Die Pläne des Oliver Samwer Rocket Internet baut um

Die Berliner Start-up-Schmiede Rocket Internet will mehrere Beteiligungen an die Börse bringen – darunter Home24, Delivery Hero und Hellofresh. Das verändert den Konzern von Grund auf.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Oliver Samwer Quelle: dpa

Besucher, die zum ersten Mal das Berliner Hauptquartier von Deutschlands größter Start-up-Schmiede betreten, sind oft enttäuscht: Triste Großraumbüros säumen den Innenhof des „Werft“ getauften Gebäudekomplexes an der Friedrichstraße. Allenfalls ein paar leere Pizzakartons auf den Schreibtischen verbreiten einen Hauch Gründer-Atmosphäre bei Rocket Internet. Deutsch-englische Wortfetzen schwirren durch die Luft, und alle paar Tage hetzt Rocket-Chef Oliver Samwer mit seinem Rollkoffer im Schlepp durch die Flure, um seine Digitalarbeiter auf Trab zu bringen.

Doch die Tage in der Werft sind gezählt. In ein paar Monaten will Rocket in eine neue Zentrale in Kreuzberg umsiedeln. Der Umzug markiert nicht nur örtlich einen Wendepunkt: Auch intern steht der Konzern vor tief greifenden Veränderungen. Ein Umbau bahnt sich an, der die Struktur von Grund auf verändern könnte. Denn gleich für mehrere Kernbeteiligungen loten die Berliner Börsengänge aus, darunter Schwergewichte wie der Online-Möbelhändler Home24, das Lieferdienstportal Delivery Hero und der Kochboxenversender Hellofresh.

Die wertvollsten Start-ups der Welt
Platz 10: DropboxDer in San Francisco ansässige Anbieter von Web-Speicher zählt bereits mehr als 400 Millionen private Nutzer und wird zurzeit von 500 Unternehmen verwendet. Nach eigenen Angaben des Cloud-Unternehmens werden alle 24 Stunden 1,2 Milliarden Dateien in der Dropbox gespeichert. Seit der Gründung 2007 hat das Startup 0,6 Milliarden Dollar von Investoren wie Black Rock oder Goldman Sachs erhalten. Heute ist ihr Investment geschätzte zehn Milliarden Dollar wert. Damit liegt Dropbox auf Platz zehn im aktuellen Ranking des Wall Street Journal.Stand: August 2015 Quelle: PR
Pinterest Quelle: dpa
SpaceX Quelle: AP
Didi Kuaidi Quelle: AP
flipkart Quelle: REUTERS
Snapchat Quelle: dpa
Palantir Quelle: Screenshot

Nebenher, so heißt es in der Finanz- und Start-up-Szene, sammle Samwer bei Investoren Geld für den Aufbau eines unternehmenseigenen Beteiligungsfonds ein. Damit bewegt sich Rocket weg vom klassischen Start-up-Inkubator, der am fabrikmäßigen Nachbau erprobter Online-Konzepte verdient, hin zu einer Art Holding für digitale Geschäftsmodelle.

Geschockte Aktionäre

Schon bei der Hauptversammlung Ende Juni ließ sich der neue Kurs erahnen – zumindest optisch. Statt wie sonst leger und mit verstrubbelten Haaren trat Rocket-Patron Samwer im dunklen Anzug und mit sorgsam geknoteter Krawatte vor seine Anteilseigner und warb um Vertrauen. Das hat seit Rockets Börsendebüt vor knapp einem Jahr erheblich gelitten. Der Aktienkurs liegt rund 25 Prozent unter dem Ausgabepreis von 42,50 Euro.

Beteiligungen von Rocket Internet (mit Aussicht auf Börsengang)

Im Februar – nur vier Monate nach dem Börsengang – schockte Samwer seine Aktionäre mit dem Wunsch nach mehr Geld. Per Kapitalerhöhung sammelte er rund 600 Millionen Euro ein und schickte die Aktie auf Talfahrt. Im Juli wiederholte sich das Debakel, als der Konzern eine Wandelanleihe über 550 Millionen Euro ausgab und der Kurs in der Spitze um 15 Prozent abstürzte.

Hohe Verluste

Erstmals wurde vielen Anlegern da bewusst, wie viel Geld der Aufbau und Betrieb der weltweiten Rocket-Beteiligungen verschlingt. „Der Cash-Verbrauch ist aktuell die größte Sorge der Investoren“, mahnt Edward Hill-Wood, Analyst der Investmentbank Morgan Stanley in London. Nach Berechnungen der WirtschaftsWoche summierten sich 2014 allein die Verluste der zwölf zentralen Beteiligungen, darunter Home24 und die russische Zalando-Kopie Lamoda, auf mehr als 650 Millionen Euro.

Da Rocket an den Unternehmen nicht die Mehrheit hielt, flossen ihre Verluste nicht ins Zahlenwerk des Konzerns ein. Trotzdem ist klar, dass die defizitären Internet-Portale, die Samwer forsch als „Proven Winners“, bewährte Gewinner, bezeichnet, noch über Jahre am Tropf der Berliner hängen werden. Bis 2018, so rechnet Morgan Stanley vor, würden sie weitere 1,2 Milliarden Euro Verlust anhäufen. Dann immerhin seien schwarze Zahlen in Sicht.

Zitate über Oliver Samwer

Damit deuten die Analysten indirekt den größten Schwachpunkt im Rocket-Reich an: Die aktuelle Finanzkraft reicht allenfalls aus, um die Proven Winners in die Gewinnzone zu hieven. Gleichzeitig will Samwer aber neue Start-ups gründen und die Emerging Stars – aufstrebende Sterne, wie jüngere Unternehmenskreationen im Rocket-Slang heißen – weltweit ausrollen.

