Berliner Vorzeige-Start-up Soundcloud fällt aus allen Wolken

Die Musik-Plattform ist der Stolz der Berliner Start-up-Szene. Jetzt muss Gründer Alexander Ljung fast die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen, die Pleite droht. Ein Investor erklärt, was Soundcloud jetzt tun muss.

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Das Start-Up aus Berlin hat finanzielle Probleme und muss Mitarbeiter entlassen. Quelle: dpa

Dass es kein angenehmes Interview für Alexander Ljung werden würde, war nach der ersten Frage klar. „Wie geht es dir, Alexander?“, fragte der Moderator Mike Butcher den Soundcloud-Chef auf der Bühne des Berliner Tech Open Air. „Du hast gerade halb Berlin rausgeschmissen.“ Die Dekoration der Bühne, Neonröhren in Kerzenleuchter-Form und die Konzertorgel des alten Funkhauses, schienen da nur allzu passend: Als würde hier eine der großen Start-up-Hoffnungen Deutschlands zu Grabe getragen.

Ljung, auch noch im schwarzen T-Shirt und schwarzer Hose gekleidet, musste sich aus Pietät auf die Friedhofsstimmung erst mal einlassen: „Schrecklich traurig“ sei er, dass er vor wenigen Tagen 173 seiner 420 Mitarbeiter entlassen musste. Den Grund dafür legte Moderator Butcher gleich nach: „Ihr habt Probleme.“ 51 Millionen Euro Verlust im letzten veröffentlichten Jahr 2015, bei einem spärlichen Umsatz von 21 Millionen Euro. Konkurrent Spotify kam 2016 auf 2,6 Milliarden.

Schießen die Investoren kein Geld nach, könnte Soundcloud das Geld noch in diesem Jahr ausgehen, berichtet das Branchenmedium Techcrunch. Die Firma warf Techcrunch „ausgiebige Ungenauigkeiten“ in seinem Bericht vor, dementierte die Beschreibung seiner finanziellen Lage aber nicht.

Eine Pleite wäre ein schwerer Schlag für die Berliner Start-up-Szene. Die 2007 gegründete Audio-Plattform, auf der vor allem DJs und Independent-Künstler ihre Tracks teilen, ist eine der wenigen weltbekannten Firmen aus der Hauptstadt. Weil dort jeder sehr einfach Tracks hochladen kann, gleicht Soundcloud einer Oase, oft auch einem Urwald der Kreativität. „Alex und Eric haben etwas gebaut, was niemand sonst hat: Für Creators und DJs ist Soundcloud deren Facebook. Sie schauen jeden Morgen, wer ihre Tracks geliked hat, sie tauschen sich dort aus“, sagt Felix Petersen, einer der ersten Investoren in Soundcloud.

Und anders als etwa Rocket-Chef Oliver Samwer werden Ljung und sein Mitgründer Eric Wahlforss nicht nur respektiert, sondern geliebt. Im Interview erinnert Butcher, wie sich Ljung in den frühen Tagen wortlos auf eine Konferenzbühne stellte, sein Handy ans Mikro hielt und die Musik startete. „Das ist Soundcloud“, habe er dann gesagt und sei wieder gegangen. Keiner verkörperte die Coolness Berlins so wie die tief mit der kreativen Community verbandelten Soundcloud-Gründer.

Nun zeigt sich, dass das Unternehmen mit seiner Heimatstadt noch einiges mehr gemein hat: „Arm, aber sexy“ sind beide. Lange verdiente Soundcloud außer mit etwas Werbung gar kein Geld. Drei Jahre zog sich der Start von „Soundcloud Go“, einem mit Spotify vergleichbaren, 10 Euro pro Monat teuren Abo-Dienst hin, der neben den Millionen exklusiven Tracks auf der Plattform auch die Musik-Kataloge der großen Labels wie Universal oder Sony enthalten sollte.

