Auf Goldsuche – Teil 1 Stadt der Gegensätze

Unsere Redakteurin lebt für zwei Monate in der kalifornischen Bay Area, um herauszufinden, was das Silicon Valley und San Francisco zum Mekka für Modernisierer und Quelle der Innovation macht. Erster Teil: Extreme.

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In San Francisco sind sich Karrieremöglichkeiten und Reichtum sowie Armut sowie Armut und soziale Spannungen sehr nah. Quelle: dpa

San Francisco Mit lautem Zischen kommt der doppelstöckige silberne Zug in San Francisco auf einem Gleis neben mir zum Stehen. Keine Nummer, keine Leuchtschrift zeigt sein Ziel an. „Fährt dieser Zug ins Silicon Valley“, frage ich einen jungen Mann neben mir. „Die fahren alle ins Silicon Valley“, antwortet er.

Es ist mein erster Trip ins Valley, dem Mekka für Modernisierer oder jene, die es noch werden wollen. In Berlin berichte ich unter anderem über Digitalpolitik, ständig hört man dort, dass die deutsche Hauptstadt auch so werden soll wie das Silicon Valley. Deshalb wohne ich für die nächsten zwei Monate in San Francisco. Ich will in diese Welt eintauchen und verstehen, was das Valley so besonders macht. Und wie es ist, in dieser Umgebung zu leben, in der noch immer die Goldgräberstimmung zu herrschen scheint, in der die Stadt vor mehr als 160 Jahren entstanden ist. Nun sind Ideen, die die Welt verändern, das Gold von heute.

Wichtiger Ausgangspunkt für meine Schatzsuche ist das Wall Street Journal. Die größte Zeitung des Landes leistet sich – natürlich neben dem Hauptquartier in New York – rund 50 Journalisten in seinem Büro in San Francisco. Hier werde ich dank der Unterstützung durch das deutsch-amerikanische Arthur F. Burns-Stipendium die nächsten zwei Monate verbringen. Meine neuen Kollegen, mit denen ich im 11. Stock eines Hochhauses im Financial District im Herzen von San Francisco ein Großraumbüro teile, sind ganz nah dran an den großen Tech-Giganten und jenen, die es noch werden wollen.

Doch nicht nur ich bin an ihrer Expertise interessiert, auch sie wollen mehr wissen über Deutschland. Zum Beispiel, warum wir unsere Daten nicht völlig sorglos jedem geben, der sie haben will. In den USA ist der Schutz privater Daten kein Thema. Auch ich lasse mich davon anstecken und installiere schon in den ersten Tagen die Fahrdienst-App Lyft und Google Maps auf mein Handy – Datenkraken, die eigentlich gegen mein Verständnis von Privatsphäre verstoßen. Aber es ist einfach bequemer.

Bequem ist auch die Bahn, die die Techies ins Valley fährt. Der Grund, warum jede Bahn an der 22nd Station in San Francisco ins Silicon Valley fährt: Der Bedarf ist riesig. Viele der Menschen, die im Valley arbeiten, wohnen lieber in San Francisco. Denn obwohl auch diese Stadt nicht besonders groß ist – dort ist einfach viel mehr los als im teilweise fast ländlich wirkenden Valley.

Weil das Geld da ist und der Platz rar, gehören die Mieten in San Francisco daher längst zu den teuersten im ganzen Land, sogar in New York City ist es oft billiger. Für ein Zimmer in einem geteilten Apartment zahle ich pro Monat weit mehr als 2000 Dollar – und das gehört noch zu den günstigsten Varianten. Ich frage mich, wo all jene wohnen, die sich diese Mieten nicht leisten können.

Einige von ihnen landen auf der Straße. Ich wohne in Berlin, Bettler gehören für mich dort zum täglichen Bild. Aber in San Francisco scheint das Elend noch extremer zu sein. Auf meinem Weg zur Arbeit sehe ich jeden Tag viele verwahrloste Menschen, die meisten von ihnen reden verwirrt mit sich selbst, sind schmutzig und oft orientierungslos.

Doch die Tech-Branche beherrscht die Stadt. Fast jeder, mit dem man spricht, hat Freunde oder Bekannte, die bei einem der großen Player arbeiten oder bei einem Start-up Überstunden schieben. Mit dem Caltrain geht es für sie dann täglich ins Valley, mit Halt in San Mateo, Redwood City und Palo Alto. Noch bevor sie an ihrem Ziel angelangt sind, sitzen die jungen Leute dort schon mit ihren Laptops auf dem Schoß und coden, programmieren. Google und Apple lassen ihre Mitarbeiter sogar mit eigenen Bussen inklusive Wlan abholen.

Eines wird schon in den ersten Tagen hier klar: Die Bay Area ist voller Extreme. Nicht nur, was die Verteilung von Armut und Reichtum angeht. Auch das Wetter ist extrem. In San Francisco ist es um diese Zeit im Jahr meistens nass-kalt und um die 12-16 Grad, fährt man nur 20 Minuten aus der Stadt heraus, ist es sonnig und gefühlt 30 Grad.

Die Stadt scheint oft sehr offen und sorglos – die Rainbow-Flag, Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung wurde in San Francisco gestaltet. Im historischen „Gayberhood“ Castro sind Heterosexuelle meist in der Unterzahl, fast alle Läden spielen mit den typischen Klischees, es gibt Schoko-Penisse zu kaufen und das Regenbogen-Halsband für den „gayfriendly dog“.

Auf der anderen Seite wird man oft auf eine stets schlummernde Gefahr hingewiesen: Hier darf und kann jeder eine Waffe tragen. Schon an meinem zweiten Tag weist der Sicherheitsdirektor des Büros beim Wall Street Journal darauf hin, dass man immer seinen Mitarbeiterausweis tragen solle, damit unbefugte Eindringlinge schnell erkannt werden können. Und in meiner Schreibtischschublade liegt ein Buch mit Hinweisen, wie man sich im Fall eines „Active Shootings“ verhalten soll.

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