Schon aus diesem Grund wird der Rocket-Boss alle Schalter in Bewegung setzen, um die Raketen im Portfolio in Richtung Börse abzufeuern. Offiziell schweigt das Unternehmen dazu. Doch im Hintergrund läuft längst die Werbemelodie, die den Gang aufs Parkett intoniert.

Der größte, zugleich aber schwierigste Kandidat ist dabei Delivery Hero, in Deutschland unter dem Namen Lieferheld bekannt. Über die Online-Plattform können hungrige Großstädter Pizza, Pasta oder Sushi bei Restaurants aus der Nachbarschaft ordern. Pro vermitteltem Auftrag erhält Lieferheld eine Provision. Das Geschäft gilt als Wachstumsmarkt. Weltweit wickeln mittlerweile 200.000 Fast-Food-Restaurants in 34 Ländern ihren Lieferservice über Delivery Hero ab und haben den Wert des Essensportals auf 2,8 Milliarden Euro steigen lassen.

Zweifelhafte Bewertungen

Einziger Haken aus Samwers Sicht: Er hält an dem Hoffnungsträger nur einen Anteil von 38,5 Prozent und hat so nur begrenzt Einfluss; Rocket hat nicht einmal einen Sitz im Aufsichtsrat. Seit Monaten halten sich daher Gerüchte über einen Streit zwischen dem Management von Delivery Hero um Gründer Niklas Östberg und Investor Rocket über das Timing eines Börsengangs. Während Östberg gegenüber der WirtschaftsWoche einen Börsengang frühestens Anfang 2016 in Aussicht gestellt hat, würde Samwer seine aktuell wertvollste Rakete wohl noch gern in diesem Jahr zünden.

Mehr Handlungsspielraum hätte er bei Home24, wo Rocket knapp 50 Prozent hält. Mitte Mai verwandelte sich das Online-Möbelhaus bereits in eine AG. Eine neue Finanzspritze pushte den Wert dann im Juni auf knapp eine Milliarde Euro. Wie aussagekräftig derlei Bewertungen sind, zeigt indes der dritte Börsenaspirant: Hellofresh.

Die drei Samwer-Brüder

Das Unternehmen, das Zutaten für Kochrezepte nach Hause liefert, stand Anfang des Jahres noch mit einem Gesamtwert von 131 Millionen Euro in den Rocket-Büchern. Die Samwer-Truppe hielt damals 37,4 Prozent an Hellofresh. Bei einer Finanzierungsrunde Anfang Februar steuerte Rocket 100 von insgesamt 110 Millionen Euro bei und sicherte sich zusätzliche 14,3 Prozent an Hellofresh.

Damit können die Berliner bei dem Boxversender nun durchregieren. Zudem galt der von Rocket gezahlte Preis fortan als Basis für die Bewertung des gesamten Unternehmens. Das war so auf einen Schlag nicht mehr 131, sondern stolze 624 Millionen Euro wert – zumindest auf dem Papier.

Beim für Herbst geplanten Börsengang dürfte der Kochkistenversender sogar eine Bewertung von mehr als einer Milliarde Euro anpeilen. Viel Geld für ein Unternehmen, das zwar kräftig wächst, aber mit einkaufsmüden Hobbyköchen einen eher überschaubaren Kundenkreis anspricht.

Kleinteilige Märkte, spitze Zielgruppen – damit schlagen sich derzeit viele Rocket-Gründungen herum. Vor allem in der zweiten Reihe ist wenig Massentaugliches auszumachen. So dürften vor allem gestresste Gutverdiener frisch gebügelte Hemden bei ZipJet ordern, ihre Wohnungen über den Maklerservice RightHome vermieten oder via Helpling die Putzkraft organisieren.

Fehlzündungen bei Rocket Internet

Jüngst floppte bereits die Rocket-Erfindung Shopwings. Das Start-up war im Herbst 2014 angetreten, Konsumenten den Einkauf im Supermarkt abzunehmen. Allein, die preissensiblen deutschen Kunden spielten nicht recht mit. Jetzt will sich Shopwings auf andere Länder konzentrieren.

Dass ihre jüngsten Kreationen nicht unbedingt das Zeug haben, an Erfolge wie beim Modeversender Zalando anzuschließen, dürfte den Rocket-Granden kaum entgangen sein. Wohl auch deshalb setzen sie auf Zukäufe. So gehören seit Kurzem die Shopping-App Shopkin, die Fitnessstudio-Plattform Somuchmore und der Essenslieferdienst Foodora mehrheitlich zu Rocket.

Demnächst könnte die Zahl der externen Beteiligungen steigen. Wie mehrere Insider in der Start-up- und Wagniskapital-Szene berichten, sammelt Samwer offenbar bereits Geld für einen neuen Beteiligungsfonds mit einem Volumen von rund einer Milliarde Euro. Angeblicher Arbeitstitel des Finanzvehikels: Rocket Internet Growth Fund.

Schon am Rande der Start-up-Konferenz Noah Ende Juni in Berlin sprach Nenad Marovac, Manager des Londoner Investors DN Capital, Samwer auf die Fonds-Gerüchte an. Der Rocket-Chef reagierte ausweichend: Wo immer es Möglichkeiten gebe, für die Aktionäre Mehrwert zu schaffen, so Samwer, sei Rocket dabei. Auch in einer E-Mail an die WirtschaftsWoche äußert sich Samwer nicht konkret, sondern verweist nur auf einen seit Längerem bestehenden Fonds, über den Investments abgewickelt werden.

Ein Unternehmensinsider wird da deutlicher: Es gebe zurzeit „viel, viel Geld“ im Markt. „Da geht noch was.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%