Die Labels forderten im Austausch für ihre Musik, dass auf der Plattform aufgeräumt wurde. DJ-Remixe, die Samples aus Songs ihrer Künstler enthielten, sollten radikal gelöscht werden. „Alex und Eric hatten die letzten Jahre diesen krassen Balanceakt: Sie mussten einen Teil der Community verprellen für die Deals mit den Labels, gleichzeitig wurden die mit ihren Forderungen immer unverschämter“, sagt Petersen.

Die App entwickelt sich nur langsam

In dieser Zeit entwickelte sich die App viel langsamer weiter als etwa Spotify, die mit ihren „Discover Weekly“ und anderen individualisierten Playlist-Formaten die Streaming-Branche prägen. Selbst eingefleischte Soundcloud-Fans räumen ein, dass ihre Plattform umständlicher und unübersichtlicher ist als die der Konkurrenz. Der Bezahldienst startete schließlich im Oktober 2016 – und wurde dann als schlecht designte Spotify-Kopie verlacht. Viele Nutzer scheint „Soundcloud Go“ bis heute nicht zu haben, Zahlen hat Soundcloud jedenfalls noch keine veröffentlicht.

Auch Investor Petersen zieht das Vorgehen teilweise in Zweifel: „Mit dem genialen Angebot – 100 Millionen Tracks, die niemand sonst bietet – hätte man vielleicht gar nicht den ganzen Katalog der Labels gebraucht, um zu konkurrieren.“ Ein unvollständiges Produkt schneller auf den Markt bringen, wäre ein Option gewesen. Die Vision, dass jeder gute Musiker auch ohne Vertrag mit einem Major Label auf Soundcloud sein Publikum finden würde, scheint jetzt ganz weit weg. Entwickler, die die Vorschlagsalgorithmen immer weiter verbessern, werden einen Krisenladen wie Soundcloud eher meiden. „Ihr hättet die Musikindustrie bei den Eiern packen können“, sagt Moderator Mike Butcher in dem Interview zu Ljung. Es kam genau andersherum.

Dass sich Ljung künftig mehr auf die Community und weniger auf Soundcloud Go konzentrieren will, spricht nicht für eine überlegene Strategie – immerhin hat er vorher die Firma jahrelang darauf fokussiert, während Spotify sein Produkt weiter verfeinerte und steinreiche Konzerne wie Apple, Google und Amazon in den Markt eintraten.

Trotzdem dürfte die Konzentration auf seine Künstlerklientel Soundclouds einzige Chance sein, etwa indem es einen Crowdfundingdienst für Künstler, vergleichbar mit dem erfolgreichen Patreon, in seine Plattform integriert. So könnte es neue Umsätze erschließen, die besser zu seiner Plattform passen.

Um so lange durchzuhalten, braucht Soundcloud aber viel Geld. Das versucht Ljung gerade einzuwerben, wie er auf dem Tech Open Air zugab. In den vergangenen Monaten gingen immer wieder Gerüchte um, ein Konkurrent könnte Soundcloud kaufen. Spotify, so hört man aus Unternehmenskreisen, winkte zum Preis von einer Milliarde Dollar ab. Spätere Angebote sollen sogar deutlich unterhalb der 700 Millionen Dollar gelegen haben, die Soundcloud bei seiner letzten Finanzierungsrunde im Juni 2016 noch wert war.

Ljung und Wahlforss bleiben nun wenige Monate, um Soundclouds Dasein als unabhängige Firma zu retten. Sonst droht ein Notverkauf. Petersen nennt die Kostenkürzungen einen „Befreiungsschlag.“ Die Soundcloud-Gründer hätten die Kosten gesenkt, „um im nächsten halben Jahr oder Jahr profitabel zu werden. Dann können sie unabhängig bleiben oder sind in einer besseren Position, um mit einem anderen zusammenzugehen.“

Das Problem: Die Konkurrenz kann warten, Soundcloud nicht. Das sieht auch Petersen. „Jetzt lassen Spotify und Universal Soundcloud bluten. Jeder weiß, was das für ein phänomenales Asset ist, aber sie wollen nicht den Preis dafür bezahlen.“

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