Biere Drei Kräne stehen wie Landmarken auf dem leicht abfallenden Gelände. Links ein Feld, rechts ein Feld. Dahinter weiß-graue Gebäude mit wenigen Fenstern. Bauarbeiter basteln aus langen Eisenstangen ein Fundament. Johannes Krafczyk steht am Fenster des zweiten Stocks des provisorischen Containerbüros und zeigt auf die Männer in ihren gelben Warnwesten. Die meisten hätten schon beim Bau des ersten Gebäudes mitgearbeitet, erzählt er, und als dann klar war, dass das Rechenzentrum erweitert würde, hätten sie explizit danach gefragt, ob sie auch dies mal wieder mit von der Partie sein könnten.
Auch Krafczyk war von Anfang an mit dabei. Als hier in Biere, in der Nähe von Magdeburg, nur Brachland zwischen den Feldern war. Der T-Systems-Manager hatte bei der Suche nach einem Standort mitgeholfen, als der Konzern sich 2011 dazu entschlossen hatte, ein neues Rechenzentrum für Cloud-Angebote zu bauen – jene IT-Dienstleistungen, die nicht mehr auf Servern im eigenen Unternehmen laufen, sondern von Dritten angeboten werden.
Darin steckt für die Cloud-Anbieter viel Potenzial. Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom, im Auftrag der Wirtschaftsprüfergesellschaft KPMG nutzen vergangenes Jahr bereits 54 Prozent der Unternehmen Dienste aus der Cloud. Weitere 18 Prozent sollen dies planen oder diskutieren. Den Marktforschern von IDC zufolge werden im Jahr 2019 Unternehmen weltweit 141 Milliarden Dollar für Cloud-Services ausgeben. 2015 waren es halb so viel.
Vor- und Nachteile von Cloud Computing
Wer all seine Informationen in einer Cloud speichert, ist vom Anbieter abhängig. Sollte der sich möglicherweise nur unzureichend um seine Kunden kümmern, ist ein Wechsel zu einem anderen Anbieter meist schwierig, da die Datenmengen groß sind. Ein weiteres Problem: Für den Fall, das ein Anbieter pleite geht, gibt es keine klaren Regelungen. Erst wenn es Standards gibt, die einen Anbieterwechsel ermöglichen, sinkt die Abhängigkeit.
Dienstleister, die Clouds anbieten, beschäftigen sich in der Regel intensiv mit dem Thema Datenschutz. Allerdings sind große Datenmengen auch immer ein attraktives Ziel für Hacker. Die Auslagerung der eigenen Daten in eine Cloud bedeutet somit auch immer einen Kontrollverlust.
Die Menge des Speicherplatzes im Netz kann flexibel angepasst werden. Benötigt man mehr Speicherplatz, kann man einfach die angemieteten Kapazitäten erhöhen, anstatt sich teure Hardware kaufen zu müssen.
Der Administrationsaufwand sinkt, wenn man eine Cloud benutzt. Da die Installation auf dem eigenen Computer entfällt und auch Updates von den Cloud-Anbietern durchgeführt werden, kommt es hier zu einer großen Zeitersparnis.
Wer mit einer Cloud arbeitet, kann flexibel auf Daten zugreifen. Dabei spiel der Ort keine Rolle. Sowohl von Smartphones, als auch von Tablets und Computern aus können die Informationen abgerufen werden.
Die Deutsche Telekom setzt ebenfalls auf diesen neuen Umsatztreiber. 2014 eröffnete sie über ihre Tochter T-Systems das Rechenzentrum in Biere. Kapazität: 20.000 Server. Das sei natürlich nur ein Durchschnittswert, erklärt Manager Krafczyk und macht sich auf den Weg in Richtung des weiß-grauen Gebäudes. Dort gebe es acht Server-Räume mit rund 2500 Servern pro Raum. Aufgrund der unterschiedlichen Größe und Leistung der Geräte sei dies aber nur eine ungefähre Angabe.
Zur besseren Vorstellung: Die Telekom könnte hier die Inhalte von mehr als 16,6 Milliarden Büchern speichern – und doch wird es langsam eng. Rund 600 Großkunden haben die Cloud-Dienste von T-Systems gebucht, darunter Shell, Daimler, Microsoft oder auch das Schweizer Forschungsinstitut CERN.
Also baut die Telekom aus. Zur Grundsteinlegung am heutigen Montag kam extra der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff, ins „Never Never Land“, wie Manager Krafczyk die Region mit Bezug zum australischen Outback liebevoll nennt. Es sei ein „Vorzeigeprojekt erster Güte“, hatte der Politiker erklären lassen. Gemeinsam mit Ferri Abolhassan, als Geschäftsführer bei T-Systems unter anderem für das Cloud-Geschäft verantwortlich, hat er den Grundstein für das neue Gebäude gelegt. 170 Millionen Euro investiert die Telekom hier. Seit November vergangenes Jahres ist der Bau in Planung, seit zwei Monaten bauen die Arbeiter am Fundament. Mitte 2018 soll alles fertig sein, mit der Erweiterung soll das Rechenzentrum 150 Petabyte speichern können.
„Wir wollen Amazon angreifen“
Abolhassan hat besonders ehrgeizige Pläne: „Wir wollen Amazon angreifen“, hatte er seinen Anspruch formuliert. Amazon ist über seine Tochter Amazon Web Services (AWS) derzeit Marktführer im Cloud-Geschäft. Der Anspruch der Telekom ist es, im Cloud-Geschäft 20 Prozent im Jahr zu wachsen. Das scheint sie in diesem Jahr zu schaffen. In den ersten sechs Monaten stieg der Umsatz um 22 Prozent auf rund 700 Millionen Euro.
