Der Schlag geht so tief, dass er davon bis heute Ansporn zieht. „Wenn mir Leute sagen, ich könne etwas nicht tun, geht für mich der Kampf erst richtig los“, sagt er in kleiner Runde, wenn er über sich selbst ins Grübeln gerät. Die frühkindliche Demütigung hat aus McDermott einen Mann mit zwei Gesichtern gemacht: hier der Starke, der Brecher, der Kämpfer – den die Herabsetzung durch die Lehrerin beißen und zielstrebig werden ließ.
Dort der Nachdenkliche, der auf einmal nicht wie der aalglatte Verkäufer daherkommen, sondern sich für die Belange der kleinen Leute interessieren kann. Der „Month of Service“, den er bei SAP einrichtete und bei dem jedes Jahr im Oktober die Mitarbeiter sich einen Monat lang um soziale Projekte kümmern, ist für McDermott mehr als ein schickes Aperçu eines reichen Weltkonzerns – denn da packt er gerne selber mit an. Hier blitzt auch die Empathie desjenigen auf, der die schweren Zeiten seines Lebens nicht vergessen, aber den Aufstieg geschafft hat.
„Genau deshalb spreche ich häufig an Schulen und Universitäten“, sagt McDermott. Dann ist er der Buddy, der Kumpel und Kumpan wie an der Universität der Künste in Berlin. Hat ein Student sein Forschungsprojekt präsentiert, springt McDermott auf und umarmt ihn. Wer nicht rechtzeitig in Deckung geht, den klatscht er ab und gibt ihm High-Five: „Wirklich eine großartige Arbeit!“, ruft er begeistert. Und als er den gemalten Entwurf eines Kindes für ein Handy erblickt, das direkt ans Gehäuse eine Dose Pfefferspray anmontiert hat, schmunzelt er: „Ich verstehe – das ist sozusagen die Brooklyn-Ausgabe eines Smartphones.“
Attacke mit dem Bleistift
Da ist er wieder, der heutige SAP-Chef gut 45 Jahre zurückversetzt in die Brooklyn-Version seines eigenen Lebens, in das Städtchen Amityville auf Long Island. Die Eltern, Vater Bill Elektriker, Mutter Kathy Hausfrau, dazu vier Kinder, können sich nur ein kärgliches Eigenheim an einem Kanal leisten. Das Haus, das lange leer stand, hat durch die Nähe zum Wasser Ratten angezogen, die immer wieder in den Wänden und Böden herumkrabbeln. Obwohl die Eltern die Bleibe renovieren, flutet bei Regen immer wieder Wasser herein, müssen die McDermotts Pfützen im Wohnzimmer aufwischen, gehören Eimer und Feudel im Erdgeschoss zur Einrichtung. „Mit vier Kindern floss das Geld nur so durch“, erinnert sich McDermott.
Dabei merkt der Junge schnell, woran das lag, nämlich dass den Eltern die Bildung fehlte, um mehr aus ihrem Leben zu machen. Während Mum sich um die Kinder kümmerte, verdingte sich Dad beim New Yorker Energieversorger ConEdison. Fiel der Strom aus, musste er sich in die Tunnel zwischen Queens und Manhattan zwängen und die gerissenen Hochspannungsleitungen zusammenschweißen. Der Job war gefährlich und brachte wenig ein, dass der Vater die Familienkasse regelmäßig mit weiteren Nebenjobs aufbessern musste. „Harte Arbeit zahlt sich nicht immer aus“, lernt McDermott daraus und schwört sich bereits als Jugendlicher: „Diesen Zustand lasse ich nicht noch eine weitere Generation lang zu.“
Dieser Zustand von damals ist heute Abend ganz, ganz weit weg. Der Besuch der Universität der Künste ist inzwischen rund acht Stunden her. Gut fünf Kilometer entfernt hat McDermott jetzt seinen großen Auftritt im Ritz Carlton am Potsdamer Platz. SAP hat mehrere Hundert Kunden in das Nobelhotel eingeladen. In solchen Momenten genießt es McDermott, dass er ganz oben angekommen ist und nun zu den Großen gehört. Egal, ob Minister, Bundeskanzlerin oder der US-Präsident, die Mächtigen hören ihm zu und schätzen ihn als Gesprächspartner. Heute sitzt er mit Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel auf dem Podium und lässt sich gemeinsam von Ex-Tagesthemen-Sprecherin Sabine Christiansen interviewen.
Als Hasso Plattner, der Mitgründer und Aufsichtsratschef von SAP, verspätet in der ersten Reihe Platz nimmt, scheint für McDermott ein gottähnliches Wesen den Saal zu betreten . Der 70-jährige Grauschopf hat sich 1972 mit vier Kollegen selbstständig gemacht und in vier Dekaden aus einer kleinen Programmierschmiede einen Weltmarktführer für Unternehmenssoftware gezimmert. McDermott deutet mit dem Kopf in Richtung Plattner. „Wir brauchen mehr solcher Helden in Deutschland“, sagt er kurz darauf.
Im Grunde sieht sich McDermott selbst als einen solchen Held. Denn ohne heldenhaften Willen hätte er seine Lehrerin, die ihn zum Unterdurchschnittler abstempelte, mit Sicherheit nicht Lügen gestraft. Einen ersten Vorgeschmack auf seinen unbändigen Drang zum Aufstieg gibt er bereits als Teenager, indem er einen Delikatessen-Laden gründet und mit den Einnahmen sein Studium finanziert. Die Eltern allein hätten das niemals vermocht.
Was er im Leben vorhat, sagt McDermott erstmals im Alter von 22 Jahren ganz offen. Als er sich nach dem Betriebswirtschaftsstudium auf die Stelle eines Verkäufer-Trainees beim Kopiererhersteller Xerox in New York bewirbt, antwortet er auf die Frage des dortigen Niederlassungsleiters nach seinen Plänen: „Ich will hier eines Tages CEO werden.“
Für einen Durchschnittamerikaner wäre dies eine Durchschnittsphrase gewesen, nicht aber für den Arbeitersohn McDermott. „Es war damals nicht nur ein Job-Interview, sondern ich kämpfte praktisch um die Chance meines Lebens“, sagt er heute.
Kämpfen, sich durchboxen – das musste McDermott zeit seines Lebens, anders als sein Vorbild Plattner, der Sohn eines Augenarztes und Sprössling gediegener Verhältnisse. Als McDermott im Alter von zehn Jahren auf der Straße in eine Rangelei mit seinem elfjährigen Nachbarn Angelo gerät, hilft ihm kein Wort, sondern Attacke. Der „Street Fighter“, wie McDermott den Jungen beschreibt, holt mit einem Stein zum Schlag aus, daraufhin zückt Bill in letzter Sekunde einen Bleistift aus der Jackentasche und ritzt Angelo eine fünf Zentimeter lange Schramme in die Wange. Erschrocken lässt der von ihm ab. Von da behelligt ihn kein Kind mehr im Viertel.