Deutsche Telekom Warum Höttges den Neustart wagt

Konzernchef Timotheus Höttges steht unter Druck: Im Boommarkt USA will er fusionieren – und in Europa die Krisensparte T-Systems aufspalten. Für den Neustart müssen zwei Vorstände gehen. Reicht das?

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Telekom-Chef Höttges Quelle: Laif

Wenn der Telekom-Chef seine Führungskräfte in der Bonner Konzernzentrale auf alte und neue Ziele einschwört, klingt das schon mal wie die letzten Worte eines Bundesligatrainers vor dem Spiel. „Ich hasse es zu verlieren, ich kann einfach nicht verlieren“, ruft Timotheus Höttges gerne. „Ich möchte gewinnen“, spornt der 55-Jährige sein Team dann an und fügt, fast schon entschuldigend, noch einen Satz hinzu: „Deswegen gucke ich auch manchmal etwas grimmig, wenn das nicht sofort gelingt. Aber dann arbeiten nur meine Prozessoren.“

In den vergangenen Wochen waren Höttges’ Gehirnzellen stark gefordert. Er verhandelt wieder mit dem Rivalen Sprint über eine Fusion unter Führung der Telekom, ein Zusammengehen würde ihm helfen, in den USA Kosten zu sparen. Und intensiv hat der Vorstandschef darüber nachgedacht, ob sein Vorstandsteam in Bonn noch richtig zusammengesetzt ist.

Als Ergebnis wechselt er nun gleich zwei langjährige Weggefährten aus. Reinhard Clemens, Chef der Geschäftskundensparte T-Systems, muss ebenso vorzeitig zum Jahresende gehen wie der für Deutschland zuständige Vorstand Niek Jan van Damme. Trotz aller noch vor wenigen Wochen abgegebenen Treueschwüre hat Höttges beiden offensichtlich nicht mehr zugetraut, die Marktanteilsverluste bei Großkunden zu stoppen und die Trendwende im deutschen Festnetz einzuleiten.

Zahlen und Fakten zum Mobilfunk-Markt

Schaffen sollen das jetzt Dirk Wössner, der nach drei Jahren als Vorstand bei Rogers Communications in Kanada zur Telekom zurückkehrt, und ein namentlich noch nicht bekannter „männlicher IT-Manager, den niemand auf der Rechnung hat“, wie es im Unternehmen heißt.

Zum ersten Mal seit seinem Aufstieg zum Vorstandsvorsitzenden vor vier Jahren steht Höttges unter Druck. Mit seiner Strategie, mit dem „besten Netz“ und dem „besten Kundenerlebnis“ den „führenden Telekommunikationskonzern in Europa“ mit einer wachsenden Zahl von Privat- und Geschäftskunden aufzubauen, kommt er nicht so schnell voran wie geplant. Zwar eilt die US-Tochter T-Mobile von Erfolg zu Erfolg, übertrifft alle internen Wachstumsvorgaben. Doch die guten Zahlen aus Amerika übertünchen die Problemzonen im deutschen und europäischen Kerngeschäft kaum. Statt wie geplant zu wachsen, sackten die Umsätze hier von 2014 bis 2016 um 1,3 Milliarden Euro auf 44,9 Milliarden Euro ab.

Umsatzentwicklung weltweit und in Europa seit dem Amtsantritt von Telekom-Chef Tim Höttges.

Im ersten Halbjahr 2017 schlossen die Sparten Deutschland und Europa zwar mit einem kleinen Umsatzplus ab. Dafür brach der Umsatz mit den Großkunden noch stärker ein. Das gefällt auch Anlegern nicht. Nach einem Zwischenhoch von 18 Euro im Mai war der Kurs wieder auf 15 Euro gefallen – stieg zuletzt aber wieder, seit die Fusionsverhandlungen mit Sprint durchsickerten.

Geschäftslage bei T-Systems wird schwieriger

Zugespitzt hat sich die Geschäftslage vor allem bei T-Systems. Dabei sollte die Sparte „führend bei Geschäftskunden“ werden, sich als „Digitalisierer der deutschen Wirtschaft“ profilieren und gemeinsam mit der heimischen Industrie das „Wirtschaftswunder 4.0“ schaffen. Die Anfang 2015 vorgelegte interne Mittelfristplanung sieht deshalb ein jährliches Umsatzplus von durchschnittlich drei Prozent vor. Doch das Geschäft mit externen Kunden geht zurück – und das, obwohl der IT-Markt mit Lösungen rund um Trendthemen wie Cloud Computing und Internet der Dinge zweistellig wächst.

Einige gescheiterte IT-Projekte haben das Ansehen von T-Systems bei den IT-Verantwortlichen großer Konzerne empfindlich lädiert. Bei zwei Großvorhaben mit deutschen Konzernen, die nicht genannt werden wollen, schlugen die Telekom-Alarmsysteme sogar so spät an, dass T-Systems Strafen wegen nicht rechtzeitig gelieferter Leistungen zahlen musste. Clemens hat das verlorene Vertrauen kaum zurückgewonnen. Zwar sprach der Spartenchef selbst unermüdlich bei potenziellen Kunden vor. Aufträge brachte er von seinen Ausflügen aber zu wenig mit, um die Einbußen auszugleichen.

Auch sein noch unbekannter Nachfolger dürfte es schwer haben. Die Lage ist so verfahren, dass der Telekom-Vorstand erneut über einen schon früher heiß diskutierten Plan nachdenkt. Danach könnte er T-Systems in zwei unabhängige Sparten aufspalten: in eine für das klassische Outsourcing von Rechenzentren verantwortliche IT-Tochter und einen näher an Vernetzungsthemen rund um die Fabrik 4.0 und das Internet der Dinge arbeitenden Geschäftsbereich „Digital und Telecommunications“.

