De Maizière auf der Republica „Digitalisierung setzt Mündigkeit des freien Menschen voraus“

Mit Krawatte zur Internetkonferenz: Auf der Republica hat sich Innenminister Thomas de Mazière den Fragen der Netzgemeinde gestellt. Es ging um Cyberangriffe, Donald Trump – und die Freiheit im digitalen Zeitalter.

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„Wie viel Freiheit wollen wir den Algorithmen überlassen?“ Quelle: Nora Sonnabend

Berlin Die Republica ist eine Mischung aus Kirchentag und Festival: Gesprächsrunden, plakative Entspanntheit und Foodtrucks. Eigentlich kaum vorstellbar, dass Thomas de Maizière hier staatstragend in Anzug und Krawatte durch die hippen Hallen der Netzkonferenz eilt, um sich den Fragen im netzpolitischen Dialog zu stellen. Doch der Bundesinnenminister kommt tatsächlich – sogar mit Krawatte, allerdings durch einen Nebeneingang,

Die Ankündigung liest sich eindrucksvoll: Es geht um Datensparsamkeit und Biometrie sowie die Zukunft des Datenschutzes, Cyberkapazitätenbildung der Bundesregierung und Staatstrojaner. Der Zeitpunkt für die Diskussion könnte nicht besser sein: Zur Frankreichwahl veröffentlichten Hacker vermeintlich private Unterlagen des Kandidaten Emmanuel Macron. Manch ein Experte verdächtigte den russischen Geheimdienst, hinter der Aktion zu stecken, um die Gegenkandidatin Marine Le Pen zu stärken.

In den Vereinigten Staaten hat US-Präsident Donald Trump gerade den FBI-Direktor James Comey entlassen, der auch die Ermittlungen wegen möglicher Russlandkontakte des Trump-Teams leitete. Reichlich Gesprächsstoff für die Runde, die moderiert wurde von Republica-Mitorganisatorin Geraldine de Bastion und an der neben de Maizière, Constanze Kurz, Sprecherin für den Chaos Computer Club (CCC), und Journalist und Republica-Gründer Markus Beckedahl teilnahmen.

Schon eine fast eine Dreiviertel Stunde vor Beginn der Diskussion ist die Halle geschlossen – „Over Capacity“ steht an Schildern am Eingang. Zu Beginn bekommt der Minister knapp eine halbe Stunde Zeit für seinen Vortrag. Dabei geht es ihm vor allem um die Freiheit in Zeiten der Digitalisierung. De Maizière erkennt eine Polarisierung: Die einen sähen eine fundamentale Freiheitsbedrohung, die anderen einen Heilsbringer: „An beides glaube ich nicht“, sagt de Maizière.

Das Netz fördere Freiheit – das sei zu Recht lange auch fester Bestandteil der netzpolitischen Diskussion gewesen. Jetzt schlage das Pendel aber in eine übertriebene Richtung. Das Internet sei kaputt, ein Ort des Populismus, des Hasses oder der Fake-News, eine Kloake, meinten manche: „Dem möchte ich entgegentreten“, sagte der Minister.

Das Internet stehe weiter für Freiheit, insbesondere die grenzenlose Kommunikation. Aber auch Freiheitsausübung brauche Regeln – und dort sei der Staat als Garant der Freiheit in der Verpflichtung. Doch einfach sei das nicht. Oft fehlten rechtliche für technische Lösungen – und umgekehrt. Das Hauptproblem: Die Wirkung neuer Technologien können nur schwer vorhergesehen werden – eine zu frühe Regulierung würde gute Entwicklungen ersticken. Haben sie sich durchgesetzt, kann oft nicht mehr gestaltet werden, meint de Maizière.

Dabei nannte der Minister zum Beispiel die Algorithmen: Die seien sind niemals neutral. Ihre Entscheidungsprozesse würden von Schöpfern und Anwendern für ein bestimmtes Ziel geschaffen. Das sei eine politische Entscheidung: „Wie viel Freiheit wollen wir den Algorithmen überlassen?“ Deutlich wird der auch in Bezug auf digitale Grundrechte: „Sie stehen schon im Grundgesetz – man muss sie nur anwenden.“


Diskussion um die Rolle der Geheimdienste

Die Rolle des Staates bestehe in der Begleitung der digitalen Transformation und der Durchsetzung von Freiheit und Gleichheit: „Die Digitalisierung setzt die Mündigkeit des freien Menschen voraus.“ Aber auch die Bürger sieht der Minister in der Pflicht – auch er müsse lernen sich zu schützen: „Und Unternehmen müssen Sicherheit per Design implementieren.“ Am Ende seines Vortrags gibt es höflichen Applaus.

Im Anschluss folgt die Diskussion im Stile eines TV-Duells. Und da muss sich der Minister natürlich einige Kritik gefallen lassen. Constanze Kurz gibt zur Einleitung zu bedenken, dass sich die meisten Innenminister so einer Diskussion nie gestellt hätten.

Große Unstimmigkeit herrscht dann vor allem bei der Rolle der Geheimdienste. Kurz erinnert de Maizière daran, dass dieser selbst Opfer der NSA-Bespitzelung wurde, aber nichts unternommen habe. Der CDU-Politiker entgegnet auf die Frage, was vier Jahre nach den Snowden-Enthüllungen bleibe: „Wir dulden und wollen keine Spionage.“ Lachen im Publikum. Er habe den 360-Grad-Winkel eingeführt, entgegnet de Maizière, man schaue in alle Himmelsrichtungen. Allerdings sei man auf die Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eben auch auf den Austausch von Informationen angewiesen.

Er sieht zudem ein Dilemma: „Was tun, wenn wir Hinweise vom saudi-arabischen Geheimdienst über Terroranschläge in Deutschland bekommen?“ Ablehnen, weil man das politische System nicht gutheiße? Netzaktivistin Kurz entgegnet, dass dann auch Informationen aus syrischen Folterkellern verwendet werden könnten. De Maizière drängte das Thema wieder in Richtung Terrorismus und gäbe keine Antworten darauf, wie der Staat gegen die Überwachung durch die NSA vorgehen würde.

Auch beim Thema Vorratsdatenspeicherung und Staatstrojaner herrschte wie zu erwarten keine Einigkeit. Beckedahl und Kurz kritisierten, dass mit Steuergeldern Informationen über Sicherheitslücken gekauft werden könnten. De Maizière verteidigte die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf die Ermittlungen bei Wohnungseinbrüchen.

Dabei blieb der Innenminister trotz kritischem Publikum souverän und sorgte dann zwischendurch für Lacher, als er sich über die Zwei-Minuten-Regelung beklagte: „Darf ich antworten?“ „Nein, jetzt kommt die nächste Frage“, antwortete Moderatorin de Bastion. „Dann möchte ich zu Protokoll geben, dass ich gerne geantwortet hätte“, entgegnete der Minister.

Am Ende gab es dann doch noch Einigkeit: Als zwei Politiker der Piratenpartei die Fragerunde des Publikums nutzen wollten, um dem Minister einen Negativpreis zu überreichen, kam es kurz zum Tumult – de Maizière antwortete: „Kein Wunder, dass die Piraten so aus den Landtagen verschwinden.“ Applaus.

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