Bill McDermott, der Straßenkämpfer Was den SAP-Chef antreibt

Bill McDermott versucht an der Spitze des Softwarekonzerns SAP eine Neuauflage seines eigenen Erfolgswegs. Sein Leben ist gezeichnet von einem unbändigen Willen zum Aufstieg und traumatischen Kindheitserlebnissen.

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SAP-Chef Bill McDermott Quelle: dpa Picture-Alliance

Es ist frühmorgens im grau-kalten Berlin, an der Universität der Künste am Einsteinufer im Stadtteil Charlottenburg. Rund 30 Studenten am Lehrstuhl der Designforscherin Gesche Joost sitzen an ihren Tischen und bekämpfen die Müdigkeit mit Kaffee. Endlich, gegen neun Uhr, trifft er ein, im dunkelblauen Anzug ohne Krawatte, und schreitet schnellen Schrittes in den Raum: Bill McDermott, der Vorstandschef des deutschen Softwarekonzerns SAP.

Die 40-jährige Joost empfängt den hochrangigen Gast mit einem saloppen „Guten Morgen, ich begrüße Sie in unseren bescheidenen Räumen“. Der 53-Jährige antwortet mit der typisch amerikanischen, mittlerweile weltweit verbreiteten Floskel: „Danke, dass ich bei Ihnen sein darf.“

Kopf des SAP-Konzerns

McDermott verantwortet gut 17 Milliarden Euro Jahresumsatz, er gebietet über fast 70.000 Mitarbeiter weltweit, sein Terminkalender quillt über, und wichtige Kunden warten auf ihn. Trotzdem hat er sich an diesem Morgen 90 Minuten für die Studenten freigeschaufelt und lässt sich von Gastgeberin Joost durch das Institut führen, zu dessen Forschungsschwerpunkt die Interaktion zwischen Mensch und Maschine gehört.

Die Entwicklung von SAP

McDermott lässt sich von einer Doktorandin Kleidungsstücke mit einer Art Minicomputer zeigen, die beim Herzinfarkt des Trägers Alarm schlagen. Er widmet sich einem Studenten, der ein Computersystem für Taubstumme entwickelt hat. Die Software übersetzt Sätze, die jemand einem iPad diktiert hat, in das Taubstummen-Alphabet und funkt sie an einen speziellen Handschuh, der die einzelnen Buchstaben als Druckpunkte auf die Fingerkuppen des behinderten Empfängers überträgt.

Menschenfischer und Charmebolzen

Bei einem dritten Studenten verharrt McDermott besonders lang. Der Mittzwanziger hat Prototypen ausgefallener Geräte gebastelt, darunter ein Handy, das mit dem gespeicherten Datenvolumen wächst. „Das Vorbild bei diesem Gerät ist ein herkömmliches Buch – hier ist die Nutzung etwa beim Durchblättern denkbar einfach. So etwas könnte man auch digital versuchen“, erläutert der Student McDermott auf Englisch. „Weißt du schon, wo du hingehst, wenn du mit deiner Doktorarbeit fertig bist?“, fragt der SAP-Chef. Der Student wirkt geschmeichelt – sollte das ein Jobangebot sein?

McDermott gefällt sich an diesem Morgen im vergangenen November in seiner Rolle: er, der lockere sympathische Ami, der Menschenfischer und Charmebolzen. Ob vor Studenten heute Vormittag, auf der Mitarbeiterversammlung in der Konzernzentrale in Walldorf vor wenigen Wochen oder auf der Veranstaltung mit Kunden an diesem Abend – Allüren sind dem Mittfünfziger, der seit Mitte 2014 allein an der SAP-Spitze steht, in solchen Situationen so fremd wie einem SAP-Mitarbeiter die Angst vor dem Programmieren.

Doch der smarte Strahlemann fürs Publikum ist nicht der einzige McDermott und auch nicht der Konzernboss, der er nach innen sein muss. Es gibt einen dritten mindestens so wichtigen McDermott, der zwar selten, aber immer wieder durch die Glitzer- und die Cheffassade durchscheint: der Aufsteiger aus einfachsten Verhältnissen, der sich vielen Widrigkeiten zum Trotz ganz nach oben geboxt hat. Diesen McDermott will er in Momenten wie vor den Studenten in Berlin nicht verstecken, im Gegenteil: Dann will er Vorbild für die junge Generation sein und allen zeigen, seht her, es geht, auch ich habe es geschafft. Diese Seite ist mehr als ein Randaspekt in McDermotts Persönlichkeit. Nicht zufällig hat er schon mit 53 Jahren, im besten Managementalter, eine Biografie verfasst. „Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme“, sagt er, hebt die Hände beschwörend und zeigt auf sich selbst. „Das will ich weitergeben.“

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Getrieben von der Vergangenheit

Und McDermott hat viel weiterzugeben. Es ist die harte, aber geglückte Variante des legendären Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär, der heute in den USA immer weniger funktioniert. Geboren 1961 in Flushing im New Yorker Stadtteil Queens und aufgewachsen in ärmlichen Arbeiterquartieren auf Long Island im US-Bundesstaat New York, hat McDermott von klein auf gelernt, Schicksalsschläge und Entsagungen wegzustecken.

Gerade sieben Jahre alt, erlebt er, wie sein jüngerer, krank geborener Bruder Jamie nach diversen Operationen stirbt. Dann brennt das Haus ab, das sich die Eltern nach vielen Jahren endlich leisten konnten; McDermott steht mit Vater, Mutter und den beiden jüngeren Geschwistern in Decken gehüllt und sieht den Traum in den rauchenden Trümmern untergehen.

Den schmerzlichsten Hieb, der ihn für immer prägen sollte, erhielt der Junge aber als Sechsjähriger von Nonne Jean Agnes, der ersten Lehrerin in der Grundschule Ende der Sechzigerjahre. Die resolute Frau, die den Heranwachsenden des Öfteren mit dem Lineal für seine schlechte Handschrift schlägt, fällt über ihn vor dem Vater – in seinem Beisein – das apodiktische Urteil: Bill sei ja ein guter Junge, aber die Eltern sollten nicht zu viel von ihm erwarten. „Er wird es vermutlich mal zum Mechaniker oder Lkw-Fahrer bringen.“

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