T-Systems-Chef und Telekom-Vorstand Reinhard Clemens betrachtet diese Zahlen dennoch mit gemischten Gefühlen. Er sei zwar zufrieden, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt, aber „ich glaube, da geht mehr. Wir können das noch größer machen. Da müssen wir jetzt dranbleiben."
Dabei will er besonders an zwei Stellschrauben drehen: „Wir verbessern die Vertriebsschiene noch weiter und müssen Produkte noch stärker vom Kunden her denken“, erklärt der Manager. Denen macht er Geschmack auf die Cloud, indem er ihnen Mehrwert durch die Vernetzung ihrer Daten verspricht: „Daten zu sammeln macht nur Sinn, wenn man das an einem zentralen Ort tut, an dem sie auch ausgewertet werden können.“ Das würden viele Unternehmen jedoch noch nicht tun, wobei kleinere sich bei der Digitalisierung leichter tun würden, „weil die Prozesse übersichtlicher sind und Entscheidungen schnell und konsequent umgesetzt werden.“ Allerdings macht er auch auf einen Punkt aufmerksam: „Cloud-Dienste werden nicht in erster Linie zum Geldsparen eingesetzt.“ Dabei ginge es vielmehr um Vereinfachung und auch um Sicherheit.
Die Sicherheit beginnt in Biere am Zaun mit Übersteigschutz. Durch das Drehkreuz am Eingang kommt nur, wer vorher mit dem Pförtner gesprochen hat. Auf die grüne Wiese vor den Gebäuden sind Nachtsichtkameras und Bewegungsmelder gerichtet. Im Haus selber kommt nur weiter, wer eine Karte hat und das Passwort eingibt. T-Systems Manager Krafczyk hält seine weiße Plastikkarte vor das Lesegerät und behindert geübt den Blick Außenstehender mit dem Rücken, während er den Code eingibt.
Sicherheit, das habe auch etwas mit Gefühlen zu tun, Vertrauen, erklärt er, besonders bei mittelständischen Unternehmen. „Man muss die Sorgen der Mittelständler verstehen“, sagt er. Sie seien anders als die der Großkonzerne. „Sie lagern Ihre Prozesse und sensible Daten nicht einfach so aus. Das hat auch viel mit Emotionen zu tun.“ Krafczyk öffnet eine schwere Tür, die aufschwingt und den Blick auf die Brücke freigibt, die zwei Gebäude miteinander verbindet. Sie ist der einzige Weg in das Innere des Rechenzentrums, das gerne als „Fort Knox für Daten“ bezeichnet wird. Wer zu den Servern gelangen will, muss hier rüber. Alle anderen Türen nach draußen lassen sich nur von Innen öffnen.
Eigenes Umspannwerk für das Rechenzentrum
Das Gebäude sei von den Ingenieuren von Innen nach Außen geplant worden, erzählt Krafczyk. Vor ihm stapeln sich die Server in ihren Schränken übereinander. Sie sind das Herz dieses Organismus, der die digitale Gesellschaft am Leben erhält. Ihnen darf nichts passieren, unter keinen Umständen. Und sie sind anspruchsvoll: Server überhitzen schnell und müssen gekühlt werden. Also wurde in dem sechs Meter hohen Raum auf 1,40 Metern ein zweiter Fußboden eingezogen, unter dem kühle Luft zu den Servern geleitet wird. 21 Grad hat sie, wenn sie dort ankommt, mit 31 Grad pusten die Server sie wieder aus. Damit haben sie optimale Betriebstemperatur.
All das kostet Strom – und zwar viel. Die beiden Module mit ihren je vier Serverräumen verbrauchen im Jahr etwa 82 Gigawatt. Um das zu stemmen, hat der örtliche Energieversorger ein eigenes Umspannwerk neben das Rechenzentrum gebaut.
Doch der Strom muss auch fließen, wenn er mal nicht aus der Leitung kommt. „Man muss für einen rein statistischen Risikofall, bei dem man den heißesten Tag des Jahres einrechnen muss, von dem man nicht weiß, wie heiß er ist, alles planen und dann auch bauen“, sagt Krafczyk. Also hat die Telekom acht 16-Zylinder-Schiffsdieselmotoren im Gebäude aufgestellt, die mit einer Heizung immer auf 30 Grad Betriebstemperatur gehalten werden. Damit können sie innerhalb von 30 bis 40 Sekunden hochgefahren werden.
In zwölf Tanks, die um das Gebäude vergraben liegen, wird eine halbe Million Liter Diesel vorgehalten. Bei normalen Bedingungen könnten sie hier zehn Tage ohne Strom durchhalten, sagt der Manager mit Blick vom Dach des Gebäudes, auf dem an heißem Tagen die Luft mit Wasser zusätzlich gekühlt wird.
Unter ihm sind die Bauarbeiter immer noch damit beschäftigt, lange Eisenstangen für das Fundament zu verweben. Doch an Krafczyks Blick ist erkennbar, das er das neue Gebäude schon vor sich sieht und auch das daneben, wo jetzt nur blanke Erde ist. Bis zu 20 Module kann die Telekom hier bauen – wenn der Erfolg es zulässt.