hat 1980 zusammen mit Jacques Müller die Swatch als erste Schweizer Billiguhr erfunden. Unternehmer Nicholas G. Hayek hatte dann die Idee, die Swatch als Modeartikel zu vermarkten. Der Schweizer Mikro- und Plastik-Ingenieur Mock gründete 1986 in der Swatch-Stadt Biel seine eigene Produkt-Ideenschmiede Creaholic.
Inwiefern?
Die jungen Leute schauen 200 bis 300 Mal am Tag auf ihr Telefon und haben es in der Hand oder auf dem Tisch. Es ist sinnvoll, diese Funktion aufs Handgelenk zu legen. Dass man dann parallel zur Uhr auch ein Smartphone braucht, stört wenig. Früher hatten wir, wie gesagt, ja auch Kalender und Uhr dabei.
Aber wo sehen Sie den Fortschritt?
Die Smartwatch ist ein Kommunikationssystem nahe unserem Nervensystem. Wir spüren über eine Vibration, ob eine Information gekommen ist oder ob wir nach rechts oder links gehen sollen. Und egal, welche Marke: Über die Smartwatch definiert sich die Zugehörigkeit zu einer neuen Generation.
Wie schätzen Sie die Fähigkeiten der Smartwatch ein?
Die ersten Modelle sind noch nicht gut genug. Aber ein Produkt muss nicht perfekt sein, solange es grundsätzlich sinnvoll ist.
Welches Potenzial sehen Sie?
Eine Milliarde Menschen hat ein Smartphone. 10 bis 20 Prozent davon sind langfristig an einer Smartwatch interessiert. Ich rechne in diesem Jahr mit einem Absatz von 10 bis 20 Millionen Smartwatches und in zwei Jahren mit 50 Millionen verkauften Exemplaren. Neben Apple wird es aber viele andere Anbieter geben. Das Businessmodell verändert sich: Früher wurden Uhren im Uhrenhandel verkauft, seit der Swatch auch in Modegeschäften, und nun mit der Smartwatch in Elektronikläden.
Folgen für die klassische Uhrenindustrie
Was sind denn die Folgen für die klassische Uhrenindustrie?
Die Schweizer Uhrenhersteller reagieren heute auf die Smartwatch so wie auf die Quarzuhr damals in den Siebzigerjahren: Sie sagen, nur eine mechanische Uhr sei gut. Ich glaube tatsächlich nicht, dass die mechanischen Uhren verschwinden werden. Nicht Luxusanbieter wie Rolex, Omega oder Patek Philippe sind in Gefahr, aber das mittlere Segment mit Tissot, Festina, Fossil, Seiko oder Citizen. Ich erwarte für diese Uhrenproduzenten eine zwei bis drei Jahre lange Durststrecke.
Wie hart wird die?
Ein Teil der Smartwatch-Käufer hat vorher keine Uhr getragen. Aber die anderen werden nicht im selben Jahr eine Smartwatch und eine Uhr für 500 bis 1000 Euro kaufen. Uhren in diesem Preissegment setzen im Jahr etwa zehn Milliarden Euro um. Ich befürchte einen Rückgang von zehn Prozent, das würde 500 bis 1000 Arbeitsplätze kosten. Schlimmer noch ist der Verlust an Industriekapazität. Wer Hochwertiges verkauft, muss auch Mittelwertiges herstellen. Ein Flugzeug fliegt auch nicht, wenn nur die Businessclass voll ist.
Ist auch die Swatch gefährdet?
Ich hatte die Swatch vor 30 Jahren entwickelt, mit der Idee, dass sie fünf Jahre überlebt. Heute wird sie mit der gleichen Technik immer noch verkauft. Die Swatch ist ein Fossil. Aber sie ist genauso wie die Smartwatch ein Modeprodukt. Wenn ich bei Swatch arbeiten würde, würde ich mir schon die Frage stellen, wie ich da mitspielen könnte. Ich verstehe nicht, warum sie nicht reagieren.
Was müssten die Uhrenhersteller tun?
Die Produzenten sind wie elegante Vögel, die es plötzlich mit Haien zu tun haben, die aus dem Wasser springen und fliegen wollen. Aber vielleicht können die Vögel schwimmen lernen. Wir haben die Technologien, aber die Frage ist, ob die Top-Manager die Führungskraft haben.
Haben Sie Ideen für einen Gegenangriff?
Auf keinen Fall sollte man Apple einfach nachmachen. Das Display zum Beispiel muss nicht die finale Lösung der Zukunft sein. Warum sollte ich einen Fernseher am Handgelenk tragen? Es gibt noch andere Möglichkeiten der Kommunikation.
Bräuchte es eine konzertierte Aktion?
Für die nächsten Innovationen sollten die früheren Feinde Schweiz und Japan kooperieren, weil sie sich mit Energie auskennen. Das tägliche Aufladen der Smartwatch ist unbequem. Man bräuchte auch einen längeren Lebenszyklus. Es gibt viel Potenzial für Verbesserungen.