John Legere führt T-Mobile als rebellischer Chef aus der Krise. Doch bei der Suche nach Fusionspartnern läuft es für ihn gerade nicht so gut.
von Jürgen Berke, Matthias Hohensee

Zusammen mit einem strategischen Partner oder Finanzinvestor könnte vor allem die abgespaltene IT-Tochter schneller die Trendwende schaffen. Das Konzept der gemeinsamen Sanierung und des anschließenden Verkaufs hat die Telekom schon bei der Scout-Gruppe praktiziert.

Mit der Suche nach einem geeigneten Partner hat Höttges seinen Vertrauten Thorsten Langheim betraut. Der ehemalige Manager der Private-Equity-Gesellschaft Blackstone orchestriert als „Generalbevollmächtigter Unternehmensentwicklung“ alle Verkäufe und Übernahmen. Als Aufsichtsrat von T-Systems kennt er sich mit den Problemen bestens aus. IT-Experten der Telekom bezweifeln jedoch, dass sich überhaupt ein Investor für den Sanierungsfall findet. Die Telekom teilte auf Anfrage mit, die Pläne zur Aufspaltung seien „Spekulation“ und will sich nicht weiter äußern.

Markenwerte der wertvollsten Telekommunikationsmarken

Vor zehn Jahren, kurz nach dem Amtsantritt von Höttges’ Vorgänger René Obermann, hatte die Bundesregierung die ersten Verkaufspläne von T-Systems noch gestoppt. Berlin fürchtete, dass ein neuer, womöglich ausländischer T-Systems-Eigner Einblicke in die geheimen Datentransfers der Regierung bekommt. Die Gefahr besteht nun nicht mehr. Denn anstelle einer privaten Gesellschaft soll künftig die Bundesanstalt für Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) den Datenaustausch zwischen den Behörden steuern. Das Gesetz dazu hat der Bundestag bereits im Frühjahr verabschiedet.

Mobilfunk gut, Festnetz schlechter

Vor einem Neuanfang steht auch der kommende Deutschlandchef Wössner. Dabei hat Vorgänger van Damme im Mobilfunk im ersten Halbjahr 2017 die besten Zahlen in der Geschichte der Telekom abgeliefert. Er habe „mit einem Marktanteil von 37,3 Prozent den größten Abstand aller Zeiten zu Vodafone realisiert“, heißt es lobend in einer internen Quartalsanalyse.

Dafür läuft es im Festnetz umso schlechter. Hier muss Wössner einen gefährlichen Trend stoppen. Die immer schnelleren Internetanschlüsse der konkurrierenden Glasfaseranbieter und TV-Kabelnetzbetreiber sorgen dafür, dass die Telekom zu wenig Neukunden gewinnt. Mit 13 Millionen DSL-Kunden und einem Marktanteil von knapp über 40 Prozent liegt die Telekom bundesweit zwar immer noch auf Platz eins. Doch in Ballungszentren ist der Kundenschwund so groß, dass ihr Marktanteil auf Werte zwischen 18 und 30 Prozent gefallen ist.

In Hamburg etwa hat das Duo der beiden Regionalanbieter Wilhelmtel und Willytel schon so viele Kunden angelockt, dass die Telekom heute nur noch jeden fünften Kunden versorgt. In München hat Dorit Bode, Geschäftsführerin der Stadtwerke-Tochter M-Net, angekündigt, dass sie noch in diesem Jahr Marktführer werden will. In Köln beansprucht die Stadtwerke-Tochter Netcologne mit insgesamt 240.000 Glasfaserkunden die Führungsposition schon seit ein paar Jahren für sich.

Selbst Lockangebote von monatlich 19,95 Euro im ersten Jahr helfen der Telekom bisher wenig. Im ersten Halbjahr hat sie die Planvorgaben beim Netto-Neukundenzuwachs nicht erreicht. Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass sie ihr 2015 ausgerufenes Ziel von 13,6 Millionen Breitbandkunden bis Ende 2018 ebenfalls verfehlen wird. 600.000 Neukunden müsste die Telekom in den kommenden 15 Monaten netto dazugewinnen. Solch eine Aufholjagd ist nicht mehr zu schaffen. „Breitband ist noch nicht auf Zielkurs“, räumt das Unternehmen selbst in einer internen Bilanzanalyse ein.

Ähnlich schwach läuft das prestigeträchtige TV-Produkt Entertain, mit dem die Telekom das zeitversetzte Fernsehen im Wohnzimmer etablieren will. Trotz Runderneuerung und Wechsel des Technologielieferanten erobert die konzerneigene TV-Plattform bisher nicht den Massenmarkt. Pro Jahr gewinnt die Telekom lediglich 200.000 Kunden hinzu – viel zu wenig, um das angestrebte Ziel von weit über vier Millionen Kunden bis Ende 2018 noch zu erreichen.

Verantwortung dafür trägt auch Höttges. Die Strategie, den Bau von echten Glasfasernetzen bis in die Gebäude hinauszuzögern und die technischen Möglichkeiten der alten Kupferkabel so lange wie möglich auszureizen, trägt seine Handschrift. Dass die Kunden nun zum schnelleren Netz der Konkurrenz überlaufen, hat er so nicht erwartet. In seinen bislang nicht korrigierten Hochrechnungen reicht ein 200-Megabit-Anschluss für einen Vier-Personen-Haushalt bis einschließlich 2025 aus, doch die Konkurrenz bietet mehr.

Vielleicht bringt Wössner eine Lösung aus Kanada mit. Etwa die, Glasfaser mit Konkurrenten zu verlegen. Das könnte auch die Telekom zurück auf die Spur bringen. Dann hätte Höttges eine Sorge weniger – und müsste nicht mehr so grimmig schauen.

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