Dieter Kempf greift gern zum Mikrofon – am liebsten vor großem Publikum. Enge Vertraute bezeichnen den Vorstandsvorsitzenden des IT-Dienstleisters Datev in Nürnberg sogar als „echte Rampensau“. Zur Hochform läuft der 51-Jährige mit dem markanten Schnäuzer und der langen Nase immer dann auf, wenn er sich in Berlin als oberster Lobbyist der deutschen IT-Industrie lautstark zu Wort meldet.
Kempfs Stimme hat Gewicht. Als Präsident des Bundesverbandes Informationstechnik, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) vertritt er die Interessen von mehr als 1200 Mitgliedsunternehmen. Trotz unterschiedlicher Interessenlagen hat er es meist geschafft, die überwiegende Mehrheit der in Deutschland aktiven Hardware-, Software- und Telekommunikationsanbieter hinter sich zu scharen.
Fürchterliches Geplänkel
Seit einigen Wochen aber muss Kempf einen Konflikt lösen, der genauso viele Emotionen weckt wie das ebenso heiß diskutierte Thema Netzneutralität. Zwist und Zwietracht sät vor allem ein Mann – Edward Snowden. Die Enthüllungen des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes NSA über die Spähprogramme amerikanischer und britischer Geheimdienste haben im Bitkom eine heftige Kontroverse ausgelöst. Denn die Antwort auf die Frage, wie Deutschland das permanente Ausspionieren des gesamten Datenverkehrs im Internet unterbinden könne, treibt einen tiefen Keil in den IT-Dachverband.
Die Diskussionen gipfeln in einem harten Richtungsstreit. „Hinter den Kulissen fliegen die Fetzen, zeitweise stand der Verband vor einer echten Zerreißprobe“, berichtet ein Insider. Ein anderer spricht von einem „fürchterlichen Geplänkel“.
US-Unternehmen wehren sich gegen den Generalverdacht
Geheime, der WirtschaftsWoche vorliegende Protokolle zeichnen das Bild eines harten Schlagabtausches zwischen deutschen und US-amerikanischen Unternehmen, der bisweilen höchst skurrile Züge annimmt. Auf der einen Seiten stehen die hiesigen IT-Firmen. Angeführt von der Deutschen Telekom, wollen sie das gegenwärtige Misstrauen in die USA nutzen, Deutschland als vertrauenswürdigen IT-Standort zu stärken. Ziel ist es, mit besonders sicherer Hard-, Soft- und Kommunikationsware made in Germany oder Europe in die schier übermächtige Phalanx der US-Internet-Giganten einzudringen, die wegen ihrer undurchsichtigen Datensammelleidenschaft und der Zusammenarbeit mit der NSA in die Schlagzeilen geraten sind.
Vorschlag zum europäischen Datenschutz
Die Telekom wollte den USA den Status des sicheren Hafens für Daten (Safe Harbor) aberkennen.
Statt zu kündigen, will der Bitkom das Abkommen nur neu verhandeln.
„Bitkom setzt sich hierbei für einen modernen, auf einem hohen Niveau harmonisierten Datenschutz in Europa und in der Welt ein. Ohne Vorliegen eines entsprechenden Abkommens sollte die Herausgabe von Daten europäischer Nutzer unzulässig sein. Etwaige Auskunftsersuchen müssen dabei im Wege eines Amtshilfeersuchens gegenüber Staaten und nicht direkt gegenüber Unternehmen erfolgen...
Die Bundesregierung sollte sich darüber hinaus für die Abschaffung von Safe Harbor und Außerkraftsetzung der korrespondierenden Entscheidung der Europäischen Kommission einsetzen.“
„Diese Forderung ist aus Sicht nationaler Anbieter sicherlich wünschenswert, geht aber an der Realität vorbei. Bitkom sollte sich im Sinne aller seiner Mitgliedsunternehmen dafür einsetzen, dass Innovation und Wachstum durch Wettbewerb für nationale und internationale Unternehmen stattfinden kann und dazu ein geeigneter Ordnungsrahmen geschaffen wird. Wir dürfen in diesem Kontext nicht vergessen, dass staatliche Organisationen (ob nun ausländischer oder inländischer Geheimdienste) gegen geltendes Recht verstoßen haben, nicht die Unternehmen selbst. Eine jüngste Studie hat in der letzten Woche zutage gebracht, dass inländische Geheimdienste eine fast analoge Vorgehensweise haben. Dies sollte auch die Bitkom-Geschäftsstelle nicht ignorieren.“
„Der reine Schutz des Heimathafens geht an einer globalen Lösung, welche notwendig ist, vorbei und ist nicht praktikabel.“
„Es sollte keine Formulierung zu Safe Harbor aufgenommen (werden, Anm. der Red.), die eine Kündigung des Abkommens verlangt. Zwar sind Nachverhandlungen durchaus sinnvoll, aus Gründen der Rechtssicherheit aber nicht aus einem gekündigten Zustand heraus.“
Die Gegenseite, mit Google, Microsoft und Amazon als Speerspitze, wehrt sich gegen den Generalverdacht, eng mit den US-Geheimdiensten zu kooperieren. Um diesen loszuwerden und um Umsatzrückgängen vorzubeugen, sind Google und Co. zu kleineren Zugeständnissen im Geschäft mit dem Internet wie mehr Transparenz beim Datensammeln bereit. Grundsätzlich aber torpedieren die Amerikaner hierzulande alle Vorschläge, die den weltweiten Datenverkehr im Internet einschränken und damit ihre dominante Marktstellung untergraben.
Eskaliert ist der Konflikt im Branchenverband Bitkom, in dem die US-Anbieter traditionell sehr stark vertreten sind und wichtige Spitzenposten besetzen. Mit Christian Illek, Martina Koederitz und Oliver Tuszik gehören die Deutschland-Chefs von Microsoft, IBM und Cisco dem höchsten Bitkom-Gremium, dem Präsidium, an und sind damit maßgeblich an den dort gefassten Beschlüssen beteiligt. Nach mehreren Sondierungsrunden mit über 100 Korrekturen am ersten Entwurf konnte das Präsidium schließlich am 30. Oktober 2013, vier Monate nach Veröffentlichung der ersten NSA-Dokumente, das Positionspapier einstimmig verabschieden.